„Wir haben definitiv nicht geschlossen“
Ab Montag dürfen Einzelhändler ihre Kunden nur noch nach vorheriger Anmeldung in ihren Geschäften empfangen. In der Gastronomie kam zwischendurch Hoffnung auf Öffnung im Außenbereich auf, doch noch ist unklar, wann es soweit ist.

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Nadine Thoman (links) und Sigrid Göttlich machen mit einem Plakat auf das Click&Meet-Angebot der Einzelhändler aufmerksam. Foto: A. Becher
Von Bernhard Romanowski
BACKNANG. „Wir haben nicht geschlossen. Die Tür ist zu, aber wir haben definitiv nicht geschlossen“, betont Matthias Wiedmann, der sich als Einzelhändler auf Spielwaren spezialisiert hat und neben dem Standort in Backnang noch zwölf weitere Filialen betreibt. Seine Läden im Rems-Murr-Kreis haben bis heute noch regulär geöffnet.
In vier seiner Geschäfte außerhalb des Rems-Murr-Kreises wird das sogenannte Click&Meet schon praktiziert, das ab Montag im ganzen Kreisgebiet für den Einzelhandel verpflichtend gilt (siehe Kasten). Das klappt gut, wie Wiedmann zu berichten weiß, aber ist es auch sinnvoll? Der Umsatz in seinen Filialen, die Click&Meet betreiben, sei jedenfalls drastisch gesunken. Wiedmann ist zudem auch Vorstandsmitglied des Backnanger Stadtmarketingvereins und weiß, wie seine Kollegen ticken.
Sie hätten sich alle an die Vorgaben der Bundesregierung gehalten, aber für absolutes Unverständnis sorge die Mischsortiment-Regelung. Hier handle es sich um eine Diskriminierung der Einzelhändler, die nicht nachzuvollziehen sei, meint er. Während seine Branchenkollegen bislang alle Maßnahmen verständnisvoll mitgemacht hätten, hätten sie gleichzeitig mitansehen müssen, wie „sich die Kunden in den Discountern auf den Füßen stehen“.
Backnanger Einzelhändler sprechen von Ungleichbehandlung durch die Politik.
Das sei auch in Supermärkten mit Mischsortiment in der Backnanger Innenstadt zu beobachten gewesen und sorge entsprechend für großen Unmut. „Die kleine Parfümerie musste geschlossen bleiben, während der Discounter weiter auch Parfüm verkaufen darf. Das kann nicht angehen“, so Wiedmann, der auf das Saarland verweist. Dort hat das Oberverwaltungsgericht erst kürzlich einen Teil der aktuell geltenden Coronaverordnung vorläufig außer Vollzug gesetzt, nachdem ein Händler geklagt hatte. Aber so etwas sei sehr zäh und schwierig, von den Kosten einmal abgesehen, so Wiedmann . Ihm sei mehr daran gelegen, mit den Entscheidungsträgern zu reden, da die Einzelhändler bislang offenbar keine starke Lobby hätten.
Infektionstechnisch sieht er sogar einen positiven Effekt seiner Branche: „Wir räumen allen Kunden genügend Platz ein. Wenn die Leute bei uns in den kleineren Läden einkaufen dürfen statt nur in den Mischsortimentern, entzerrt das in den Innenstädten sogar den Kundenstrom.“ In dem Mangel an schlüssigen Konzepten nach rund einem Jahr Pandemie sieht er ein Versagen der Politik.
Den Unmut ihres Stadtmarketing-Vorstandskollegen kann Sigrid Göttlich grundsätzlich nachvollziehen, ist aber weniger harsch in ihrem Urteil. „Wir sind vor allem weiterhin für die Kunden da und werden sie in positiver Atmosphäre in unseren Geschäften willkommen heißen – nur eben mit Beratungstermin, den man an der Ladentür, per Telefon oder via Internet vereinbaren kann“, so die Betreiberin des Modegeschäft Accente in Backnang. In ihrem Laden verfügt sie über 70 Quadratmeter Verkaufsfläche und darf demnach sieben Kunden einlassen. Die Zahl der anwesenden Berater ist derweil aber nicht beschränkt, sagt Göttlich. „Die Kunden bleiben bei mir im Schnitt eine, eher zwei Stunden. Wir nehmen uns Zeit dafür“, berichtet sie aus ihrem Geschäftsbereich.
