Clownin Gardi Hutter: „Ich war noch nie so gut wie heute“

Interview Die Autorin und Schauspielerin Gardi Hutter führt am Samstag ihr Theaterstück „Die tapfere Hanna“ im Kabirinett in Spiegelberg auf. Mit 69 Jahren ist sie der Rolle der Clownin Hanna nicht müde, im Gegenteil. Sie findet, dass es nichts Besseres gibt als auf der Bühne zu stehen.

Gardi Hutter in ihrem Stück „Die tapfere Hanna“: Die Wäscherin Hanna sitzt auf einem riesigen Berg dreckiger Wäsche. Foto: Adriano Heitmann

© Adriano Heitmann

Gardi Hutter in ihrem Stück „Die tapfere Hanna“: Die Wäscherin Hanna sitzt auf einem riesigen Berg dreckiger Wäsche. Foto: Adriano Heitmann

Spiegelberg. Schon seit 1981 produziert Gardi Hutter Clown-Theaterstücke und bringt mit ihrer Figur Hanna Zuschauer rund um den Globus zum Weinen und Lachen. Auf tragische und komische Weise scheitert die Clownin jedes Mal und ist vor keinem Unglück sicher. So auch im ersten von neun Werken „Die tapfere Hanna“, mit welchem die Schweizer Schauspielerin und Autorin amSamstag im Kabirinett in Spiegelberg auftreten wird. Fast wortlos erzählt sie die Geschichte, dafür mit viel Brabbelei.

Seit 41 Jahren touren Sie schon mit der Clownfigur Hanna durch die Welt. Was ist an dieser Figur so reizvoll für Sie?

Es geht weniger um „reizvoll“. Hanna ist eigentlich die unglücklichste Person überhaupt. Sie fällt in jedes Loch, die Tücken des Objekts lauern überall und meistens ist sie am Schluss auch tot. Sie ist einfach ein übertriebener Unglücksrabe. Viel schlimmer noch als die Zuschauer im Publikum. Aber sie ist nie Opfer, denn sie steht immer wieder auf. Das wieder Aufstehen ist dabei immer eine Überraschung.

Gilt das für alle neun Stücke?

Es ist ja immer die gleiche Figur in meinen Stücken. Ich habe das Gefühl, die Clownfiguren sind die Kreuzträger, sie übernehmen die ganze Last des Lebens, die ganzen Katastrophen. Die letzte Katastrophe ist schlussendlich immer der Tod, das ist unsere größte Niederlage. Und die Figur in meinen Stücken stirbt zwar, ist aber auch gleich wieder da.

Das Scheitern spielt in allen Stücken ein große Rolle, oder?

Ja. Der Clown ist eine existenzielle Figur. Da geht es um Leben und Sterben, um Gier und Hunger, um die ganz existenziellen Nöte, die wir haben. Mein Theater ist kein tagespolitisches, sondern ein existenziell-politisches. Ich habe bis jetzt neun Stücke gemacht und die Figur Hanna ist am Schluss in allen tot, außer in einem.

Am Samstag sind Sie mit ihrem Stück „Jeanne d’Arppo – die tapfere Hanna“ im Kabirinett in Spiegelberg zu Gast. Was erwartet die Zuschauer dort?

Die Geschichte ist eine sehr einfache. Es geht um eine Wäscherin, die einen riesigen Berg dreckiger Wäsche hat aber davon träumt, eine Heldin zu werden, wie die Heilige Johanna, Jeanne d’Arc. Aber ihr gelingt das nicht und sie geht heldenhaft in ihrem Waschzuber unter. Jeder möchte Held und Heldin sein, aber die meisten schaffen das in ihrem Leben nicht. Sie bleiben im Dunkeln.

Sie haben eine Schauspielausbildung in Zürich absolviert. Seit wann hat die Rolle des Clowns Sie begeistert?

Ich habe während der Schauspielschule gemerkt, dass ich ein komisches Talent habe. Aber es gab für junge Frauen keine komischen Rollen. Das ist im klassischen wie im zeitgenössischen Theater immer noch nicht vorgesehen. Die Alte wird dann komisch, aber die Junge ist tragisch, leidet, sie liebt und stirbt meistens sehr früh weg im Stück. Ich musste mir während der Schule mit Männerrollen behelfen. Und danach habe ich als Schauspielerin gearbeitet und gemerkt, was ich spielen will, ist noch nicht geschrieben. Ich musste das erst selber schreiben. Das Theater ist traditioneller noch als die Gesellschaft. Es hinkt, was Frauen- und Männerrollen betrifft, noch ziemlich hinterher.

Sehen Sie sich da dann ein Stück weit als Vorreiterin für andere Frauen?

Früher war ich Pionierin, gezwungenermaßen. Heute hat sich das ein bisschen verändert. Es gibt sehr viele komische Frauen, aber es sind in der Gesamtheit immer noch wenige.

