Kunstmuseum Stuttgart zeigt „The Clock“
24 Stunden lang Uhren zuschauen? Unbedingt!
In New York oder Paris standen die Menschen Schlange. Jetzt ist Christian Marclays 24-Stunden-Werk „The Clock“ im Stuttgarter Kunstmuseum zu erleben. Was macht diese Film-Montage so spannend?

© Ausschnitt aus „The Clock“
Tik, tok, tik, tok....einfach nur Uhren zuschauen?
Von Adrienne Braun
Es war schon eine verrückte Idee, ungewöhnlich und im Ergebnis sehr arbeitsintensiv. Vor fast zwanzig Jahren war Christian Marclay, ein New Yorker Künstler, auf der Suche nach Filmausschnitten, in denen man Uhren sieht. Ein leichtes Unterfangen, wie er feststellte, denn in Filmen sind Uhren omnipräsent – ob es Wecker sind, die in Herrgottsfrühe bimmeln oder Kirchturmuhren, die die Geisterstunde einläuten. Marclay stieß auf so viel Material, dass ihm der Gedanke kam, daraus einen Film zusammen zu schneiden – einen Film, bei dem 24 Stunden lang jede Minute über Uhren in den Filmausschnitten ablesbar ist.
Deshalb kann man, muss sich aber nicht viel Zeit nehmen für „The Clock“, einem der wohl ungewöhnlichsten Kunstwerke, das 2011 auf der Biennale von Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. Inzwischen hat die 24 Stunden dauernde Filmcollage viele Fans. In New York, London und Tel Aviv, in Bilbao und Paris lief „The Clock“ bereits – und nun zum ersten Mal auch in Deutschland: im Kunstmuseum Stuttgart. An diesem Freitag kann man ab 17 Uhr „The Clock“ sogar komplett anschauen, denn das Kunstmuseum bleibt die gesamte Nacht über geöffnet.
Sequenzen aus allerlei Filmarten sind vertreten
Uhren beim Ticken zuzuschauen, das mag auf den ersten Blick eher langweilig erscheinen. Aber es ist ein besonderes Erlebnis – und ein fröhliches Wiedersehen. Hollywood-Klassiker wie „Casablanca“ tauchen auf und Western wie „High Noon“. Aber auch Sequenzen aus Science-Fiction-Filmen sind dabei, angefangen bei Metropolis bis zu „Zurück in die Zukunft“. Ob in „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ oder „Lost in Translation“, kein Film scheint ohne Uhren und die Frage nach der Zeit auszukommen.
Das Besondere an „The Clock“ ist, dass die Uhrzeit im Film identisch mit der realen Zeit ist – und also auch um Punkt 17 Uhr starten wird. Wenn in „Titanic“ das Wasser steigt und man gerade noch die dekorative Uhr sieht, die gleich ihren Geist aufgeben wird, so ist es nicht nur im Film Viertel nach zwei, sondern auch im Kunstmuseum. So fungiert die 24 Stunden dauernde Installation selbst als Uhr – und obwohl die zahllosen Film- und Fernsehbilder kreuz und quer durch die Filmgeschichte springen, ist „The Clock“ im Hier und Jetzt verortet. Der nahtlose Übergang von filmischer und realer Zeit ist Christian Marclay wichtig, er spricht von Synchronisation.
Das Verfahren der Montage hat der 69-jährige Marclay zunächst in anderem Kontext erprobt. Er wurde in Kalifornien geboren, wuchs in der Schweiz auf und ging schließlich in die USA zum Kunststudium. Als Musiker und DJ begann er in den Siebzigerjahren, Musik zu sampeln, wozu er scratchte und sogar Schallplatten zerschnitt, die Teile zusammengeklebte und auf mehreren Plattentellern gleichzeitig abspielte. Dann wieder hat er mit Schere und Klebstoff japanische Manga-Comics verfremdet.
