Backnanger Kunstschulleiterin gibt Urban-Sketching-Kurse
Nadja Pidan ist die Leiterin der Kunstschule in Backnang und zeichnet für ihr Leben gern. Seit 2017 unterrichtet sie „Urban Sketching“, eine Kunstbewegung, bei der Schnappschüsse von der Umgebung nicht fotografiert, sondern selbst gezeichnet werden.
Von Carolin Aichholz
Backnang. Wenn Nadja Pidan in das Skizzenbuch auf ihrem Schoß malt, rückt die unüberhörbare Geräuschkulisse der Stadt in den Hintergrund. Sie sitzt auf einer niedrigen Mauer und die Stifte fliegen nur so übers Papier. Dabei sitzt jeder Pinselstrich im Bild ganz genau.
Seit 2017 leitet sie die Kunstschule in Backnang und zeichnet auch in ihrer Freizeit fast täglich. „Immer wieder sehe ich etwas und muss meine Sachen auspacken und das Bild schnell einfangen. Das ist bereits seit meiner Kindheit meine Leidenschaft, ich habe immer gemalt und gezeichnet.“
Kunstlehrerin auf Umwegen
Der Weg in ihren aktuellen Beruf war dennoch alles andere als vorgezeichnet. Aus Lettland kam Pidan nach Deutschland, um Bauingenieurwesen zu studieren, denn ihre Stärken waren Mathematik und Informatik. In diesem Beruf arbeitete sie dann auch bis zur Geburt ihres ersten Kindes. Die Rückkehr in den Job war danach schwierig und da sie auch mit ihrer Tochter gerne zeichnete und malte, brachte sie das zurück zu ihrer alten Leidenschaft aus Kindertagen. Ihr wurde klar: „Ich will eigentlich auch noch Kunst studieren.“
Für ihre Aufnahmeprüfung an der Kunstakademie in Stuttgart lernte sie Grundtechniken, Farbenlehre und perspektivisches Zeichnen. Dass ihr Weg Nadja Pidan mit dem Abschluss ihres Studiums auch gleich in die pädagogische Richtung führte, lag schon damals sehr nahe.
Ihre Begeisterung fürs Malen und Zeichnen weiterzugeben erfüllt sie immer noch mit Freude. „Zeichnen lernen bedeutet neu sehen lernen“, da ist sich die zweifache Mutter sicher. „Und seine Umwelt bildlich festzuhalten war schon immer ein Grundbedürfnis von uns Menschen. Die Höhlenmalereien belegen das.“ Hobbymaler zum eigenen Stil zu bringen, sie zu fördern und ihre Entwicklung zu sehen, das gehört für die Leiterin der Kunstschule zu den schönsten Erlebnissen in ihrem Berufsalltag. „Für die Schüler ist es auch das Beste, in einer Gruppe zu malen, denn alle lernen voneinander. Ich lerne selbst auch immer noch dazu“, sagt die 41-Jährige lächelnd.
Eine vernetzte Kunstbewegung
In der Kunstrichtung Urban Sketching spielt gerade diese Gemeinschaft eine große Rolle. Die Bewegung entstand 2007 in Seattle und wurde von dem Journalisten und Illustrator Gabriel Campanario ins Leben gerufen. Neu war im Grunde die Vernetzung der Zeichner: Man verabredet sich in sozialen Netzwerken zum gemeinschaftlichen Malen. Skizzen und Bilder werden in den Gruppen ausgetauscht, man inspiriert sich gegenseitig und profitiert vom Wissen anderer. Die Motive, die gemalt werden, und die dafür verwendeten Utensilien sind nicht ungewöhnlich, jeder kann verwenden, was ihm besonders liegt oder was er bevorzugt.
Tatsächlich werden beim Urban Sketching hauptsächlich Orte und Szenen abgebildet, die den Malern im Alltag oder auf Reisen begegnen. Diese Szenen werden dabei zunächst skizziert (Sketching bedeutet auf Deutsch „skizzieren“) – und danach häufig auch koloriert. Gezeichnet werden in erster Linie Stadtszenen (darum „Urban“), Nadja Pidan besucht mit ihren Schülern jedoch auch gerne Zoos, Museen oder sogar Konzerte, in denen die Gruppen zeichnen. Das Malen in der Gemeinschaft ist auch eine Besonderheit beim Urban Sketching. Am Ende legen alle Zeichner ihre Malbücher in die Mitte und schauen sich an, was die anderen zu Papier gebracht haben. „Es ist so interessant, wie alle das gleiche Motiv zeichnen und doch ganz unterschiedliche Bilder entstehen“, schwärmt sie.
