Neues Ausstellungsprogramm des Graphik-Kabinetts der Stadt Backnang

Beim Ausstellungsprogramm des Graphik-Kabinetts dreht sich unter dem Oberbegriff „Hintergründig“ in diesem Jahr alles um die Landschaft. Der dritte Teil der Reihe hat den Titel „Mit allen Wassern“.

Kuratorin Simone Scholten mit dem Holzschnitt „Das Martyrium der Heiligen Nazarius und Celsus“. Foto: Ingrid Knack

Kuratorin Simone Scholten mit dem Holzschnitt „Das Martyrium der Heiligen Nazarius und Celsus“. Foto: Ingrid Knack

Von Ingrid Knack

Backnang. Immer wieder werden im Graphik-Kabinett der Stadt Backnang im Helferhaus altmeisterliche Grafiken aus der Ernst-Riecker-Sammlung inklusive Zukäufe unter einem ganz besonderen Aspekt präsentiert. Im Jahr 2022 hat sich Kuratorin Simone Scholten aus Essen die Hintergründe der Werke vorgenommen und diese noch in die Themen Himmel (unter dem Titel „Aus allen Wolken“), Erde („Vor lauter Bäumen“) und Wasser („Mit allen Wassern“) untergliedert. Teil drei ist nun an der Reihe, die abschließende Präsentation ist bis 12. März 2023 zu sehen.

„Jetzt gehen wir in die unterste Ebene, ins Wasser“, scherzt Simone Scholten bei einem Vor-Ort-Termin im Archiv kurz vor der Eröffnung der Ausstellung. Die Kuratorin erklärt die Szenen so, dass ein ganzer Film vor dem inneren Auge des Betrachters abläuft. Plötzlich sieht man, was man ohne ihre Erklärung wohl nie gesehen hätte, und taucht ein in spannende Geschichten, die einen derart faszinieren, dass man nicht genug davon hören kann. Vergleiche mit Wimmelbildern und Comics fallen, wenn zahlreiche Einzelheiten oder gleichzeitig ablaufende Geschehnisse dargestellt sind. Hatte bis dahin jemand zuvor keinen Zugang zu den Arbeiten, die in einer Zeit entstanden sind, die schon sehr, sehr lange Geschichte ist, ist das Eis spätestens jetzt gebrochen.

Wasser gilt als Ursprung allen Lebens, kann aber auch zerstörerisch sein

Wasser ist ein ambivalentes Element. Einerseits ist es der Ursprung allen Lebens. In allen Hochkulturen hat das Wasser laut Scholten in der Mythenbildung eine wichtige Rolle gespielt. Die alten Ägypter seien sich schon sehr darüber bewusst gewesen, dass sie in ihrem Land überhaupt erst durch den Nil leben können. Und wo Wasser ist, sind auch Lebewesen, von denen man sich ernähren und mit denen man Handel treiben kann. In der Renaissance etwa findet man Motive des Jungbrunnens, der ewige Jugend oder ewiges Leben verspricht.

„Auf der anderen Seite hatte man auch immer große Angst vor dem Wasser“, sagt Scholten. Dieses kann für Überschwemmungen oder gar für eine Sintflut sorgen. Nebenbei lässt die Kuratorin einfließen, dass das Weltall deutlich besser erforscht sei als der Meeresgrund. „Alle haben sich gen Himmel gewendet, aber auf dem Meeresgrund ist vieles unerforscht.“

Die Grafiken in Teil drei der Reihe zeigen beispielsweise malerische Flussläufe, eine aufgewühlte See, reißende Wasserfälle und kunstvoll gestaltete Brunnenanlagen.

Für die Künstler war die Darstellung des Wassers beziehungsweise die Kunst, eine Illusion einer dreidimensionalen Struktur mit grafischen Mitteln zu erreichen, eine große Herausforderung. „Das Schöne ist, dass man diese Phänomene tatsächlich mit den Grafiken aus der Riecker-Sammlung ganz gut illustrieren kann. Es gibt kaum Themen, die man gar nicht dargestellt findet. Was es allerdings nicht gibt, ist eine Darstellung der Sintflut“, weiß Scholten.

