Intendant Werner Schretzmeier

Das Theaterhaus bringt den „Geheimplan gegen Deutschland“ auf die Bühne

Rechte wollen Millionen Menschen aus Deutschland rauswerfen, das weiß man spätestens seit den Correctiv-Recherchen zum Geheimtreffen in Potsdam 2023. Dazu gibt es auch ein Theaterstück. Werner Schretzmeier vom Theaterhaus Stuttgart greift es auf: „Geheimplan gegen Deutschland und Opas Heimat“.

Intendant und Regisseur Werner Schretzmeier vor dem Theaterhaus in Stuttgart

© s/Annette Cardinale

Intendant und Regisseur Werner Schretzmeier vor dem Theaterhaus in Stuttgart

Von Kathrin Waldow

Nach der Berichterstattung des Correctiv-Rechercheteams zu einem geheimen Treffen von Rechtsgesinnten, AfDlern, CDUlern, Neonazis, Identitären und Geldgebern in Potsdam Ende 2023 und deren Plänen, Millionen Menschen aus Deutschland zu vertreiben, kam es zu Demonstrationen gegen Rechts in vielen Städten. Die Ergebnisse der vergangenen Europa- und Kommunalwahlen sprechen wiederum die Sprache derer, die sich für rechtsorientierte Szenarien begeistern können. Ein gespaltenes Land? Werner Schretzmeier, Leiter des Theaterhauses, setzt auf Informationsvermittlung. Auch sein neues Stück, die szenische Lesung „Geheimplan gegen Deutschland und Opas Heimat“, das nun Premiere feiert, zielt darauf ab.

Herr Schretzmeier, leichte Unterhaltung kann man bei dem Abend sicher nicht erwarten. Auf was können sich die Besucherinnen und Besucher einstellen?

Auf Informationen, die ganz notwendig sind, die man vielleicht bruchstückhaft hat. Hier wird kompakt angeboten, was in Potsdam passiert ist. Es werden konkrete Namen genannt. Es gibt diese Aufklärungs- und Informationsebene von diesem Treffen und andererseits die Erzählung einer realen Familie, die heute auch in unserem Land lebt und in ihrer Geschichte ihre Empfindungen und Befürchtungen, ihre Kraft und Energie mitteilt. Es ist nicht so, dass man anschließend aus dem Fenster springen will. Man sollte den Abend informiert und hoffnungsvoll verlassen. Es muss dieser berühmte Horizont am Ende da sein. Das ist mir wichtig, alles andere ist ja furchtbar, wenn man das Publikum nur verstört.

Sie führen zwei Texte zusammen, die völlig separat entstanden sind?

Ja. Es sind zwei Geschichten zu einem Thema, das Millionen Menschen betrifft. Und wir machen daraus eine große Erzählung. „Geheimplan gegen Deutschland“ gibt es seit Januar, der Text wurde vom Berliner Ensemble uraufgeführt und an dem Abend auch live gestreamt. Das haben rund 50 000 Menschen gesehen, man kann es mittlerweile auch auf Youtube anschauen. Der Text steht jedem zur Verfügung, die Redaktion von Correctiv hat ihn bereitgestellt. Wir verwenden ihn komplett. Es ist die Geschichte von dem Treffen in Potsdam, in dessen Zentrum der Identitäre Martin Sellner aus Österreich steht, der über die gesamte Gemengelage der Remigration berichtet. Es gibt auch fiktionale Teile, die aus der Erinnerung reproduziert wurden. Dieser Teil, „Geheimplan gegen Deutschland“, ist journalistisch, nüchtern und eher die kalte Seite dieses Stückes. Der warme Teil ist „Opas Heimat“.

Was kann man sich darunter vorstellen?

Opas Heimat ist ebenfalls bereits veröffentlicht worden. Die Geschichte habe ich in der Taz gelesen und das hat mich gleich fasziniert, weil es so pragmatisch und persönlich war. Die Autorin ist Derya Türkmen, sie ist Autorin für die Taz in Berlin. Dort hat sie vor einigen Wochen einen großen Artikel über ihre Familiengeschichte geschrieben und was dieses Treffen in Potsdam mit ihrer Familie macht. Das ist eine Familie, die auf eine über 50-jährige Anwesenheit in Deutschland zurückblickt, die Kinder sind alle Deutsche, die Eltern haben teilweise die doppelte oder türkische Staatsbürgerschaft. Der Opa kam 1970 nach Deutschland. Derya erzählt, was der Opa alles geleistet hat, wie er mit seinen Freunden in Rinteln in Niedersachsen lebt. Der bescheidene Wohlstand durch die harte Arbeit, damit die Kinder Bildung genießen können. Derya erzählt auch über ihre deutsche Freundin, die einen türkischen Mann heiratet und wie sie dieses Treffen in Potsdam betrifft. Durchgehend ist das Thema: Was passiert mit uns? Opas Heimat ist im Grunde eine sehr positive Geschichte. Weil Menschen ihre Existenz wunderbar aufgebaut haben und erfolgreich sind und das nicht hergeben wollen.

Wieso bringen Sie das Thema in der Form auf die Bühne?