Sie sprechen in Ihren Stücken fast gar nicht. Welche Herausforderungen ergeben sich dadurch für Ihre Darstellungsform?

Die Sprache ist ja irgendwie das genaueste und das direkteste Ausdrucksmittel. Und wenn ich die Sprache nicht benutze, gehe ich eine Ebene tiefer auf eine emotionale Ebene. Da muss ich vor allem Bilder und Situationen finden, die sich selbst erzählen. Das ist das Faszinierende: Dass ich immer ein bisschen tiefer schürfen muss, weil ich ja nichts erklären kann auf der Bühne.

Was sind die Chancen davon?

Dadurch, dass ich auf dieser emotionalen Ebene bin, bin ich bei den Leuten. Sie lassen sich schneller berühren, weil alle diese Gefühle kennen. Und darum kann ich auch in China oder Brasilien spielen – und die Leute lachen an den gleichen Stellen. Ein bisschen lauter, ein bisschen leiser, aber diese Form des Humors ist allgemein menschlich.

Was kann man vielleicht von der Clownin Hanna in ihren Stücken für sich selbst lernen?

Lernen kann man, dass es im Leben manchmal wirklich schlimm ist, aber man eben nicht immer im Schmerz sein muss. Sondern, dass man ihn vor sich sieht und sagt „Ja, ja, schon ganz schlimm, aber ich lebe.“ Man entspannt sich. Am Schluss der Vorstellung höre ich immer ein tiefes Seufzen im Zuschauerraum. Ich glaube, das ist vor allem eine tiefe Entspannung, die über das Lachen erfolgt.

Vielleicht ist das jetzt gerade umso wichtiger, weil so viele Krisen auf einmal auf uns einprasseln.

Ja, es ist alles schlimm. Im Moment scheint die Welt kurz vor dem Untergang. Und vielleicht geht sie auch unter. Aber wir sagen: „Okay, wir gehen fröhlich.“

Schreiben Sie Ihre Stücke alleine?

Nein, ich habe immer ein Team. Ich schreibe einen ersten Bogen, in welchem ich eine Spielsituation erfinde, also eine große Katastrophe und mögliche Lösungen. Die szenischen Bilder erfinden wir dann in den Proben. Dafür brauche ich unbedingt eine Außeninstanz. Ich brauche jemanden, der draußen steht, damit ich als Spieler voll im Spiel sein kann. Ich habe zum Beispiel einen Regisseur, der auch mein Co-Autor ist.

Gardi Hutter hat in 35 Ländern mit ihren Theaterstücken performt. Foto: Christian Lanz

Gardi Hutter hat in 35 Ländern mit ihren Theaterstücken performt. Foto: Christian Lanz

Sie geben auch Workshops für Schauspieler, so wie am vergangenen Dienstag. Ging es da auch um die Rolle des Clowns?

Ja, das war mit den Theaterstudenten von der Hochschule Ernst Busch. Ich mache mit ihnen Clowntheater, beziehungsweise Körpertheater. Es handelt sich bei meiner Kunst ja nicht um Sprech-, sondern um Körpertheater. Das geht sehr oft ein bisschen verloren, weil wir alle sehr im Kopf und in den Händen leben. Und der ganze Körper kommt bloß irgendwie mit. Ich fange hingegen mit dem ganzen Körper an.

Sind Sie nach der langen Zeit schon etwas müde, in der sie mit der Clownfigur Hanna touren?

Ich hatte ja während der Pandemie ein Jahr ein zu Hause. Das habe ich sehr genossen. Aber ich habe auch gemerkt, ich will nochmal raus. Als Clown wird man erst mit dem Alter richtig gut. Ich war noch nie so gut wie heute. Daher möchte ich zwar ein bisschen weniger arbeiten, aber unbedingt weiterarbeiten. Ich finde, es gibt nichts Schöneres, als auf der Bühne zu spielen.

Das Gespräch führte Anja La Roche.

Gardi Hutter

Person Gardi Hutter wurde 1953 in Altstätten in der Schweiz geboren. Sie besuchte die Schauspiel-Akademie in Zürich und verbrachte drei „Gesellenjahre“ am städtischen Theater Mailand. Seither erarbeitete sie neun Clown-Theaterstücke, drei Musicals und ein Zirkusprogramm, tourte mit mehr als 3 700 Vorstellungen durch 35 Länder, wirkte in Filmen mit und schrieb Bücher.

Preise Die 69-Jährige hat bereits 18 Kunstpreise erhalten, darunter kürzlich als erste Frau den Großen Valentin-Karlstadt-Preis in München.

Tickets Für „Die tapfere Hanna“ morgen um 20 Uhr gibt es noch Karten. Gardi Hutter tritt auf der Openair-Bühne im Kabirinett Spiegelberg auf. Ein Ticket kostet 29 Euro, ermäßig 22. Weitere Informationen unter www.kabirinett.de.

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Erstellt:
22. Juli 2022, 11:30 Uhr

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