Blick in die Seele der Figuren
Unter dem Titel „Zeitsprung“ stellen Ubbo Enninga und Wolfgang Kienle Skulpturen und Grafiken in der Galerie des Backnanger Heimat- und Kunstvereins aus. Was sie verbindet, ist die Darstellung des Menschen und eine über 30 Jahre lange Freundschaft.
Von Claudia Ackermann
BACKNANG. Schon mehrfach haben sie zusammen ausgestellt. Im Backnanger Helferhaus waren im letzten Jahr Werke von ihnen beim vorweihnachtlichen Kunstmarkt mit Künstlern aus der Region zu sehen. Aber es ist ihre erste gemeinsame Doppelausstellung. Enninga und Kienle zeigen Werke, die in einem Zeitraum von den 1980er-Jahren bis in jüngste Zeit entstanden sind.
Ubbo Enninga ist 1955 in Biedenkopf in Hessen geboren. Nach dem Kunststudium in verschiedenen Städten ist er seit 1983 freischaffender Bildhauer und lebt und arbeitet heute in Stuttgart. Zum Teil lebensgroße Statuen sind von ihm im öffentlichen Raum ausgestellt, wie etwa die Bronzeskulptur „El Nino“ in Radolfzell am Bodensee. Die Skulptur ist ihm so lebensecht gelungen, dass ein Jugendlicher einen Notruf bei der Polizei auslöste und erklärte, am Ufer des Sees würde eine nackte Person hocken und nicht auf Zurufe reagieren. In der Galerie des Heimat- und Kunstvereins im Helferhaus stellt Ubbo Enninga kleinere Werke aus. „Sprung in die Zeit“ ist der Titel einer Terrakottafigur, die in diesem Jahr entstanden ist. Der nackte Männerkörper scheint zu schweben. Arme und Beine weisen in verschiedene Richtungen. Man müsse alle Richtungen präsent haben, um in die neue Zeit zu springen, sagt der Künstler bei einem Vorabrundgang durch die Ausstellung.
Der österreichischen Bildhauer Alfred Hrdlicka gehört zu den Porträtierten.
Die Skulpturen sind durchweg Akte oder Porträts. Bei einem Aluminiumguss hat Enninga den Charakterkopf des österreichischen Bildhauers Alfred Hrdlicka porträtiert. Das Gesicht ist konkav nach innen gearbeitet. Betrachtet man das Werk mit Abstand, entsteht eine spannende Wirkung: Die Konturen scheinen plötzlich nach außen zu ragen, und die Blicke verfolgen den Betrachter im Raum. Geballte Fäuste säumen das Porträt wie ein Rahmen. Sie verweisen auf die kommunistische Haltung des im Jahr 2009 verstorbenen Bildhauers, so Ubbo Enninga.
Der Bronzeguss eines männlichen Körpers ist zu sehen, bei dem der Künstler die Gusskanäle stehen gelassen hat, sodass die Figur in gebeugter Haltung wie in einem Käfig eingeschlossen wirkt. „Er lässt über sich ergehen, was da kommt“, kommentiert der Künstler. Fein ausgearbeitet ist jeder Muskelzug der Figur. Obwohl sie gefangen zu sein scheint, geht etwas Entspanntes von ihr aus. Zum Teil sind die Skulpturen noch Gipsmodelle, die der Künstler mit dem friesischen Namen so bemalt hat, dass sie mit Beleuchtung fast metallisch wirken. Es bleibt offen, ob sie später in Bronze gegossen werden und dadurch noch einmal eine Veränderung durchlaufen.
Umgestaltungen und Weiterentwicklungen haben auch frühe Werke von Wolfgang Kienle erfahren. Der 1950 in Stuttgart geborene Künstler, der an der Akademie der Bildenden Künste in seiner Heimatstadt Grafik und Malerei studierte, hat im Jahr 2019 begonnen, seine 30 Jahre alten Radierungen mit dem Pinsel zu überarbeiten, sodass sie in völlig neuem Gewand erscheinen.
Auch bei seinem Schaffen steht der Mensch im Mittelpunkt und im Besonderen weibliche Akte. Die Kaltnadelradierungen sind alle mit Aktmodellen entstanden und wurden dann in seinem Atelier in Stuttgart weiterbearbeitet. Jahrelang ruhten sie, bevor Kienle sich ihrer noch einmal mit Pinsel und Gouache annahm. „Wenn also plötzlich scharfkantige Linien früher Kaltnadelradierungen Sprünge ins Malerische fordern, tauschen sich neue Komponenten und Auffassungen und bauen auf alte Erfahrungen Neues auf. Es sind gewandelte, druckgrafische Sprünge“, so Kienle.
Diesen Kaltnadelübermalungen ging bereits ein vorbereitender Sprung voraus, sagt der Künstler. 2017 erweckte ein neues Material sein Interesse. Es entstand ein zweiter, völlig neuer, druckgrafischer Schwerpunkt. Als Druckstock verwendet der Künstler hierbei Tetra-Pak. „Das Experimentieren mit der noch weitgehend unbekannten Carborundumtechnik bot völlig neue Möglichkeiten. Jetzt waren unmittelbare, spontane Pinselzeichnungen direkt auf dem Druckstock möglich, um den Weg ins Malerische auszuloten.“
Zur Ausstellung ist ein 200 Seiten umfassender Katalog als großformatiger Bildband erschienen, der rund 160 Werke der beiden Künstler mit begleitenden Texten enthält. Am Eröffnungstag der Ausstellung ist er zum Vorzugspreis von 25 Euro erhältlich.
Die Outdoor-Vernissage findet am Sonntag, 11. Oktober, um 11.30 Uhr im Markgrafenhof neben dem Stadtturm statt. Eine Einführung hält Ulrich Olpp, Vorsitzender des Heimat- und Kunstvereins.
Die Ausstellung kann bis 8. November im Helferhaus, Petrus-Jacobi-Weg 5, besichtigt werden. Öffnungszeiten sind: Dienstag bis Freitag von 17 bis 19 Uhr, Samstag und Sonntag von 14 bis 19 Uhr.