Auch Göttlich prangert die Ungleichbehandlung der Backnanger Einzelhändler gegenüber Geschäften wie Müller oder Kaufland in der Murr-Metropole an. Sie habe sich mit einem Brief an die Politik gewandt – schlüssige Erklärungen habe sie indessen nicht erhalten. „Ich will der Politik keinen Vorwurf machen. Aber vielleicht müssen wir Pandemie noch üben und lernen, mit dem Virus umzugehen“, so Göttlich.
„Während auf Mallorca die große Aufbruchsstimmung herrscht und Hotels bereits öffnen, dürfen wir hierzulande jetzt nicht mal die Außengastronomie öffnen.“ Mit diesen Worten kommentiert die Leitung des Kleinaspacher Hotels Sonnenhof die aktuelle Coronaverordnung auf ihrer Homepage und bei Facebook. Verantwortlich für die herrschende Verwirrung in der Gastronomie sei der Stufenplan der Bundesregierung, der nach dem letzten Bund-Länder-Gipfel am 3. März in vielen Medien veröffentlicht wurde. Darin sei von einem Öffnungstermin am 22. März die Rede gewesen. „Eine langersehnte ,kleine‘ Öffnungsperspektive“, heißt es seitens des Sonnenhofs. Das ist leider nicht der Fall, wie der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) mitteilt. „In Baden-Württemberg gilt – wie in allen anderen Bundesländern auch – immer nur das, was die Landesregierung in ihrer jeweiligen Coronaverordnung regelt. Schaubilder der Bundesregierung haben dagegen keine Rechtskraft“, erfährt man dort. Sie dienen nur der Veranschaulichung der rechtlich unverbindlichen Beratungsergebnisse der Bund-Länder-Runden.
Daher gebe es keine Erlaubnis zur Öffnung der Außengastronomie in Baden-Württemberg zum Montag. „Betriebe, die an diesem Tag trotzdem ihre Außengastronomie öffnen, verstoßen gegen die Coronaverordnung des Landes und riskieren Bußgelder“, warnt der Dehoga.
Öffnungsmöglichkeiten für die Außengastronomie im Land könnte es dennoch bald geben. Denn am 22. März werde in der nächsten Bund-Länder-Konferenz über dieses Thema entschieden „Nach Informationen des Dehoga Baden-Württemberg rechnet man in der Landesregierung mit konkreten Öffnungsmöglichkeiten, die dann zeitnah auch in eine aktualisierte Coronaverordnung für Baden-Württemberg aufgenommen werden sollen“, verkündet der Verband. Üblicherweise dauere die Umsetzung der Ergebnisse in die Coronaverordnung des Landes maximal eine Woche. Von Montag an gerechnet wäre demnach also bei entsprechenden Inzidenzwerten eine Öffnung der Außengastronomie vor Ostern noch möglich. Der Dehoga will seine Mitglieder unmittelbar nach Bekanntgabe des Termins informieren.
Die Sieben-Tage-Inzidenz im Landkreis hat am Dienstag den Wert von 50 Neuinfektionen pro 100000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen überschritten und blieb am Mittwoch und Donnerstag mit Inzidenzen von jeweils 57 über der kritischen Marke.
Demnach müssen die Lockerungen der Coronaverordnung wieder zurückgenommen werden, wie das Landratsamt am Donnerstag verkündete.
Das Einkaufen vor Ort im Einzelhandel soll durch Click&Meet wieder ermöglicht werden. Es dient als Übergangslösung, bis die Kontaktbeschränkungen infolge der Coronapandemie wieder gelockert werden.
Anders als bei dem Konzept Click&Collect können die Kunden so wieder in Modegeschäften, im Buchladen oder beim Optiker Ware in Augenschein nehmen und sich beraten lassen.