Unorthodoxe Filmmontagen hat er schon häufiger praktiziert – und verschaltete etwa für „Telephone“ (1995) in zahllosen Szenen Stars zu einer Telefonkonferenz. Einerlei, ob in der Musik, bei Filmen, Bildern oder Skulpturen, Marclay geht es stets darum, vorhandenes Material neu zu arrangieren. Als 2005 die Idee für „The Clock“ aufblitzte, schien das Projekt unrealisierbar. Marclay war bereits erfolgreich genug, sodass seine Galerien ihm finanzielle Unterstützung gewährten, um auszuprobieren, ob das Konzept taugt. Das tat es. Er engagierte sechs Assistenten, die für ihn nach Filmclips suchten – und man staunt, wie oft im Kino auf Uhren geschaut wird und Langschläfer aus dem Bett aufschrecken oder sich eine Blondine am Morgen einen Cognac eingießt und einer mahnt „It’s ten fifteen!“. Die mehr als 10 000 Ausschnitte, unter denen auch vereinzelte deutsche Filme sind, fügte Christian Marclay selbst am Schneidetisch zusammen, denn die Montage ist es, die den Reiz ausmacht, weil die Filmszenen ineinander verschränkt werden, Figuren mehrfach auftauchen und Bezüge erstellt werden. Wer gerade nervös in New York im Taxi unterwegs ist, scheint zur Beerdigung irgendwo in Südeuropa zu wollen. Das ist durchaus amüsant, zumal Tempi und Stimmungen ständig wechseln und nie Langeweile aufkommt. In diesen 24 Stunden werden immer neue Zusammenhänge zwischen dem disparaten Material erstellt und viele kleine Geschichten erzählt.
Es fällt schwer, sich dem Sog der Uhren zu entziehen
Drei Jahre lang hat Marclay an „The Clock“ gearbeitet und höchste Präzision walten lassen, sodass sich die Ausschnitte aus Komödien und Kriegsfilmen, Musicals und Fernsehserien perfekt in den Tagesablauf einfügen, es dabei aber auch große dramaturgische Bögen gibt. Nach Sex am Morgen und Frühstück bis zum Mittag nimmt die Dynamik zu und Autos, Züge, Flugzeuge sind unterwegs. Es gibt Theaterbesuche und Schießereien, Barszenen und Traumsequenzen. Und doch bleibt es ein stetes unterhaltsames Hin und Her, bei dem die Schauplätze selbstverständlich von Hollywood nach Asien führen oder vom Film noir in die Zukunft.
Marclay ist penibel, weshalb er den Kinoraum in den Museen selbst gestaltet hat und gern nachmisst, damit die Abstände zwischen den Sitzgelegenheiten optimal sind. Die weißen Sofas sind bequem – und machen es noch schwerer, sich dem Sog von „The Clock“ zu entziehen. Obwohl man permanent Uhren sieht, vergisst man immer wieder die Zeit – und schreckt auf, wenn eine Figur plötzlich sagt „Gleich zehn Uhr, es ist spät!“.
Präsentation bis 25. Mai, Di bis So 10 bis 18 Uhr, Fr 10 bis 21 Uhr. Am 14. März ab 17 Uhr und am 17. Mai ab 10 Uhr ist „The Clock“ vollständig zu sehen und das Museum auch nachts geöffnet. Ein Einstieg ist den Film ist jederzeit möglich, Eintritt ist frei. Am 16. März um 15 Uhr, findet ein Künstlergespräch statt.
Eine Nacht im Kunstmuseum Stuttgart
Präsentation bis 25. Mai, geöffnet Di bis So 10 bis 18 Uhr, Fr 10 bis 21 Uhr. Am 14. März ab 17 Uhr und am 17. Mai ab 10 Uhr ist „The Clock“ vollständig zu sehen und das Museum auch nachts geöffnet. Ein Einstieg ist den Film ist jederzeit möglich, Eintritt ist frei.
Gespräch Am 16. März um 15 Uhr findet ein Künstlergespräch mit Christian Marclay. adr