Beim Klimawandel hört der Spaß nicht auf

Thomas Weber und James Geier haben zu ihrer „Strandpartie“-Premiere ins Kabirinett nach Großhöchberg eingeladen – mit Träumen um ein genussvolles Leben am schwäbischen Meerbusen, ausgewählten Liedern mit Wiedererkennungsanker und einer feinen Portion Selbstironie.

Thomas Weber (links) legt Hand an, damit das Ambiente noch besser passt, und pumpt sein Plastikpälmchen auf. James Geier unterstützt mit dem Song „Wenn jetzt Sommer wär“. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Thomas Weber (links) legt Hand an, damit das Ambiente noch besser passt, und pumpt sein Plastikpälmchen auf. James Geier unterstützt mit dem Song „Wenn jetzt Sommer wär“. Foto: Alexander Becher

Von Christine Schick

Spiegelberg. Das Bühnenbild des neuen Open-Air-Stücks im Theater Kabirinett gibt eine Idee davon, was das Publikum am Abend erwartet. Vor den Reihen aus Sitzkartons auf der grünen Wiese und vor ländlicher Großhöchberg-Idylle thront ein mächtiger Haufen Sand mit Holzpflöcken, Sonnenstuhl, Eimerchen und Schäufelchen. Und mit dem Einmarsch von Thomas Weber und James Geier in güldenen Jacken und in der Manier selbstverliebter Starurlauber und Profianimateure ahnt man zumindest schon, wohin die Reise gehen könnte.

Thomas Weber trällert „Baby, ich fühl mich disco“ und bietet gleich eine Mitmachfrequenz unter dem Slogan „Dreh dich im Kreis, schon bist du heiß“ an. Es freut ihn, dass sich die „vergnügungshungrigen Massen am künftigen schwäbischen Meerbusen“ eingefunden haben. Ebenso, dass ihm James Geier als halber Schotte mit Stimme und Gitarre zur Seite steht. Denn es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Klimawandel die Polkappen zum Schmelzen gebracht hat, das Wasser auch in Großhöchberg angekommen ist und das Leben sich neben der guten „Strandpartie“ auch zur Strandparty wendet. Bis dahin schicken sich die beiden an, ihren Gästen „im Wartesaal der Ebbe“ den Abend zu versüßen – mit gut gelaunter Selbstironie und thematisch ausgewählten Liedern von „La paloma“ über „Wenn jetzt Sommer wär“ bis hin zu „Westerland“.

Da werden der Aperol Spritz und Hawaitoast wiederentdeckt und die italienische Küche in Bezug auf die korrekte Bezeichnung halb gar serviert. Thomas Weber ist aber vor allem darauf konzentriert, sich auf das nahende Strandleben einzustimmen. Beispielsweise indem er sich auf einer seelisch-philosophischen Ebene motiviert, die Veränderungen des Klimawandels mit Freude willkommen zu heißen, wie die „Schwiegermutter, die für immer bleibt“. Und ganz praktisch – damit in nicht mehr allzu ferner Zeit Hamburg, Bremen und Stuttgart einer „under water world“ geweiht sind und der Großhöchberger Meerbusen greifbar wird –, indem er ein paar Tipps zum Mithelfen gibt: Immer fleißig Lebensmittel kaufen, gut in Plastik verpackt, und am besten auch ruhig mal alles in allem unverbraucht wegschmeißen. Männer können punkten, indem sie sich keine Bohrmaschine leihen, sondern selbst eine kaufen, und der Stromanbieter wird so ausgewählt, dass sich das nächstgelegene Kohlekraftwerk unterstützen lässt. Dann winkt er dem Laster des örtlichen Biogärtners – doch nicht. Schließlich ist nur dessen alte Karre, die wenigstens kontinuierlich Öl verliert, wirklich hilfreich für sein Projekt. Ob das genauso spontan improvisiert ist wie die Szene mit einem Trio, das in der Nähe vorbeiwandert und das der Kabirinett-Chef genüsslich als „Probetouristen“ mit einbaut, sei dahingestellt. Beides macht jedenfalls wirklich Laune. Gleichzeitig bietet das traumhafte Ambiente eine Art Doppelbödigkeit: diesen seltsam anmutenden Kontrast zu einem Fleckchen Erde, auf dem einem die Insekten um die Nase schwirren, Vögelchen um die Wette tirilieren und der Landwirt nebenan mit dem Trecker noch auf dem Feld arbeitet. Die Umgebung scheint zu rufen: Es gibt sie noch, die Natur. Schaut, wie schön sie ist!

Indes sind Thomas Weber und James Geier beim Robinson-Crusoe-Szenario angekommen, das eben nichts mit dem Nichtstun zu tun hat, sondern nach Webers Lesart vielmehr mit klarer Zielsetzung, Tabellenkalkulation und täglicher Selbstoptimierung. Ein paar „Strandpartie“-Lieder später wird der allmählich ungeduldig und beschwört den chinesischen Geist großer Projektvorhaben. Nach der Pause mit charmantem Snackangebot steigert sich das Nicht-mehr-warten-Können des sofortlieferungs- und premiumurlaubsverwöhnten Wahlgroßhöchbergers, bei dem auch das dörfliche Leben den einen oder anderen Seitenhieb abbekommt. Schon mit einem Bein im Blues beschwört er nochmals seine Vision: „Die Pegel steigen, das Wasser rückt näher, Täler werden zu Fjorden, dann sind wir der Norden, können baden in Württemberg.“ Wenn sich dann nach Stuttgart segeln lässt, liegt sozusagen nahe, dass Großhöchberg zum neuen Sylt wird. Im Gespräch mit einer Nachbarin – Gloria – malt er sich die Sache nochmals in den schönsten Farben aus: Die Winterreifen sind nach Tibet vertickt, der Dorfstrand ist ein Hotspot für Surfer, es winken Bananensaft aus eigenem Anbau und ein wieder in Betrieb genommener Lift in Jux – fürs Wasserskivergnügen. „Und in Spiegelberg können wir durchs Glasmuseum durchtauchen, das wird paradiesisch“, prophezeit er.

Die Landung ist hart, als Thomas Weber schließlich erfährt, dass der Anstieg des Meeresspiegels von rund sechs Metern einfach zu wenig für das auf 535 Metern gelegene Großhöchberg ist. „Da müssen wir 529 Meter zum Strand laufen“, stellt er ernüchtert fest und fängt sich aber vergleichsweise schnell – nach dem Motto die Strandparty muss weitergehen. Der Vorhang fällt nicht, vielmehr drehen die beiden eine Runde um die eigene Sanddüne und werden mit einem warmen, langen Applaus belohnt. Thomas Weber und James Geier und den Gästen hat die Sache ganz offensichtlich Spaß gemacht. Für die, die mögen, gibt es außerdem noch passend zum Abschluss einen Aperol Spritz an der Biergartenbar.

Stück „Strandpartie“ ist nach „Fireabend“ und „Pfefferkuchenmänner“ das dritte Abendprogramm von Thomas Weber und James Geier und versteht sich als eines zum „Mitsingen, Lachen und Weiterdenken“. Die Vorstellungen beginnen jeweils um 20 Uhr und finden draußen statt. Karten und Informationen unter www.kabirinett.de.

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Erstellt:
13. Juni 2022, 11:30 Uhr

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