Backnanger Bürgerbühne begeistert das Publikum

Die Premiere von „Der Besuch der alten Dame“ ist eine großartige Darstellung von Schuld, Sühne und Moral.

Gaby Miletic (im Pelzmantel) zeigt als Multimilliardärin Claire Zachanassian eine fein nuancierte Darstellung. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Gaby Miletic (im Pelzmantel) zeigt als Multimilliardärin Claire Zachanassian eine fein nuancierte Darstellung. Foto: Tobias Sellmaier

Von Marina Heidrich

Backnang. Eine Frau kehrt nach vielen Jahrzehnten in ihr ehemaliges Heimatdorf zurück. Einst wurde die damals 17-jährige Kläri Wäscher von Alfred Ill schwanger. Verstoßen und gedemütigt musste sie ihr Heimatdorf Güllen verlassen und sich als Prostituierte durchschlagen. Als alte Frau kommt sie zu Besuch. Doch diesmal haben sich die Vorzeichen drastisch verändert: Während Kläri mittlerweile unter dem Namen Claire Zachanassian nach zahlreichen Ehen mit reichen Männern Multimilliardärin ist, herrschen in Güllen tiefste Armut und Verwahrlosung. Claire macht den Bürgern ein Angebot: Sie spendet eine Milliarde, 500 Millionen für den Ort und 500 Millionen für die Familien. Ihre einzige Bedingung ist Gerechtigkeit. Und was sie darunter versteht, spricht sie deutlich aus: Jemand muss Alfred Ill töten. Am Samstag hatte die Backnanger Bürgerbühne mit Friedrich Dürrenmatts Tragikomödie „Der Besuch der alten Dame“ Premiere. Vor ausverkauftem Haus zeigte das Ensemble eine großartige Leistung.

Beherrschte Mimik mit viel Ausdruck

Es wäre so leicht, Claire Zachanassian als eiskalte, rachsüchtige und vor allem bis ins Mark unsympathische Frau darzustellen. Aber Gaby Miletic gelingt es, die Vielschichtigkeit dieser Figur darzustellen. Eine veritable Dame – ganz in Schwarz, mit einem schicken Pelzmantel –, die nie die Contenance verliert, nie laut wird. Deren beherrschte Mimik hinter einem großartigen Make-up mit minimalem Hochziehen der Mundwinkel oder Augenbrauen Ironie, gelangweilt sein, schwarzen Humor und auch diamantene Härte zum Ausdruck bringt. Und doch gibt es diesen Moment, als sie mit Alfred über den Tod des gemeinsamen Kindes redet – da hebt Gaby Miletic den Blick und allein ihre Augen zeigen, dass ihr Herz nicht nur gebrochen, sondern geradezu pulverisiert wurde. Ausgerechnet Claire Zachanassian, die den zunächst empörten Bürgern von Güllen das unmoralische Angebot macht – ausgerechnet sie ist der einzige Charakter im gesamten Stück, der nicht lügt und permanent ehrlich ist. Grausam und berechnend, ja. Aber grundehrlich.

Ralf Kleinpeter spielt Alfred Ill. Seine Figur schwimmt in einem Wechselbad der Gefühle. Fassungslosigkeit, Angst, die sich zur Panik steigert, Fluchtgedanken und schließlich die Akzeptanz, dass er sowohl Täter als auch Opfer ist.

Ein graues Mäuschen blüht auf

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Ralf Kleinpeter trägt von Beginn bis Ende als Einziger dieselbe ärmliche Kleidung. Läuft er zu Beginn noch wortwörtlich um sein Leben, so spielt er die Rolle im Lauf des Stücks mit einer zunehmenden Bewegungslosigkeit, er versteinert, als würde ihn die Last seiner Schuld immer schwerer drücken. Eine Schlüsselszene ist sein Dialog mit dem Lehrer. Benjamin Adlung liefert hier die herausragende Studie eines Menschen, der genau weiß, dass er seine Ideale verraten wird. Er wird daran zerbrechen, kann aber trotzdem nicht anders. Auch Annedore Bauer-Lachenmaier zeigt eine starke Leistung. Sie schafft es in ihrer kleinen Nebenrolle als Ills Ehefrau Mathilde, die größtmögliche Entwicklung darzustellen. Zu Beginn buchstäblich ein verhärmtes graues Mäuschen, ausgezehrt, gebeugt und verblasst, blüht sie ab dem Moment auf, in welchem sie die gelben Schuhe trägt. Erst langsam, dann immer rasanter verändert sich Mathilde, wirft die Last der Jahre und der Armut ab. Zur ersten und letzten Familienausfahrt mit dem neuen Auto des Sohnes trägt sie Schmuck und Pelzmantel. In einer ultimativen Geste schminkt sich Mathilde zuvor den Mund mit einem blutroten Lippenstift. Und plötzlich ist die einst verhärmte Ehefrau ein vollkommen anderer Mensch, Annedore Bauer-Lachenmaier mutiert durch Körpersprache und Mimik zu einem hübschen, lebensfrohen und temperamentvollen jüngeren Ich der Mathilde.

Sorgfältig durchdachte Musikbegleitung

Das gesamte Ensemble trägt ausnahmslos zum Gelingen des Premierenabends bei, viele spielen mehrere Rollen mit diversen Facetten. Die Darsteller der Backnanger Bürgerbühne schaffen es, dass auch das Publikum ein Wechselbad der Gefühle durchlebt. In das anfangs häufige Lachen über die komischen Elemente schleicht sich immer mehr ein beklemmendes Gefühl ein. Ironisch-symbolisch schafft die sorgfältig durchdachte musikalische Untermalung eine Steigerung der Atmosphäre. So betreten Claire Zachanassians Bodyguards das verwahrloste Dorf zu den Klängen von „Welcome to the jungle“ von Guns N’ Roses, Ennio Morricones Lied vom Tod und „Psycho killer“ von den Talking Heads mit der Zeile „you better run run away“ (Renn lieber weg) wenden sich direkt an Alfred Ill. Claire Zachanassian heiratet im Güllener Münster, während Billy Idol „White wedding“ singt. Und die neuen Kirchenglocken des Dorfs entpuppen sich bei der Hinrichtung von Alfred Ill als die düsteren Gongschläge von „Hells bells“.

Wie eine akustische Ohrfeige wirkt das Schlusslied: Udo Jürgens’ „Und immer wieder geht die Sonne auf“ – auch über Güllen, das nun deutlich schöner, bunter und reicher geworden ist. Zumindest an der Oberfläche. Das Premierenpublikum ist restlos begeistert, anhaltender Applaus und Bravorufe zeigen: Hier wurde alles richtig gemacht.

Termine Weitere Aufführungen des Stücks finden am Freitag, 5. Juli, um 20 Uhr, am Samstag, 6. Juli, um 20 Uhr sowie am Sonntag, 7. Juli, um 17 Uhr statt.

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Erstellt:
1. Juli 2024, 11:30 Uhr

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