ARD-Serie „Families Like Ours – Nur mit Euch“

Dänemark geht unter

In der ARD-Dramaserie „Families Like Ours – Nur mit Euch“ entwirft der Dogma-Regisseur Thomas Vinterberg ein beklemmendes Near-Future-Szenario. Im Zentrum der vom Klimawandel getriebenen dramatischen Ereignisse: die junge Laura und ihre Patchworkfamilie.

Sie drohen sich zu verlieren:  Laura (Amaryllis August, links ) und ihre Mutter Fanny Elias (Paprika Steen)

© Zentropa Entertainments/StudioCa

Sie drohen sich zu verlieren: Laura (Amaryllis August, links ) und ihre Mutter Fanny Elias (Paprika Steen)

Von Ulla Hanselmann

Laura hat sich in Elias verliebt. Wenn sie im Bett für ihr Abitur lernt und müde wird, gibt sie sich erotischen Tagträumen hin. Sie lebt mit ihrem Vater, dessen zweiter Frau und ihrem kleinen Stiefbruder in Kopenhagen in einem schönen alten Haus; mit ihrer Mutter, einer Wissenschaftsjournalistin, die einen Burnout hinter sich hat, ist sie eng verbunden.

Ein ganzes Land geht unter

Der Familie geht es gut, Lauras Vater Jacob ist ein erfolgreicher Architekt. Doch plötzlich besichtigt ein Immobilienmakler mit Kunden das Haus – ihr Vater wolle es verkaufen, erfährt die Teenagerin und ist geschockt. Jacob muss daraufhin seine Tochter mit ungeheuerlichen Tatsachen konfrontieren: „Die Welt geht bald unter. Sie machen das Land dicht, Laura.“

Dänemark in einer „nahen Zukunft“: Der Klimawandel lässt den Meeresspiegel steigen. Weil das nordeuropäische Land zu niedrig liegt und die Regierung nicht mit kostspieligen Küstensicherungsmaßnahmen den ökonomischen Kollaps riskieren will, wie ihn gerade das Nachbarland Niederlande erleidet, entscheidet sie sich für die Evakuierung aller Däninnen und Dänen.

Es ist eine Tragödie von biblischem Ausmaß: Ein ganzes Volk muss fliehen, sich von lieb gewonnenen Menschen, von Besitztümern, von der Heimat trennen und sich ins Ungewisse begeben. Das ist das Ausgangsszenario von „Families Like Ours – Nur mit Euch“, der hervorragend gemachten Dramaserie des Dogma-Regisseurs und Autors Thomas Vinterberg, die nun in der ARD zu sehen ist.

Was bedeutet es, wenn ein ganzes Land aufgelöst wird? Wie geht so etwas vonstatten? Was heißt es für den Einzelnen, für eine Familie, für jemand, der viel oder wenig Geld hat? Wie groß ist die Solidarität in den Nachbarstaaten?

Das Szenario geht nah – Dänemark ist nicht weit weg

In der in Dänemark, Schweden, Tschechien, Frankreich und Rumänien produzierten TV-Serie buchstabiert Vinterberg diese Fragen am Beispiel einer Handvoll Protagonisten durch. Im Zentrum stehen Laura, ihre Patchworkfamilie und nahe Verwandte. Und da ist auch noch der stille, rätselhafte Junge Lucas, den Laura im Hort, wo sie jobbt, betreut und der ein großes Fußballtalent ist. Thomas Vinterberg verfolgt ihr Schicksal über sieben fünfzigminütige Folgen hinweg und zeichnet eine emotional aufwühlende Near-Future-Dystopie, die beklemmend realistisch erscheint und dem Zuschauer auch deshalb so nah geht, weil Dänemark nicht weit weg ist.

Seine Bilder wirken angesichts der Drastik und Dynamik der Ereignisse erstaunlich ruhig und weich, fast stoisch muten sie an – entsprechend der Unausweichlichkeit der Katastrophe wie auch der Haltung Dänemarks, ihr mit geordneter Umsiedlung und bürgernaher Bürokratie zu begegnen. Auf die typische naturalistische Handkamera-Ästhetik jedenfalls, wie sie einst die von Vinterberg 1995 mitbegründete Dogma-Bewegung forderte, verzichtet der Regisseur.

Dass er und sein Co-Autor Bo Hr. Hansen mit der 19-jährigen Laura einen jungen Menschen zur Hauptfigur machen, ist nur konsequent. Schließlich sind es die Jungen, die alles zu verlieren drohen: ihre Zukunft, ihre Träume. Gerade hat die Schulgemeinschaft noch fröhlich in der Aula für eine Aufführung geprobt, ein paar Tage später herrscht dort Schockstarre, als die Regierung die Evakuierungspläne publik macht. Später wird Elias bei der Abiturfeier am gleichen Ort eine verzweifelt-enthusiastische Rede halten. Es sind Szenen, die ins Herz treffen – Vinterberg erweist sich als ein Meister der sprechenden Bilder. Das Pathos, das sie bisweilen umweht, hat seine Berechtigung, schließlich hört ein Land auf zu existieren.

