Ausstellung in der Schirn Frankfurt: Casablanca Art School

Casablancas pulsierende Kunst nach der Unabhängigkeit

Als Marokko unabhängig wurde, entstand in Casablanca ein modernes und aufregendes Kunstzentrum. Höchste Zeit, dass daran erinnert wird. Die Schirn in Frankfurt hat den Versuch gewagt.

Künstler wie Mohammed Chabâa brachten ihre neue Kunst mitten in die Stadt.

© Mohamed Melehi /Mohamed Melehi Estate

Künstler wie Mohammed Chabâa brachten ihre neue Kunst mitten in die Stadt.

Von Adrienne Braun

Natürlich hatte man seine Vorstellung von wahrer Kunst im Gepäck. Deshalb war für die Franzosen völlig klar, dass sich die jungen Leute in Marokko mit den berühmten Franzosen befassen sollen, mit Watteau, Poussin, Manet, Monet – und nicht etwa mit afrikanischer Volkskunst, mit marokkanischer Töpferware oder arabischer Kalligrafie.

An der Kunsthochschule in Casablanca, die 1919 gegründet wurde, sollte selbstverständlich das unterrichtet werden, was man in Paris für richtig hielt.

In der Weltgeschichte gibt es viele Kapitel über Invasoren, die kulturelle Traditionen selbstgefällig unterdrückten – und an vielen Orten dieser Welt versuchen bis heute nachkommende Generationen, ihr verdrängtes Erbe wiederzubeleben.

Die neue Casablanca Art School brachte selbstbewusste Kunst hervor

In Marokko begannen schon vor mehr als fünfzig Jahren Künstlerinnen und Künstler, an die Kultur ihrer Vorfahren anzuknüpfen und diese nicht etwa folkloristisch zu reaktivieren, sondern mit internationalen Strömungen zu verknüpfen. Sie kombinierten etwa die Ideen des Bauhaus mit Tätowierungen der Amazigh, dem ursprünglichen Volk Nordafrikas.

So kam es Anfang der 1960er Jahre zu einem bemerkenswerten Neustart an der Casablanca Art School und entwickelte sich nach der Unabhängigkeit Marokkos 1956 ein pulsierendes Zentrum in der Stadt.

Aber auch wenn man internationale Kontakte pflegte und deutsche Künstler fortan regelmäßig nach Marokko reisten, kennt man hier wenig von den damals entstandenen Werken, die die Schirn Kunsthalle in Frankfurt nun ausgegraben hat: Abstrakte Malerei, die so knallig und bunt ist, so frisch und lebendig, dass man keinen Zweifel hat, wie selbstbewusst diese neue Kunst an den Start ging.

Es muss eine aufregende Zeit gewesen sein. Die alten Lehrpläne wurden kurzerhand ausgetauscht und nun auch Frauen an der Casablanca Art School zugelassen. Weil marokkanische Künstler es allerdings noch immer schwer hatten, ihre Werke auszustellen, eröffneten sie 1969 kurzerhand eine Ausstellung im öffentlichen Raum und hängten ihre Gemälde auf öffentlichen Plätzen auf. In Filmausschnitten kann man noch sehen, wie diese großen Bilder mit schwungvollen Wellen in verschiedensten Farben an den Hauswänden hängen und knallige Farbflächen und abstrakte Formen plötzlich das Straßenbild aufmischten.

Die Schirn hat Originale von Lehrenden und Studierenden aus den Anfangsjahren zusammengetragen, wobei sich das neue Kunstverständnis nicht auf die Leinwand beschränkte, sondern – wie einst auch am Bauhaus – auch Design, Grafik und Architektur mit einbezog.

Beeindruckend sind die Fotos von Gebäuden, die von Architekten und Künstlern gemeinsam gestaltet wurden, Hotels, Krankenhäuser oder Universitäten, die radikal modern wirken etwa mit kühn gestapelten Modulen, serieller Wandgestaltung oder Dekorationen aus abstrakten Formen auf Keramikfliesen.

Auch wenn der Mut zur Farbe unübersehbar ist, waren die künstlerischen Positionen vielfältig. Es entstand politische und aktivistische Kunst – etwa von Farid Belkahia, der die Gewalt der Franzosen im Algerienkrieg thematisierte und eine abstrahierte Figur malte, die an den Füßen aufgehängt wurde. Es entstanden Collagen, Tongefäße und auch neue Magazine.

Was ist aus den Künstlern geworden?

Obwohl die Ausstellung bemüht ist, die Ereignisse möglichst sorgfältig zu dokumentieren und Werke und Personen in eine umfassende Zeitleiste zu pressen, wird letztlich trotzdem nicht greifbar, was das Originäre dieser Kunst aus Casablanca ist und wo man an westliche Trends anknüpft.

Denn so, wie Malika Agueznay florale Formen auf die Fläche brachte, lässt Matisse grüßen. Es gibt Op-Art eines Aly Noury, der die Fläche mit einer schwarz-weißen Spirale zum Flirren brachte oder auch Konkrete Kunst von Abdellah El Hariri, der auf Kreis und Rechteck seriell anordnete. Um all das nicht vorschnell in die westlichen Kapitel der Kunstgeschichte einzuordnen, wären präzisere Erklärungen nötig gewesen.

Eine große Gruppe an Kuratoren, Wissenschaftlern und Künstlern hat in den vergangenen Jahren zur Casablanca Art School geforscht haben, um die Ausstellung möglich zu machen.

Und doch bleiben am Ende für das Publikum viele Fragen offen – etwa wie der internationale Kunstmarkt auf die Casablanca Art School reagierte, wer die einzelnen Akteure genau waren und welche Rolle sie in den kommenden Jahren im Ausstellungsbetrieb in Marokko spielten – und vor allem, was aus ihnen und der Casablanca Art School geworden ist.

Ausstellung Casablanca Art School, Kunsthalle Schirn Frankfurt, Römerberg, bis 13. Oktober, geöffnet Di und Fr bis So 10 bis 19 Uhr, Mi, Do bis 22 Uhr.

Zum Artikel

Erstellt:
12. August 2024, 11:45 Uhr
Aktualisiert:
12. August 2024, 12:47 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen