„An wilden Wörtern sich berauschen“

Das Interview: Timo Brunke gibt Auskunft über Sprachkunst

Timo Brunke, ein Star der Poetry-Slam-Szene, kommt heute um 20 Uhr in den literarischen Salon ins Backnanger Bürgerhaus und präsentiert dort sein Programm „Orpheus downtown“. Sein Weg als Bühnenpoet nahm in Backnang an der Schule für Improvisationstheater und Schauspiel seinen Anfang. Im Interview spricht er über diese Zeit und seine Entwicklung als Sprachkünstler und Performance-Poet.

Hingabe an Reim und Rhythmus: Das ist die Welt von Timo Brunke. Foto: D. Graeter

Hingabe an Reim und Rhythmus: Das ist die Welt von Timo Brunke. Foto: D. Graeter

Von Ingrid Knack

Mit „Orpheus downtown“ kehren Sie wieder einmal in die Stadt zurück, in der Sie auf der Schule für Improvisationstheater und Schauspiel von Frieder Nögge ausgebildet wurden. Wie haben Sie die Zeit in Backnang erlebt?

Zunächst: In Backnang hatte ich seit Längerem keinen Auftritt mehr. Drum: Ich freue mich sehr auf Samstagabend. Die Jahre am Nögge-Atelier-Theater als Schauspielschüler und flügge werdender Bühnenkünstler werde ich immer im Bewusstsein tragen. Ich kam damals frisch vom Theologiestudium in Tübingen nach Backnang. Wir bildeten eine verschworene Clique, sind durch die Backnanger Gassen geschlendert, haben das Stadtfest genossen, waren Teil der Backnanger Stadtkultur.

War es Frieder Nögge, der Ihr Talent als Performance-Poet und Sprechdichter entdeckt hat, oder war Ihnen schon damals klar, wohin Sie einmal künstlerisch wollen?

Nögge und die Stadt boten uns Anfängern damals einen einmaligen Ort, um unter ganz realen Bedingungen zu erfahren, was es heißt, sich den Brettern zu verschreiben, samt Höhenflügen, Durststrecken und Nervenkitzel. Zeitgleich mit der Ausbildung am Theater begann in Stuttgart meine Zeit als Poetry-Slam-Netzwerker. Der Poetry-Slam war im Schwäbischen noch nicht angekommen. Zwischen diesen beiden Welten hat es mich hin- und hergeworfen: hier Nögge und das Lernen von der Pike auf – dort der Zeitgeist mit seinem eigenen Groove. Aus beiden Künsten schöpfe ich bis heute gleichermaßen. Und mit Abstand auf etwas mehr als 20 Jahre der Entwicklung sehe ich es als mein persönliches Glück an, bei Nögge gewesen zu sein. Sein kompromissloser, ja fast dämonischer Kunstwille hat mich sehr bewegt.

Auf der einen Seite Bühnenpoet – vor 18 Jahren spielten Sie im Atelier-Theater in Backnang Ihr erstes Solo „Bruder Grimm – Erpichte Gedichte – Lyrische Pfirsische“ als Bühnenpoet. Auf der anderen Seite also der Aufbau der Slammer-Szene in Stuttgart. Wie kamen Sie überhaupt zum Poetry-Slam?

Ich habe meinen ersten Poetry-Slam in München erlebt. Das war 1999 und kam einer Offenbarung gleich. Die Dichtkunst schien mir wie neu erfunden worden zu sein. Als Bühnenkunst, als mündliche Wortmusik, mit hemmungsloser Hingabe an Reim und Rhythmus. Ich wusste: Das wollte ich in Stuttgart auch aufbauen. Der damalige Wirt der Stuttgarter Rosenau – hier hatte auch Frieder Nögge eine seiner Stammbühnen – bot uns seine Räumlichkeiten an. So begann meine Stuttgarter Slamzeit, parallel zur Aufbauphase des Poetry-Slams in den anderen deutschsprachigen Großstädten.

Was ist für Sie ein guter Slam-Auftritt?

Ein Auftritt, der etwas wagt, sei es inhaltlich oder sprachlich, von der Form her. Du hast – im Gegensatz zum Solo-Auftritt im Bürgerhaus – ja nur wenige Minuten Zeit und stehst im direkten Schlagabtausch mit deinen Slamkolleginnen und Slamkollegen. Diese Energie aufzugreifen und durch sich hindurch zu lassen, darauf kommt es an, dann entzündet der eigene Beitrag dieses spezifische Slamfeuer in den Köpfen und Herzen der Menschen und wird Teil eines sprachlichen Gedankenfeuerwerks. Man kann es schwer beschreiben. Nur wer live dabei war, kann verstehen, was ich hier zu skizzieren versuche.

Warum sind Poetry-Slams gerade unter jungen Menschen so beliebt, die ansonsten wenig in den traditionellen Kleinkunstveranstaltungen, bei Lesungen oder im Theater zu finden sind?

Weil er so viel Raum für Interaktion bietet. Junge und wache Menschen heute wollen sich in eine Kunstproduktion gern einbringen, sich anders spüren. Das kann als Neuling auf der Bühne geschehen – oder als Teil des Publikums, das ja meist als Ganzes die Jury bildet. Und weil er Überraschungen bietet. Du weißt nicht: Was wird der nächste Slammer bringen: einen poetischen Höhenflug? Geistiges Dünnbrettbohren? Unterm Strich ist es dieses ganz eigene „Wir-hier-und-jetzt“-Gefühl, was junge Kulturliebende so anlockt.