Flüchtlinge? Das waren doch stets Menschen aus dem weit entfernten globalen Süden. Jetzt sind es Europäer, die ihre Existenzen aufgeben müssen. Fluchterfahrungen indes sind universell. Der Verlust von Erspartem und Vermögen die Verteilungskämpfe, das Dickicht der Gesetze, die Dänemark wie auch die sich mehr und mehr abschottenden europäischen Nachbarländer aus der Taufe heben, der Missbrauch derselben etwa durch Schlepper und andere Kriminelle. Aber auch das Auseinanderreißen der Familie, der soziale Abstieg in den Aufnahmeländern, die Abhängigkeit von der Gunst anderer, der Überlebenskampf, das Aufbegehren gegen alle Widrigkeiten – all dies wird plausibel, stets sehr nah an den Figuren geschildert.

Die Stunde der Moral

Die Stunde der Katastrophe ist die Stunde der Moral wie die der gesellschaftlichen Spaltung – beide Motive pushen Dramaturgie und Spannung gehörig. In Vinterbergs Vision kommen die einen glimpflich davon, während es die anderen mit voller Härte trifft. Lauras Onkel Nicolaj und sein Partner Henrik schwimmen dank Nicolajs Insiderwissen als leitender Ministeriumsmitarbeiter vor der Bugwelle. Das wohlhabende Paar weiß seinen Informationsvorsprung zu nutzen. Die Männer stoßen rechtzeitig ihre Immobilien ab, schaffen ihr Geld in die Schweiz und lassen nur ausgewählte Personen an ihrem Wissen teilhaben, während sie andere bewusst ins Verderben rennen lassen. Ihr Egoismus lässt sie große Schuld auf sich laden.

Lauras Patchworkfamilie mutiert zur universaltypischen Flüchtlingsfamilie, die in existenzielle Konflikte geworfen wird. So will Jacob in Paris, wo er berufliche Kontakte von früher hat, neu anfangen und ist dabei bereit, auch Lauras Mutter Fanny mitzunehmen. Fanny aber will sich nicht von ihrem Ex-Mann abhängig machen. Weil sie wenig Geld hat, bleibt ihr nur, mit einem Evakuierungsprogramm nach Bulgarien überzusiedeln. Was Laura vor die verzweifelte Frage stellt: Mit wem soll sie gehen? Und dann ist da noch Elias, ist da diese junge große Liebe. Was hat das Schicksal mit ihr vor?

Vinterberg hat in der anmutigen Amaryllis August und dem eindringlich-präsenten Albert Rudbeck Lindhardt charismatische Jungdarsteller gefunden. Auch der übrige Cast der Familiensaga überzeugt mit seinem reduziertem Spiel. Mit Nikolaj Lie Kaas als Jacob und Paprika Steen als Fanny hat Vinterberg preisgekrönte Darsteller aus der Dogma-Ära verpflichtet; Magnus Millang als Henrik und Helene Reingaard Neumann als Amalie wiederum waren an Vinterbergs Filmerfolg „Der Rausch“ (2020) beteiligt.

Was jenseits von Lauras und Elias’ dramatischen Fluchterlebnissen, die die Serie bald dominieren, am meisten beklemmt: die Beiläufigkeit, mit der die Klimakatastrophe in Szene gesetzt wird. Erst sieht man nur von Wasser getränkte Felder oder überlaufende Gullys. Doch irgendwann, als Kopenhagen menschenleer ist, steht das einst stolze Zentrum der Stadt haushoch unter Wasser. Der Untergang ist unumkehrbar.

Dogma-Mitbegründer Thomas Vinterberg

RegisseurDer vielfach preisgekrönte Regisseur Thomas Vinterberg begründete, gemeinsam mit Lars von Trier, 1995 die Dogma-95-Gruppe, um dem europäischen Arthouse-Film zu mehr Naturalismus zu verhelfen, meißelte Regeln wie das Verbot von technischen Effekten oder den zwingenden Einsatz von Handkamera in ein Manifest und lieferte für den ersten Film der Bewegung, „Das Fest“, das Drehbuch. Zu seinen weiteren bekannten Werken zählt „Der Rausch“ von 2020 mit Mads Mikkelsen.

Termin„Family Like Ours – Nur mit Euch“, Folge 1-4, Freitag, 21. Februar, ab 23.10 Uhr, Folge 5-7, Samstag, 22. Februar, ab 23.40 Uhr, ARD. Ab 21. Februar in der ARD-Mediathek abrufbar.