Premiere an der Esslinger Landesbühne

Der Krieg im Kopf des Zauberers

Mit sprachlicher Strahlkraft und bildstark hat Felix Metzner Sasa Stanisics Roman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ im Esslinger Schauspielhaus auf die Bühne gebracht. Doch etwas kommt in der temporeichen Inszenierung zu kurz.

Die Freunde Aleksandar (Kim Patrick Biele, links) und Edin (Reyniel Ostermann) geraten in Kriegswirren.

© Patrick Pfeiffer/Patrick Pfeiffer.

Die Freunde Aleksandar (Kim Patrick Biele, links) und Edin (Reyniel Ostermann) geraten in Kriegswirren.

Von Elisabeth Maier

Mit seinem Opa träumt Aleksandar davon, der „mächtigste Fähigkeitenzauberer der blockfreien Staaten zu werden“. Da ist die Welt für den Jungen in dem bosnischen Dorf Visegrad noch in Ordnung. Muslime und Christen leben friedlich nebeneinander. Dann kommt der Bürgerkrieg. Maschinengewehrsalven zertrümmern die heile Welt des Kindes. In seinem Roman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ beschreibt Sasa Stanisic eigene Erfahrungen von Krieg und Flucht. Im Schauspielhaus der Esslinger Landesbühne verlagert Regisseur Felix Metzner die Handlung in den Kinderkopf. Dieses Konzept bringt die poetische Kraft des Autors zum Strahlen.

Mit einem blauen Wohn- und Imbisswagen, Sonnenschirmen und Plastikstühlen sieht die Bühne von Johannes Weckl zunächst sehr wirklichkeitsnah aus. Über allem leuchtet ein roter Stern. Überreife Pflaumen duften in einem Korb. In diesem Familienidyll fühlt sich der Junge Aleksandar geborgen. Kim Patrick Biele trifft mit solchen Bildern von einer glücklichen Kindheit ins Herz. Augenblicke später stürmt ein Nachbar mit geladener Waffe das Fest. In der Rolle des Großvaters hilft Reinhold Ohngemach dem Jungen, vor solchen Schrecken in die eigene Fantasie zu flüchten.

So erschafft er sich eine eigene Welt. Und der Junge kann sich doch vor der Wirklichkeit des Mordens nicht verschließen. Die Fassungslosigkeit des Kindes zeigt Kim Patrick Biele sensibel und schön. In seinen Träumen spricht er mit dem Fluss Drina. Im blaugrünen Kleid steht Eva Dorlaß auf einer Schaukel. Im Bürgerkrieg versenken die Soldaten ihre Leichen in dem Fluss, der Serbien und Bosnien-Herzegowina verbindet. „Retten konnte ich die wenigsten, verhindern konnte ich nichts, und nicht mal die Augen verschließen vor dem Verbrechen.“

Durch seine Konzentration auf die Gedankenwelt des Protagonisten bringt Metzners Regie die poetische Sprache Stanisics schön zum Klingen. Klug balanciert der Autor, der in der deutschen Literaturszene Karriere gemacht hat, Humor und tiefgründige Kriegserinnerungen. Sein Roman ist aus vielen kleinen Geschichten und Aufzeichnungen zusammengesetzt. Diese Dramaturgie greift das Regieteam in der turbulenten Inszenierung auf. So entsteht ein Bilderbogen, der die Schrecken der Jugoslawienkriege schlaglichtartig lebendig werden lässt. Als Anführer der Soldaten zeigt Martin Theuer den Prozess, wie ein Mensch auf dem Schlachtfeld zum Monster mutiert. Diese Brutalität verstört und schockiert.

Allein mit Existenzängsten

Marcus Michalski und Kristin Göpfert sind Eltern, die den Jungen nicht wirklich verstehen. Die Mutter kommt aus Bosnien, der Vater ist Serbe. Mit oberflächlichen Phrasen reißen sie ihn mit auf die Flucht in eine fremde Kultur. Mit seinen Sorgen und Existenzängsten bleibt der Junge allein. Die Ignoranz der Eltern ist eine Art Selbstschutz. Denn um zu überleben, arbeiten sie schwer. Die gebildete Mutter schuftet in einer Wäscherei, während der Vater illegal auf Baustellen sein Geld verdient.

Was diese Suche nach einer neuen Identität in der Fremde für einen Heranwachsenden bedeutet, beschreibt Stanisic in dem Roman in Briefen und Auszügen von Telefonaten mit der Heimat. Diese Berichte überzeugen. Der Autor selbst kam 1992 nach Heidelberg, durfte da an einer internationalen Schule lernen. Ein Deutschlehrer förderte sein schriftstellerisches Talent. Als Aleksandar nach Jahren in die Heimat zurückkehrt, versteht er seine Freunde dort nicht mehr. Sie sind vom Krieg traumatisiert.

Hier kratzt Metzners Esslinger Inszenierung zu sehr an der Oberfläche. In den Gesprächen mit seinem besten Kumpel Edin blitzt Hass auf. Wut und Verwirrung lässt Reyniel Ostermann in jedem seiner Sätze anklingen. Doch da bleibt der Text in Metzners Bühnenfassung zu schemenhaft. Der Junge, zu dessen Alltag Hinrichtungen und Vergewaltigungen gehörten, neidet dem Freund das friedliche Leben in Deutschland. Für immer verschwunden bleibt das Mädchen Asija, in das sich Aleksandar einst verliebt hat. In seinen Erinnerungen kehrt sie wieder. Diese Flüchtigkeit spiegelt Lily Frank in den kurzen, zaghaften Auftritten. Ihr Schicksal wirft Fragen auf, die unbeantwortet bleiben.

Der alten Frau versiegt die Sprache

Auf dem Sofa kuschelt Aleksandar mit der Großmutter, träumt von Pflaumenblüten und scharf gewürztem Hackfleisch. Die alte Frau kann es nicht fassen, dass ihr der Krieg alle Menschen genommen hat, die ihr wichtig waren. Elif Veyisoglu überzeugt in jenen Augenblicken, wenn ihr die Sprache versiegt. Sie ist zunächst mit der Familie geflüchtet, kehrte dann aber in die Heimat zurück. Da wartet sie auf den Tod. Gerade diese Leere erfasst die Schauspielerin. Als ihr Enkel sie auf dem Sofa einfach an den Rand schiebt, hat sie ihr Leben längst zu Ende gelebt.

Mit viel Spiellust tauchen die Schauspieler in Stanisics Wortkunst ein. Der Autor, der seit 2013 deutscher Staatsbürger ist, lenkt den Blick im Roman weg von seiner Person auf die Geschichten der Kriegsopfer und der Geflüchteten, die ihre Heimat verloren. Regisseur Felix Metzner bringt diese Schicksale mit dem Ensemble zwar auf die Bühne. Doch ihr verzweifelter Kampf, auf den Trümmerfeldern oder auf der Flucht wieder eine Identität zu finden, bleibt in der tempogeladenen Regiearbeit an der Oberfläche.

Termine: weitere Aufführungen am 21. und 24. Januar, 15. Februar und 26. März.

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Erstellt:
17. Januar 2025, 16:44 Uhr

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