Sie haben seit Ihrer Backnanger Zeit viele Rollen in der Kulturszene übernommen: Sie sind Autor von Kinderbüchern, einem Handbuch für Lehrer über „Wort und Spiel im Unterricht“, erst vergangenes Jahr haben Sie neben Anna Novak den Tonali-Cellowettbewerb in der Elbphilharmonie in Hamburg moderiert und 2015 „Orpheus downtown“ als Buch veröffentlicht und daraus ein Bühnenprogramm gemacht – um nur einige Ihrer künstlerischen Stationen zu nennen. Man bezeichnet Sie ja auch als gelehrten Dichter oder poeta doctus der Spoken-Word-Szene. In welcher Rolle sehen Sie sich selbst am liebsten?

Am liebsten sehe ich mich derzeit in meiner neuesten Unternehmung, als Konzertpoet. Ich habe 2016 einen Schritt getan, als ich für das Hamburger Klassiknetzwerk Tonali zum ersten Mal einem Werk der klassischen Musik – in diesem Fall den „Kinderszenen“ von Robert Schumann – meine Worte an die Seite gestellt habe. Vielleicht kann ich es am einfachsten so beschreiben: Ich stelle mich an wie der Erzähler in „Peter und der Wolf“ – nur, dass ich alles, was ich seit 25 Jahren mit dem gesprochenen Wort ausprobiere, dabei zum Einsatz bringe.

Im Mai dieses Jahres geben Sie ein Poetry-Konzert zusammen mit dem Stuttgarter

Kammerorchester und Sie haben auch schon mit den Stuttgarter Philharmonikern zusammengearbeitet. Wie kam’s dazu?

Das Hamburger Konzert wurde filmisch dokumentiert. Und die Stuttgarter sind, was die klassische Musik anbelangt, ja ausgesprochen offen und zukunftsorientiert. Und so kam es gleich zu weiteren Konzertideen. Am 26. Mai darf ich mit dem Stuttgarter Kammerorchester dann präsentieren, was bis jetzt so herausgekommen ist.

Man muss schon ganz schön um die Ecke denken können, um Texte wie den über einen „Suppenwürfel im Grand Canyon – Diaabend für Gehör in fünf Teilen“ zu erfinden. Wird das, was Sie damit meinen oder vermitteln wollen, immer vom Publikum verstanden? Wie finden Sie die Balance zwischen der Zelebrierung von Form, Musik und Rhythmus der Sprache und den Inhalten? Stehen diese Elemente in Ihrer Kunst gleichberechtigt nebeneinander?

Ich denke, zum Verstandenwerden gehören Dinge wie: die Menschen abholen, Empathie, Timing, Kommunikationswille, Virtuosität, Verrücktheit, Wagnis und so weiter. Wenn ich Menschen spüren lassen kann, dass ich meine Künste aus Liebe zum Live-Moment ausübe, dann fühle ich mich verstanden – und das Publikum aber auch. Kapieren muss dabei nur am Rande eine Rolle spielen. Das gehört eher in den Unterricht oder wenn ich ein Verwaltungsformular ausfüllen soll. Verständnis hingegen kennt viele Wege, wenn die Haltung stimmt und der Mut vorhanden ist, die ausgewalzten Bahnen der Kulturindustrie zu verlassen. Wer kennt nicht die Magie, den Zauber eines abseits lockenden Trampelpfads?

In „Orpheus downtown“ geht es ja um einen Spaziergang durch die Stadt, Banales wie ein Supermarkteinkauf wird beispielsweise im Hölderlin-Sound inszeniert und mit schräger Luther-Derbheit vermixt, wie ein Kritiker einmal schrieb. Wie Sie sagen, ist es das Wichtigste, sich einfach darauf einzulassen – dann wird man ganz sicher belohnt. Dennoch: Wie würde eine kleine Gebrauchsanweisung für die Rezeption Ihrer Performance aussehen?

Kommen – das Reden Reden sein lassen, dafür der Sprache sich öffnen. Lauschen – die Stille zwischen den Versen entdecken – berührt werden – lachen – an wilden Wörtern sich berauschen wie an einem gehaltvollen Getränk.

Info
Ein vielseitiger Künstler

Timo Brunke, geboren 1972 in Stuttgart, wird nach seinem Theologiestudium und der Ausbildung 1998 bis 2000 an Frieder Nögges Schule für Improvisationstheater und Schauspiel in Backnang Autor, Sprachkünstler und Performance-Poet mit Soloprogrammen und auch außergewöhnlichen Kooperationen. 1999 gründet er in Stuttgart den Poetry-Slam in der Rosenau und 2003 die Sprachwerkstatt „Wort und Spiele“ am Stuttgarter Literaturhaus.

Als Partner von Bas Böttcher gastiert Brunke mit der Textbox, dem „kleinsten Massenmedium der Welt“, an Orten wie der Neuen Nationalgalerie Berlin, dem Centre Pompidou in Paris oder internationalen Buchmessen in Peking, Abu Dhabi oder Bangkok. Brunke macht sich auch für die sprachliche Bildungsarbeit stark.

2009 veröffentlicht er sein erstes Kinderbuch „Warum heißt das so?“. Vom österreichischen Bundesministerium für Bildung und Forschung wird es zum besten Wissenschaftsbuch 2010 in der Sparte „Junior Wissen“ gekürt. 2013 erscheint „10 Minuten Dings“ – ein Buch mit interaktiven Sprachspielen für Kinder. 2011 erhält der Träger des baden-württembergischen Kleinkunstpreises den Schubart-Literaturförderpreis der Stadt Aalen.

„Orpheus downtown“, ein Buch mit Texten Brunkes, erscheint 2015.

Karten (17, ermäßigt 13 Euro) für die heutige Vorstellung um 20 Uhr im Bürgerhaus gibt es an der Abendkasse.

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Erstellt:
2. Februar 2019, 06:00 Uhr

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