Backnanger Schüler im Lesefieber: Eine ganze Stadt feiert das Lesen
Backnanger Literatour Die elfte Literatour verbindet die Backnanger Schulen zu einem großen gemeinsamen Leseprojekt. Beim Auftakt am Freitag im Bürgerhaus stellt sich das neue Leitungsteam vor, Patenautorin Antonia Michaelis hält die Festrede und Schüler zelebrieren Leselust.
Von Ingrid Knack
Backnang. Der Auftakt zur Literatour gestern Abend im Backnanger Bürgerhaus war ein ganz besonderes Fest. Zum einen, weil es an allen 15 Backnanger Schulen in den nächsten Wochen ein gemeinsames großes Thema gibt: die elfte Literatour. Zum anderen, weil die größte Kinder- und Jugendbuchwoche Baden-Württembergs und „eine der größten Lese- und Buchwochen in ganz Deutschland“, wie der Schirmherr, Oberbürgermeister Maximilian Friedrich, sagte, in die elfte Runde geht. Ob es nach strukturellen Veränderungen in den Schulen und Schulleiterwechseln nach 2017 überhaupt eine weitere Literatour-Ausgabe geben kann, war zunächst nicht sicher. Und dann kam noch Corona.
Nicht nur Fantasybücher, auch realistische Bücher können verzaubern
Antonia Michaelis, die für ihre Mitmenschen hochengagierte Autorin, fuhr tatsächlich gleich nach der Literatour-Eröffnung wieder mit dem Zug zurück in den hohen Norden, weil sie am Tag danach morgens um 9 Uhr mit Schülern der Förderschule Wolgast eine Theaterprobe hat. Zu den angekündigten Lesungen an Backnanger Schulen und zur öffentlichen Lesung am Montag um 19 Uhr im Bürgerhaus wird sie freilich wieder rechtzeitig zurück sein. In ihrer Festrede sprach sie kurz über ihr Schulprojekt in Madagaskar und über eine Buchmesse in Mexiko, wohin sie demnächst aufbricht. Doch vorher will auch sie die Backnanger Schüler verzaubern. Und dies, obwohl sie gar keine Fantasyautorin sei, wie sie betont. Doch verzaubern bedeute ja mehr. „Auch realistische Bücher verzaubern, wenn sie es schaffen, die Leser mitzunehmen, indem sie sie verändern.“ Die „Unbequeme-Worte-Bücher“ bringen laut Michaelis durch die Hintertür Probleme wieder ins Leben, vor denen man vielleicht mithilfe anderer, romantischer Geschichten erst einmal geflüchtet sei. Das ist aber ganz und gar nicht schlimm. Denn: „Wir können beim Lesen jemand anderes sein.“ Und wenn man dann auf Probleme der eigenen Welt oder vielleicht einer anderen Welt stoße, „können wir auch ganz ohne Drachen mit den Helden eine Lösung finden. Und wenn wir das Buch zuklappen, sagen wir, ich habe jetzt über eine Sache nachgedacht, über die ich vorher nie nachgedacht habe. Denn wir als Leser sind ja per se eine privilegierte Schicht. Die meisten Kinder in dieser Welt haben noch nie ein Buch in der Hand gehabt. Und sie werden es auch nie in der Hand haben. Die meisten Kinder können überhaupt nicht lesen“. In den meisten Regionen seien Kinder, wenn sie denn Glück hätten, Arbeitskräfte, wenn sie Pech hätten, Bettler.
„,Lesen verzaubert‘ ist nicht nur ein Motto, sondern ein Lebensgefühl“
Heinz Harter betrachtete das Thema Lesen aus einem etwas näherliegenden Blickwinkel. Die aktuelle Bildungsstudie der Stiftung Lesen habe gezeigt, dass immer weniger Kindern zu Hause vorgelesen werde. Vor allem dann, wenn diese in die Schule kämen. „Es ist also wichtig, dass wir mit unserer Literatour auch die Eltern erreichen und ihnen Anstöße geben, immer wieder vorzulesen beziehungsweise das Lesen zu Hause und die Lust auf Bücher zu fördern.“ Was einem entgeht, wenn man nicht liest, drückte Thomas Maier so aus: „,Lesen verzaubert‘ ist nicht nur ein Motto, sondern ein Lebensgefühl. Lesen lässt dich Dinge erleben, Perspektiven wechseln, du lernst, dich in andere hineinzuversetzen und Zeit und Raum zu vergessen.“
Oberbürgermeister Maximilian Friedrich sagte: „Ein Buch ist ein einfaches Medium. Erst wenn man sich darauf einlässt, entfaltet das Buch seinen Zauber, entwickeln wir in unserer Fantasie ein Szenario, die ehedem langweiligen Buchstaben beginnen zu leben. Damit wird eine wichtige Funktion von Literatur – nicht nur für jugendliche Leser – deutlich: Beim intensiven Lesen tauchen wir in eine andere Welt ein und lassen uns verzaubern – getreu dem diesjährigen Motto.“ Der Rathauschef bezeichnete die Literatour als große und großartige Gemeinschaftsleistung aller Backnanger Schulen, der Backnanger Buchhandlungen, der Stadtbücherei, des Bandhaus-Theaters, des Kultur- und Sportamts, des Jugendreferats, des Amts für Familie, Jugend und Bildung sowie des gesamten Elternbeirates. Und er erwähnte, dass aufgrund der kurzen Planungszeit und aus Gründen der Pandemie der Backnanger Gemeinderat dem Vorbereitungsteam 70000 Euro als Planungssicherheit gewährt habe. Auch zahlreiche Sponsoren unterstützen das Großprojekt.
Ihre Vorfreude auf die Lesewoche drückte die Theater-AG des Gymnasiums in der Taus in einem Impuls zum Motto „Lesen verzaubert“ aus. Der Kinderchor der Plaisirschule und eine Band des Tausgymnasiums luden unter anderem alle Besucher zu einem Kanon zum Literatour-Motto ein. Die Pestalozzischule präsentierte einen Tanz und der Chor der Talschule eine Piratenballade. Die Leselust wurde mit alledem so richtig befeuert.
Die nächste Station der Literatour ist nun die Lesung von Barbara Rose am morgigen Sonntag um 11.15 Uhr im Fritz-Schweizer-Saal des Bürgerhauses.
Foto: Alexander Becher