Nadelpiks zwischen Webstuhl und Dampfmaschine
Für die Sonderimpfaktion gestern und heute im Technikforum Backnang hat das Kreisimpfzentrum insgesamt 180 Impfdosen organisiert. Fast so viele Bürger aus Backnang und fünf Umlandgemeinden haben sich dafür gemeldet. Zwei mobile Impfteams aus Stuttgart sowie das DRK Backnang sind bis heute Mittag im Einsatz.
Von Florian Muhl
BACKNANG. Zukunft trifft Vergangenheit. Zwischen ausgedienten Walzen und Zugmaschinen von Kaelble, einem Jacquardwebstuhl aus der Spinnerei Adolff sowie historischen Gerberfässern und Telefunken-Schaltschränken zog gestern – wenn auch nur für anderthalb Tage – die Moderne ins Technikforum Backnang ein. Zwei mobile Impfteams aus Stuttgart haben das Vakzin von Biontech im Gepäck, mit dem sie Menschen in der Zukunft vor einer Covid-19-Erkrankung schützen wollen. Eine zwar ungewöhnliche Location für eine Sonderimpfaktion, aber eine optimale.
„Riesige Halle, große Tore, separate Räume, gute Durchlüftung – perfekt geeignet“, schwärmt Gerd Holzwarth. Der Leiter des Kreisimpfzentrums Waiblingen (KIZ) kümmert sich auch darum, dass es zusätzliche, attraktive Aktionen im Kreis gibt. So zogen bereits Impftrucks durch sämtliche Kommunen zwischen Rems und Murr (wir berichteten). „Bei dieser zweiten Sonderimpfaktion werden insgesamt 1500 Extradosen Biontech für den Landkreis in den sechs Großen Kreisstädten sowie in Murrhardt und Welzheim verimpft, die jeweils noch die umliegenden Gemeinden mitversorgen“, erklärt der 55-Jährige. „In Backnang sind das noch Allmersbach im Tal, Aspach, Burgstetten, Kirchberg an der Murr und Weissach im Tal. Dafür gibt es 180 Impfdosen.“
Einer, der gestern den Weg aus Kirchberg ins Technikforum gefunden hat, ist Guido Handel. Beruflich ist der Maschinenbautechniker in ganz Europa, oft auch weltweit unterwegs. Bislang hat der 55-Jährige keine Zeit gefunden, sich impfen zu lassen. „Weil ich beruflich viel in Kontakt mit anderen Leuten komme, ist die Impfung ja sinnvoll.“ Für die Gemeinde Kirchberg an der Murr waren 20 Impfdosen reserviert. Davon hat der 55-Jährige im Mitteilungsblatt gelesen, hat sich gleich per E-Mail gemeldet und einen Termin erhalten.
Auch Matthias Bernd sitzt in Arbeitskleidung in der Halle, ist gerade geimpft worden und wartet nun eine Viertelstunde lang unter Beobachtung, bis er das Signal erhält, dass er gehen kann. Der 62-jährige Bauhofmitarbeiter der Gemeinde Allmersbach im Tal ist mit seinem Kollegen Ralf Rieger (57) da. Am Montag haben beide vom Rathaus von der Impfmöglichkeit erfahren, die sie gleich angenommen haben. „Der Impfstoff war mir egal“, sagt Bernd. Er hat sich nicht impfen lassen, um sich selbst zu schützen, sondern wegen der Allgemeinheit, „wegen der Herdenimmunität“.
Christel Fritz und ihr Mann Dieter aus Backnang-Heiningen hatten es nicht eilig mit der Impfung. „Wir hatten uns im Internet in eine Liste eingetragen, dass wir geimpft werden, wenn was übrig bleibt“, sagt die 65-Jährige. Und am Dienstag kam ein Anruf, ob die beiden am gestrigen Mittwoch Zeit haben. So hat das Ehepaar diese Gelegenheit beim Schopf genommen.
„Ja, wir haben telefonieren müssen“, bekennt Gerd Holzwarth. Nicht alle Impftermine seien gleich weggegangen. Mittlerweile sei es nicht nur beim Astrazeneca-Impfstoff schwierig, Impfwillige zu finden (siehe Kasten), sondern auch bei Biontech. So hätten sich für die 180 Dosen für Backnang nur 160 Frauen und Männer gemeldet. 20 Personen habe man dann telefonisch noch erreichen können. „In einem Museum zu impfen, ist schon was Besonderes.“ Andrea Calm-Wangerin hat schon in vielen Räumlichkeiten geimpft, aber eine solche Ausstellungshalle war noch nie dabei. Die 66-Jährige ist eine von zwei Ärztinnen, die zu den mobilen Impfteams vom Robert-Bosch-Krankenhaus gehören, die gestern in Backnang waren. Die 66-Jährige ist schon längst im Ruhestand, freut sich aber, diese wertvolle Arbeit leisten zu dürfen. Ihre Kollegin im zweiten Team ist erst 25 Jahre alt. Patricia Schäfenacker ist seit Dezember Ärztin und seit Februar beim mobilen Impfen im Einsatz. In beiden Teams ist noch eine medizinischen Fachkraft dabei, wie Lothar Burkhardt, der sich mit seinen 65 Jahren ebenfalls schon im Ruhestand befindet, und ein Rettungssanitäter von den Johannitern wie Sven Oelschlägel (26).
Dass es den Patienten direkt nach der Impfung gut geht und es keine Kreislaufprobleme gibt, überwacht Tim Englich. Der 19-jährige Maubacher ist bereits vor acht Jahren ins Backnanger DRK eingetreten. Jetzt nach seinem Abitur will er ein FSJ beim Rettungsdienst in Stuttgart machen und danach Medizin studieren.
Superzufrieden, dass alles glattläuft, ist Kim Aßmus. Die 31-Jährige von der Geschäftsstelle Ortschaftsräte im Backnanger Rathaus hat alle Fäden in der Hand. Sie war und ist verantwortlich für die Kommunikation zwischen den beteiligten Kommunen und hat auch diese Impfaktion organisiert. Normalerweise hätte diese in der Stadthalle stattgefunden. Diese ist aber von Schülern belegt, die wegen der Abstandsregelung dort ihre Klausuren schreiben. So wird eben auch heute noch zwischen Webstuhl und Dampfmaschine gepikst.
Die Zweitimpfung findet am 11. und 12. August ebenfalls im Technikforum statt.
Nach Monaten der Knappheit hat das Kreisimpfzentrum in der Waiblinger Rundsporthalle dieser Tage 4000 Extradosen Astrazeneca erhalten, aber kaum jemand will eine haben. Die Nachfrage ist schockierend gering.
Weil die Terminvergabe über das zentrale Buchungsportal des Landes elend schleppend anlief, entschied sich KIZ-Leiter Gerd Holzwarth in Abstimmung mit der Kreisverwaltung für eine pfiffige und unbürokratische Lösung: Wer mag, kann sich einen Termin äußerst einfach via www.rems-murr-kreis.de buchen. Bequemer geht es kaum. Frei verfügbar für alle ab 18 Jahren. Einzige Ausnahme: Personen, die bereits die Erstimpfung haben, dürfen sich nicht anmelden.
Fürs Wochenende gibt es noch Unmengen freier Termine.