Neu im Kino

Barocke Girl-Power im Internat

Das musikalische Historiendrama „Gloria!“ bringt Vivaldi und Rock n’ Roll, Aufklärung und Feminismus zusammen. Geht das?

Berauschend neue Klänge: Virtuos entfacht die Magd Teresa (Galatéa Bellugi) mit dem 
Pianoforte ein musikalisches Klangfeuerwerk.

© Neue Visionen Filmverleih

Berauschend neue Klänge: Virtuos entfacht die Magd Teresa (Galatéa Bellugi) mit dem Pianoforte ein musikalisches Klangfeuerwerk.

Von Kathrin Horster

Um 1800 gehört die Musik vor allem Gott im Himmel und dessen Stellvertretern auf Erden. Die sinnlichen Bedürfnisse des einfachen Volkes spielen damals keine Rolle, erzählt die italienische Singer-Songwriterin und Schauspielerin Margherita Vicario in ihrem Regie-Debüt „Gloria!“ über eine Gruppe von Waisenmädchen in einem Musikinternat bei Venedig. Die jungen Frauen stehen unter der Fuchtel des autoritären Kapellmeisters Perlina (Paolo Rossi), der sich selbst für einen genialen Komponisten hält, jedoch keine Note für den anstehenden Besuch des Papstes zustande bringt. Viel musikalischer ist die stumme Magd Teresa (Galatéa Bellugi), die im Keller der Schule ein damals noch neuartiges, von Perlina verschmähtes Klavier entdeckt.

Die Genese einer revolutionär anderen Musikauffassung

Wie klingt Musik, die nicht auf klassischer Harmonielehre beruht und die von einem Menschen kreiert wird, der keine musikalische Bildung erfahren hat, fragt Margherita Vicario. Die Antwort: Wie eine Ur-Form des Rock ’n’ Roll, für die Teresa das Klavier als Rhythmus-Instrument benutzt, wie Jerry Lee Lewis gut 150 Jahre später. In Teilen könnte man Margherita Vicarios Erzählung a-historisch nennen, zumindest, wenn es um die Genese einer revolutionär anderen Musikauffassung geht, die sich von den Regeln der Klassik zu emanzipieren versucht. Vicarios Herangehensweise, historisch Verbürgtes oder zumindest Mögliches mit freier Erfindung und moderner Zuspitzung zu kombinieren, erinnert an Sofia Coppolas Strategie, in ihrem frechen Biopic „Marie Antoinette“ das vorrevolutionäre Rokoko um 1780 mit der popkulturellen Ästhetik des Post-Punk und New Wave der 1970er und 1980er Jahre zusammen zu denken.

Während Sofia Coppola ein Kommentar auf in ihrem im kleinsten Kern vergleichbare hedonistische Jugendbewegungen gelingt, bringt Vicario Vergangenheit und Gegenwart weniger schlüssig zusammen. „Gloria!“ erweist sich besonders in der ersten Hälfte als interessantes, eher konventionelles Historiendrama, das von weiblichen Ambitionen in einer von feudalistischer Unterdrückung geprägten Zeit erzählt, in der mit der Aufklärung immerhin erste Anzeichen der Moderne und damit auch neue soziale Möglichkeiten aufscheinen. Schön ist auch, wie Vicario Vivaldis titelgebendes Gotteslob „Gloria“ neben die von Alltagserfahrungen bestimmten Improvisationen Teresas am Klavier stellt.

Am Ende ein Girl-Power-Feel-Good-Movie

Damit hebt sie die Qualitäten sowohl der sogenannten „E-Musik“ als auch der teils bis heute als banale Unterhaltung geschmähten Popmusik hervor. Wenig glaubwürdig ist allerdings das völlig überzogene Ende mit einem außer Rand und Band geratenen Frauenorchester, das den Papst in der Messe mit einer eigenwilligen Darbietung schockiert. Naiv und quasi auf den letzten Metern kreuzt Vicario ihr Historiendrama noch mit dem feministischen Girl-Power-Feel-Good-Movie und konterkariert damit die gute Idee, ein Stück Geschichte für ein heutiges Publikum nachvollziehbar abzubilden.

Gloria! Italien, Schweiz 2024. Regie: Margherita Vicario. Mit Galatéa Bellugi, Paolo Rossi. 105 Minuten. Ab 12 Jahren.

Filmszene aus „Gloria!“

© Neue Visionen Filmverleih

Filmszene aus „Gloria!“

Filmszene aus „Gloria!“

© Neue Visionen Filmverleih

Filmszene aus „Gloria!“

Filmszene aus „Gloria!“

© Neue Visionen Filmverleih

Filmszene aus „Gloria!“

Filmszene aus „Gloria!“

© Neue Visionen Filmverleih

Filmszene aus „Gloria!“

Filmszene aus „Gloria!“

© Neue Visionen Filmverleih

Filmszene aus „Gloria!“

Filmszene aus „Gloria!“

© Neue Visionen Filmverleih

Filmszene aus „Gloria!“

Filmszene aus „Gloria!“

© Neue Visionen Filmverleih

Filmszene aus „Gloria!“

Filmszene aus „Gloria!“

© Neue Visionen Filmverleih

Filmszene aus „Gloria!“

Zum Artikel

Erstellt:
27. August 2024, 15:20 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen