Neu im Kino: „Heretic“

Das Grauen im Duft des Blaubeerkuchens

Vieles ist nicht, wie es scheint in der intelligenten Horrorkomödie „Heretic“. Hugh Grant gibt darin einen netten älteren Herrn in Strickweste mit sinistren Absichten.

Ob sie es lebend herausschaffen? Die beiden jungen Missionarinnen im Haus von Mr. Reed, der seine eigenen Vorstellungen von Glaube und Religiosität hat. 
Foto: epd/Kimberley French

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Ob sie es lebend herausschaffen? Die beiden jungen Missionarinnen im Haus von Mr. Reed, der seine eigenen Vorstellungen von Glaube und Religiosität hat. Foto: epd/Kimberley French

Von Kathrin Horster

Ein hübsches Häuschen steht versteckt zwischen Bäumen am Weg von Schwester Paxton (Chloe East) und Schwester Barnes (Sophie Thatcher). Gerade, als die beiden das Gartentor passiert haben, lösen sich erste fette Tropfen aus der Gewitterwolke über ihnen und der Wind weht auf. Gott sei Dank öffnet ein netter älterer Herr namens Mr. Reed die Tür. Der wird im finster-lustigen Horrorstück „Heretic“ des Autoren- und Regieduos Scott Beck und Bryan Woods von keinem Geringeren als dem Briten Hugh Grant verkörpert. Bisher war er vor allem berühmt als Beau und Schwiegermutter-Magnet mit Schmachttolle und Gentleman-Appeal in seiner seit den 1990ern florierenden Komödien-Karriere. Bis heute nudeln besonders zur Weihnachtszeit britische RomComs wie „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“, die „Bridget Jones“- Filme und der absolute Hit „Tatsächlich…Liebe“ im TV und bei den Streamingdiensten rauf und runter. All jenen, denen der Zuckerguss der alten Filme inzwischen schwer im Magen liegt, jagt Hugh Grant in diesem Jahr auf der Kinoleinwand als grinsender Mr. Reed einen gehörigen Schrecken ein.

Aroma-Kerze hilft bei der Täuschung

Dabei würde man diesem mit Silberhaar, Kassenbrillengestell und biederer Strickweste bewaffneten Herrn um die Sechzig nichts Böses zutrauen, als der die Mormonen-Schwestern auf Bekehrungstour herein bittet. Den Frauen ist dennoch mulmig, weil sie ein Haus nur betreten dürfen, wenn neben dem Besitzer auch dessen Gattin anwesend ist. Die sei in der Küche, lügt Mr. Reed charmant, sie backe einen Blaubeerkuchen.

Der feine Duft kommt aber nicht vom Gebäck, sondern von einer Aroma-Kerze, und auch sonst ist vieles faul in diesem altmodischen Puppenhaus, in dem Mr. Reed den unheilvoll schmachtenden Hollies-Song „All I need is the Air that I breathe“ wieder und wieder abspielt. Schon dieser Einstieg macht irre viel Spaß, doch die horrorerfahrenen Filmemacher Scott Beck und Bryan Woods haben abseits der schönen Plot-Details und Schauwerte noch mehr in petto.

„Heretic“ erzählt vom Glauben und der Enttäuschung durch Desillusionierung. Man kann das Werk als Parabel über Religiosität verstehen, oder allgemeiner als Lehrstück über das Gute in dunkler Zeit.

In Schwester Paxton und Schwester Barnes findet Reed zwei unbedarfte Opfer für ein grausames, erkenntnistheoretisches Experiment. Während die drei auf das Erscheinen von Mrs. Reed warten, entspinnt sich ein angeregtes Gespräch über das Mormonentum, doch als die Frauen mit Einbruch der Dunkelheit gehen wollen, bleibt die Haustür fest verschlossen. „Glaube“ und „Nichtglaube“ krakelt Reed mit Kreide auf zwei Türen; die eine soll zum Ausgang des Hauses führen, die andere sonst wohin. Paxton und Barnes müssen wählen.

Humor trifft auf Entsetzen

Beck und Woods gelingt es lange, Reeds wahre Absichten im Dunkeln und damit auch die Spannung hoch zu halten. In gelehrten Vorträgen vergleicht Reed die drei großen Weltreligionen mit Popsongs und Brettspielen, was urkomisch ist und hervorragend funktioniert. Wer angesichts der smarten Taschenspielertricks lauthals lacht, bekommt es im weiteren Verlauf mit Entsetzen zu tun, weil sich Mr. Reed als extrem sinistrer Zeitgenosse mit schlimmem Kontrollzwang erweist, dem sich die anfangs unscheinbaren Mormoninnen erstaunlich wehrhaft und mit sämtlichen weltlichen Wassern gewaschen entgegen stellen.

Dem versierten und abgebrühten Horrorpublikum könnte „Heretic“ mit seinem hauptsächlich auf den Intellekt zielenden Plot zu zahnlos bleiben – statt Jump Scares gibt es Denksport.

Der französische Terrorschocker „Martyrs“ (2008) hat das Glaubensthema schon früher ähnlich und kompromissloser verhandelt, er ist nur in seiner Brutalität kaum zu ertragen. Einem im Horror unerfahrenen Publikum könnte „Heretic“ wiederum mit einigen wenigen expliziten Szenen zu hart an die Nieren gehen, trotz der liebevollen Inszenierung, des lustig gehässigen Humors und des hervorragenden Spiels des kleinen Ensembles.

Das seltsame, zwiespältige Ende bleibt immerhin deutungsoffen: Als unangenehm konservatives, christliches Heilsversprechen in einer von Ketzern dominierten Welt oder aber als verzweifelter Durchhalte-Appell an all jene, die abseits einer Konfession und Zeitgenossen wie Trump, Putin oder Xi Jinping zum Trotz an ethischen Überzeugungen hängen und sich von deren Zynismus nicht zermürben lassen wollen. Wem soviel Hintersinn zu viel sein sollte, kann sich auch schlicht an der wunderbaren Verwandlung Hugh Grants erfreuen.

Heretic. USA 2024. Regie: Scott Beck, Bryan Woods. Mit Chloe East, Hugh Grant, Sophie Thatcher. 110 Minuten. Ab 16 Jahren. Start: 26. 12. 2024

Grant im Horrorfach

Buh-Effekt Als „Jump Scare“ bezeichnet man einen im Horror-Genre typischen Schreckmoment, ausgelöst durch sprunghafte Bewegungen ins Bild. In „Heretic“ gibt es nur einen einzigen mit einer Spinne. Beck und Woods warten dafür mit anderen, nicht weniger schaurigen Schrecken im Keller von Mr. Reed auf. Besonders pfiffig: Die Szene mit einem Labyrinth-Modell.

Buh-Mann Seinen internationalen Durchbruch begründete Hugh Grant 1994 in „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“, zuvor hatte er in der Literaturverfilmung „Maurice“ nach E.M. Forster über eine schwule Romanze im edwardianischen England Erfolg. Obwohl er 1995 beim Sex mit einer Prostituierten im Auto erwischt worden war, reüssierte er weiterhin als Saubermann im Komödienfach, etwa 1999 in „Notting Hill“. Mr. Reed ist die erste Horror-Rolle des 64-Jährigen.

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Erstellt:
27. Dezember 2024, 11:52 Uhr

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