Neu im Kino: „Die Saat des heiligen Feigenbaums“
Angst und Schrecken im Gottesstaat
Deutsche Oscar-Hoffnung: Für das Drama „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ hat der iranische Regisseur Mohammed Rasulof viel riskiert.
Von Kathrin Horster
Im Iran einen Film zu drehen, bedeutet oft Lebensgefahr. So musste Mohammed Rasoulof wegen seines bei den vergangenen Filmfestspielen von Cannes für den Hauptpreis nominierten Werkes „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ Hals über Kopf aus seiner Heimat fliehen. Ihm drohten körperliche Folter und eine achtjährige Haft als Strafe für seinen Mut zur Wahrheit. Die Wut des Regimes auf Rasoulofs Drama um einen Revolutionsrichter, dessen aufmüpfige Töchter und die zwischen den Fronten zerriebene Mutter belegt die Qualität und Brisanz des Werks: Offenbar hat Rasoulof die iranischen Theokraten mit seinen Beobachtungen so ins Mark getroffen, dass die sich in ihrem Allmachtsanspruch bedroht fühlten.
Rasoulof erzählt von Iman (Missagh Zareh), der im Zuge der „Frau-Freiheit-Leben“-Proteste nach dem Tod Mahsa Aminis als Richter befördert wird. Der Karrieresprung bringt der Familie mehr Geld und eine größere Wohnung ein. Doch Iman muss dafür praktisch im Akkord Todesurteile unterschreiben und fürchtet deshalb den Zorn der Hinterbliebenen, die online nach Adressen und Angehörigen der Richter fahnden. Imans Teenager-Töchter Rezvan (Mahsa Rostami) und Sana (Setareh Maleki) sympathisieren dagegen mit rebellierenden Studentinnen. Als Rezvans Freundin Sadaf (Niousha Akhshi) bei einer Kundgebung ins Gesicht geschossen wird und Rezvan die Schwerverletzte in die elterliche Wohnung bringt, beginnt auch Imans bis zu diesem Zeitpunkt gehorsame Frau Najmeh (Soheila Golestani) am Regime und der Aufgabe ihres Mannes zu zweifeln.
Aus diesen Eckpunkten entwickelt Rasoulof einen prallen, spannenden Plot, der – auch aus der Not der schwierigen Drehbedingungen – als Familien-Kammerspiel beginnt, sich im Verlauf aber zum fast reißerischen Thriller wendet.
Imans Alltag erscheint zunächst geordnet und weitgehend normal, bis Rasoulof ihn bei der Arbeit zeigt. Dort ist das in seinen eigenen vier Wänden souveräne Familienoberhaupt bloß ein Rädchen in der Maschinerie der Gerichtsbarkeit, angetrieben von höheren Mächten. Widersetzt sich Iman dem System, droht ihm Gewalt, wie denjenigen, die er ohne Prüfung verurteilt. Aus diesem Gefühl machtloser Untertänigkeit speist sich Imans Härte gegenüber seinen Töchtern, die in den sozialen Netzwerken und auf den Straßen mit aufrührerischen Ideen konfrontiert werden und sich nicht weiter in den Kokon der zu engen Wohnung sperren lassen wollen. Dazwischen reibt sich Najmeh auf; im Widerstreit zwischen der Loyalität zu ihrem Mann und der Wut auf die patriarchale Gewalt, die er vertritt.
So konkret und hart können iranische Filme selten von den aktuellen Verhältnissen im Gottesstaat erzählen, es sei denn, die Macher setzen wie Mohammed Rasoulof und dessen gesamte Crew die eigene Sicherheit aufs Spiel. Weil der Film größtenteils in Deutschland produziert wurde, geht er für Deutschland ins Rennen um den Oscar als bester ausländischer Film. Eine Auszeichnung wäre für diesen mutigen Wahnsinn mehr als verdient. In Cannes gewann der auch für die Golden Globes nominierte Film bereits den Sonderpreis der Jury.
Die Saat des heiligen Feigenbaums. Iran, Deutschland, Frankreich 2024. Regie: Mohammed Rasoulof. Mit Missagh Zareh, Soheila Golestani. 168 Minuten. Ab 16 Jahren.