Beim Lesen wusste ich sofort, diese beiden Dinge müssen zusammengebracht werden, damit man die Möglichkeit hat, dieses kalte Entsetzen über die Gedanken und diese verheerende Brücke zu den Auswirkungen dieser rechtsextremen Gedanken zu verstehen. Beide Geschichten werden verzahnt, und es könnte etwas werden, wo man als Zuschauer nicht nur einen informellen, sondern auch einen emotionalen Mehrwert mitbekommt. Ich möchte in dieser Zeit, in der wir gerade leben, an dieser Problematik nicht vorbeilaufen. Wir haben die Möglichkeit, den Leuten mindestens einen Horizont aufzuzeigen, was sie daraus machen, das kann ich und das kann auch Journalismus nicht vorschreiben, aber wenn man Informationen, die einen so schrecklichen Sachverhalt deutlich machen, nicht veröffentlicht, macht man einen Fehler. Das Stück endet mit „Opas Heimat“ bewusst, damit das letzte Wort die Betroffenen haben und nicht die Täter.

Man hat den Eindruck, dass solche Themen auch in der Vergangenheit gerade nicht diejenigen ansprechen, die dadurch vielleicht angesprochen werden sollten. Sondern eher Menschen, die sich für die Themen interessieren, weil sie gegen rechte Tendenzen sind.

Das ist immer die Gefahr. Meine persönliche Erfahrung aus meiner langen Theaterarbeit ist aber, dass auch unter den Leuten, die eigentlich aufgeklärt zu sein scheinen, viele politische Details und Informationen nicht so abgerufen werden können wie allgemein vermutet wird. Das stellen wir auch gerade bei unserem Stück „And now Hanau“ fest. Wir haben da am Abend im Schnitt circa 110 Gäste, davon sind etwa die Hälfte junge Leute zwischen 18 und 30. Insgesamt ist das Publikum dankbar für diese Informationen. Wir machen auch Nachgespräche. Das ist wichtig und oft berührend. Und das sind auch Menschen, die interessiert sind und sich für informiert gehalten haben. Ich habe gemerkt, dass auch die sogenannte aufgeklärte Kundschaft enormen Nachholbedarf hat, und die möchte ich einfach stabiler rausgehen lassen. Es ist immer gut, wenn man das eine oder andere Argument mehr hat oder einen Fakt in der Hinterhand. Niemand möchte nur emotional reagieren.

Was bedeutet es für Ihre Arbeit, wenn sich immer mehr junge Menschen für eine antidemokratische Partei einsetzen?

Ich kann mir vorstellen, dass es heute, wo Informationen aus den Sozialen Netzwerken gezogen werden, sicherlich nicht einfach ist, eine Übersicht zu behalten. Viele Jugendlichen sind ja in so genannten Blasen unterwegs. Und wenn man dann zuhause keine Kommunikation hat, dann kann ich mir schon vorstellen, dass es zu Irrwegen kommen kann. Die Jungen sind vermutlich auch heute nicht unbedingt die Informationsnerds, die vielfältige Quellen benutzen. Man geht den Weg der Blase womöglich mit.

Wie erreichen Sie diese Jugend?

Ein Beispiel: Wir als Theaterhaus haben elf Partnerschulen. Die Verbindungslehrer werden von uns über die Angebote informiert. Es hat sich allerdings durch Corona viel verändert. Die Schulklassen kommen leider nicht mehr in dieser Vielzahl zu uns wie es vorher der Fall war. Das liegt natürlich auch an den Arbeitsbedingungen in den Schulen. Es hängt immer mehr stark vom Engagement der Lehrkraft ab.

Was kann Kultur leisten, um rechten Tendenzen entgegenzuwirken ?

Das kulturelle Angebot muss attraktiv sein, nicht schnarch schnarch. Die Themen Rechtsextremismus und die entstehenden Folgen aus dieser Gedankenwelt sollten im Zentrum stehen dürfen, nicht banalisiert beziehungsweise ferngehalten werden.

„Geheimplan gegen Deutschland und Opas Heimat“ ist jetzt mit vier Abenden anberaumt. Kommt da noch mehr?

Wir können uns hoffentlich in zwei Jahren nochmal darüber unterhalten. Es ist jetzt der Auftakt, und im Herbst geht’s weiter. Wir planen langfristig mit dem Stück. Im besten Fall läuft es wie bei „Die deutsche Ayse“ – das Stück läuft jetzt seit 10 Jahren bei uns. Dass es nicht einfach wird, das wissen wir. Es dürfen einem nur nicht die Geduld und die Überzeugung ausgehen, dass unsere Arbeit die Menschen überzeugt. Ohne Eile, Schritt für Schritt.

Recherchematerial auf der Bühne

Theaterhauschef Werner Schretzmeier hat das Theaterhaus 1985 mitbegründet.

Szenische Lesung „Geheimplan gegen Deutschland und Opas Heimat“ läuft von 4. bis 6. Juli um 20.15 Uhr und am 7. Juli um 19.15 Uhr und dauert etwa 75 Minuten. Es spielen Larissa Ivleva, Katja Schmidt-Oehm, Selda Falke, Irfan Kars, Stephan Moos, Ufuk Oehlerking. Regie führt Werner Schretzmeier. Mehr Infos unter Theaterhaus.com

Jean Peters, Kay Voges und ist hier zu lesen. Lax und Peters erhielten für das Stück den Jürgen Bansemer & Ute Nyssen Dramatikerpreis 2024. Der Text „Opas Heimat“ der Autorin Derya Türkmen ist hier abrufbar.

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Erstellt:
4. Juli 2024, 14:22 Uhr

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