Das älteste Blatt stammt aus dem Blockbuch von 1488

Bei der Auswahl der Blätter für die „Hintergründig“-Reihe hat sich die Kuratorin „auf sehr unterschiedliche Zeiten und sehr unterschiedliche Techniken konzentriert“, damit die Betrachter die Entwicklung des Umgangs mit diesen Themen im Lauf der Kunstgeschichte nachvollziehen können. Das älteste Blatt stammt aus dem in Nürnberg herausgegebenen Blockbuch „Jacobus de Voragine, Leben der Heiligen“ von 1488. Bei dieser Schrift handelt es sich um das am weitesten verbreitete religiöse Buch des Mittelalters. Der handkolorierte Holzschnitt (um 1487/88) zeigt das Martyrium des zum Christentum übergetretenen Soldaten Nazarius und seines Schülers Celsus. Scholtens Beschreibung: „Diese waren insbesondere in Italien und Gallien unterwegs, um den neuen Glauben zu verkünden. Während der Regentschaft Kaiser Diokletians wurden sie verfolgt und in Tötungsabsicht ins Meer geworfen – wie man sieht, machte es ihnen gar nicht so viel aus. Die scheinen ja sogar ein wenig Spaß zu haben. Die beiden konnten den Fluten unversehrt entsteigen und fanden schließlich in Mailand den Tod durch Enthauptung.“ Mit „Simultanerzählungen fast wie bei einem Comic“ (Scholten) werden mehrere Stadien einer Geschichte auf einem Bild zusammengefasst.

Landschaftsdarstellungen als Wiedergabe der Natur kamen erst im späten Mittelalter auf, als religiöse oder historische Themen nicht länger vor einfarbigen Hintergründen dargestellt wurden. Von Inszenierungen vor detailreich gestalteten Naturräumen hat insbesondere auch Albrecht Dürer ausgiebigen Gebrauch gemacht. In der Ausstellung sind einige hochkarätige Blätter von Künstlern wie Albrecht Dürer („Das Meerwunder – Der Raub der Amymone“, um 1498), Lukas van Leyden („Die Taufe Christi im Jordan“, um 1510), Jan Saenredam („Susanna und die beiden Alten“, vor 1598) zu sehen. Auch Max Klinger, der nach den Worten von Galerieleiter Martin Schick eigentlich nicht zur Riecker-Sammlung gehört („den haben wir später mal gekauft“), ist mit der Arbeit „Am Meer“, um 1879 bis 1881, aus der Mappe „Intermezzi – Opus IV, Blatt 2“ vertreten.

Von Antonio Tempesta (zirka 1555 bis 1630) stammen die Radierungen „Gottvater erschafft Himmel und Erde“ und „Die Erschaffung der Fische und Vögel“. Letztere gehört zu den Lieblingsbildern Scholtens. Es handelt sich dabei um das fünfte Blatt aus dem zwölfteiligem Zyklus „Die Weltschöpfung“. Der strahlengekrönte Schöpfer, der ziemlich lässig auf einer Wolke steht, weist die Tiere ihrem jeweiligen Lebensraum zu. Neben den Lebewesen, die sich im Wasser und in der Luft bewegen, sind auch Tiere zu sehen, die sich in einer Art Zwischenzone befinden wie die Enten, die zu Land und zu Wasser zu Hause sind. Und es gibt Fische, die wie kleine Monster daherkommen. Zu Zeiten Antonio Tempestas habe man nicht gewusst, wie Tiefseefische aussehen, deshalb habe man sie stark dämonisiert, so Scholten. Auch auf eine Art schwimmendes Meerschweinchen inmitten der Fische macht sie aufmerksam.

Bei dieser kurzweiligen Ausstellung kann man also so richtig auf Entdeckertour gehen und es lohnt sich, sich Zeit zum Lesen der hervorragenden Begleittexte zu nehmen.

Öffnungszeiten Die regulären Öffnungszeiten des städtischen Graphik-Kabinetts im Helferhaus , Petrus-Jacobi-Weg 5, in Backnang, sind Dienstag bis Freitag von 17 bis 19 Uhr sowie Samstag und Sonntag von 14 bis 19 Uhr. An Feiertagen hat das Graphik-Kabinett von 14 bis 19 Uhr geöffnet – mit Ausnahme von Heiligabend, 1. Weihnachtsfeiertag und Silvester. Der Eintritt in die Ausstellung ist frei.
„Die Erschaffung der Fische und Vögel“, Radierung von Antonio Tempesta, Anfang 17. Jahrhundert. Foto: Janine Kyofsky

© Janine Kyofsky

„Die Erschaffung der Fische und Vögel“, Radierung von Antonio Tempesta, Anfang 17. Jahrhundert. Foto: Janine Kyofsky

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Erstellt:
28. Oktober 2022, 06:00 Uhr

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