Schnappschüsse selbst zeichnen
Dabei wurde die Bewegung ursprünglich als Abkehr vom immer schneller werdenden Leben betrachtet. In wenigen Sekunden macht man mit dem Handy schnell ein Foto und sieht doch kaum, was man fotografiert. Der Blick fürs große Ganze, für Details und Besonderheiten soll geschult werden.
Akkurate Details spielen beim Urban Sketching dennoch keine sehr große Rolle, vielmehr soll der individuelle Blick des Malers das Bild bestimmen. Das Motiv muss dabei nicht detailgetreu abgebildet werden.
Ihr Bild, das sie in Backnang auf dem Ölberg zeichnet und das zum Trocknen aufgehängte Wäsche vor der Kulisse alter Backnanger Fachwerkhäuser zeigt, ist nach etwa zehn Minuten fertig. Prüfend hält sie es hoch, fügt noch ein paar Details dazu, legt den Pinsel dann jedoch beiseite und sagt lachend: „Das Bild könnte ich ewig weiter verbessern. Aber eigentlich male ich immer so schnell, dass es jederzeit fertig aussieht, falls es zu regnen anfangen sollte. Weil die wichtigsten Punkte schon gezeichnet sind und ich den Rest aus dem Kopf ergänzen kann“, erklärt Nadja Pidan.
Malstifte statt Lippenstifte in der Tasche
Fürs Zeichnen selbst werden nur wenige Utensilien benötigt, theoretisch reichen ein alter Briefumschlag und ein Bleistift, doch natürlich lässt sich auch das beliebig ausbauen. Nadja Pidan hat im Alltag und auf Reisen stets ein Täschchen mit ihrem Skizzenbuch, Aquarellfarben und Buntstiften dabei. Doch eigentlich bräuchte sie nur ein Stück Papier. „Man kann auch mit Blättern, Blüten oder Früchten malen. Und mit Cola oder Kaffee lassen sich ganz wundervolle Bilder gestalten, man kann dabei sogar in den Farbtönen variieren. Verdünnter Kaffee malt zum Beispiel heller als ein Espresso.“
Das Experimentieren mit Farben und allerlei Gegenständen, mit denen man auch zeichnen oder malen kann, macht auch den Kindern sehr viel Spaß und regt ihre Kreativität an. Pidan erinnert es auch an ihre eigene Kindheit, als sie oft keine Kreide hatte. „Wir haben dann immer Steine in unterschiedlichen Farben gesucht und mit ihnen auf der Straße bunte Bilder gemalt.“ In der Stadt gibt es auch meistens eine Sitzgelegenheit, einen kleinen Hocker kann man sich aber auch einfach mitnehmen.
„Man lernt so viele Menschen kennen, die sich alle eine Leidenschaft teilen“
Durchs Urban Sketching ist Nadja Pidan in vielen Städten schon auf ganze Gruppen getroffen, denen sie sich zum Malen anschließen konnte. „Man lernt so viele Menschen kennen, die sich alle eine Leidenschaft teilen“, sagt sie. Bei großen Symposien kann man auch internationale Kontakte knüpfen und auf Reisen kann man sich einfach den Gruppen dort anschließen und zeichnend den Urlaubsort entdecken. Bei der Gelegenheit kann man auch gleich seine selbst gezeichneten Postkarten in die Heimat schicken.
Nadja Pidan malt fast jedes Motiv gerne. „Am liebsten male ich auf Konzerten oder Bandproben, wenn man die Stimmung im Raum einfangen muss und sich selbst fragt, welche Farbe hat eigentlich Musik? Dieses Instrument oder diese Sängerin, wie stelle ich das zeichnerisch dar?“ Das sind die Herausforderungen, denen sie sich immer wieder gerne stellt.
In Stuttgart, Esslingen und Filderstadt gibt Nadja Pidan bereits Urban-Sketching-Kurse, dort haben sich auch schon Gruppen gebildet, die gelegentlich losziehen, um in sogenannten „Sketch Crawls“ gemeinsam zu malen. „Die Hemmschwelle ist auch nicht so groß, wenn mehrere Menschen zusammen in einer Stadt sitzen und zeichnen“, sagt die Kunstlehrerin schmunzelnd.
Ein großer Wunsch der 41-Jährigen wäre es, dass sich auch in Backnang eine Gruppe Hobbymaler findet, die sich gelegentlich in der Gegend zum Malen in der Gruppe trifft. „Es gibt hier so schöne Natur, Weinberge, Wälder, das sind alles tolle Motive, die zum Zeichnen einladen“, schwärmt Nadja Pidan. Und was muss man können, um mitzumachen? Sie lacht. „Nichts, einfach loslegen und der Rest kommt von selbst!“
Kontakt Nadja Pidan ist auch über Facebook erreichbar. Ihre selbst gemalten Bilder sind auf Instagram unter dem Namen nadjapidan_usk zu sehen.