Backnanger Bürgerhaus: Kulunka Teatro mit anrührender Geschichte
Mit dem Stück „Solitude“, einer Geschichte um die Vereinsamung im Alter, war am Donnerstag das baskische Theater Kulunka Teatro aus Spanien im Backnanger Bürgerhaus zu sehen. Da die Geschichte ohne Worte auskam, war sie auch für das Backnanger Publikum verständlich.
Von Klaus J. Loderer
Backnang. Die Geschichte spielt in einer Stadt oder in einem Dorf am Meer. Aber die Geschichte könnte überall spielen, in jeder kleinen Wohnung, in der ein altes Ehepaar lebt. Und sie könnte von allen alten Leuten handeln, die wenig Geld haben. Den Titel „Solitude“ mag man im Raum Stuttgart mit einem eindrucksvoll auf der Höhe gelegenen Schloss verbinden, mit der Einsamkeit abseits der umtriebigen Stadt. Im Stück ist aber eine drückende, brutale und immer bedrohlicher werdende Einsamkeit gemeint, in die ein Mensch geraten kann.
Es tut auch nichts zur Sache, an welchem Meer diese Geschichte spielt. Es ist keine sonnige, sondern eine beliebige regnerische Küste, an der Möwen kreischen. Vielleicht ist es die baskische Küste. Denn von dort kommt das Theaterensemble.
San Sebastián ist eines der kulturellen Zentren des Baskenlands im Norden Spaniens. Dort sorgt seit einiger Zeit das Kulunka Teatro mit ungewöhnlichen Produktionen für Aufsehen. Das von Garbiñe Insausti und José Dault 2010 gegründete Ensemble, dessen Name aus dem Baskischen übersetzt „Schaukel“ bedeutet, hat eine Besonderheit: Die Schauspieler tragen Masken oder genauer gesagt Köpfe und sind dadurch als Personen nicht mehr erkennbar. Sie haben aber auch nicht die Möglichkeit der Mimik. Dadurch ist das Spiel auf die Gestik beschränkt, auf Körperhaltung oder auf die Bewegung auf der Bühne. Trotzdem entsteht mit diesem bloßen Schauspielern ein vielfältiges Spiel. Denn mit jeder neuen Maske kann ein neuer Charakter eingeführt werden. Die von Garbiñe Insausti gestalteten Masken sind dabei sehr unterschiedlich und ermöglichen dem Ensemble überraschende Auftritte. Wie die unterschiedlichen Figuren dann doch miteinander verwoben sind, das sorgt für ein skurriles Geflecht. Man erlebt individuelle Geschichten, die nicht unterschiedlicher sein könnten.
Theater ohne Worte
Erzählen können José Dault, Laura García Marín und Edu Cárcamo diese Geschichten nicht, denn Dialoge kommen nicht vor. Die Schauspieler müssen schweigen. Gerade dieses Element ermöglicht es dem Ensemble allerdings, seine Stücke international zu zeigen. Denn man muss der baskischen Sprache nicht mächtig sein, um die Geschichte zu verstehen. In die wechselnden Stimmungslagen versetzt uns die ausgeklügelte Musik- und Geräuschkulisse von Luis Miguel Cobo, die punktgenau auf Iñaki Rikartes Regie abgestimmt ist.
Es ist eine traurige Geschichte, die das Kulunka Teatro zeigt. Sie handelt von einem alten Ehepaar, das auf etwas dröge Art zusammenlebt, sich kennt, aber sich doch irgendwie nicht versteht. Doch schlägt die Uhr, werden die beiden Menschen aufgekratzt. Ein Kartenspiel ist ihr besonderes Ritual und ein offensichtlich freudiges Ereignis im öden Alltag in einer biederen Wohnung. Ikerne Giménez hat dieses kleinbürgerliche Ambiente und die Kostüme entworfen. Regisseur Iñaki Rikarte füllt den Rahmen mit vielen Details, um die zwischenmenschlichen Beziehungen zu verdeutlichen.
Das Schicksal schlägt zu, nachdem ein etwas zwielichtiger Handwerker eine Stromleitung repariert hat. Die Frau bekommt einen spektakulären Stromschlag. Das Publikum kichert, als sie mit aufrecht stehenden Haaren aus der Küche kommt, noch nicht wissend, dass sich das Stück in eine eher traurige Richtung entwickeln wird, denn die Frau bricht dann tot zusammen. Obwohl das Zerstreuen ihrer Asche im Meer zur Slapstickkomödie wird, nimmt die Geschichte eine Wendung. Der Mann vereinsamt allein in seiner Wohnung. Sohn und Enkelin lassen sich nicht auf das Kartenspiel ein. Die Versuche des Mannes, mit anderen Leuten Karten zu spielen, scheitern. Schließlich findet er in einer Prostituierten tatsächlich eine Spielpartnerin, wobei das Publikum ob der Sexspielzeuge, die sie aus ihrem Handtäschchen zaubert, heftig gluckst. Noch mehr kichert es, als schließlich der Sohn hereinplatzt und diese Objekte anstarrt. Kurios sind auch die Szenen zwischen der ewig auf das Handy starrenden Enkelin und ihrem Freund oder die Szenen mit dem Zuhälter und einer weiteren Prostituierten.
Blitzschnelles Umziehen
Die drei Schauspieler müssen sich für diese Szenenwechsel blitzschnell hinter der Bühne umziehen, um die elf Rollen darstellen zu können. Ein Happy End gibt es nicht. Zwar versucht der Sohn doch noch, mit seinem Vater Karten zu spielen, doch da ist dieser schon nicht mehr dazu in der Lage. Apathisch sitzt er am Tisch. Für seinen letzten Gang macht er sich fein, um hinüberzugehen in eine andere Welt, begleitet vom immer lauter werdenden Ticken der Uhr.