Konzert in Stuttgart
Der Schwiegersohn der Nation: So war’s bei Wincent Weiss in der Schleyerhalle
Wincent Weiss hat bei seinem Konzert in Stuttgart gezeigt, wie ein Mann heute Frauen zum Kreischen bringt. Mit dabei hatte er auch ein paar neue Songs. Bilder, Setlist und Kritik vom Konzert in der Schleyerhalle.

© Ferdinando Iannone/Lichtgut/
In Stuttgart spielte Wincent Weiss die größte Show seiner aktuellen Arena-Tour – vor 12 000 Fans in der Schleyerhalle.
Von Eva-Maria Manz
Man kann sich fragen, warum manche Künstler in bestimmte Zeiten besonders gut passen. Wincent Weiss, der Wohlfühl-Popsänger, auch bekannt aus der Fernsehsendung „The Voice Kids“, erreicht mit seinen eingängigen deutschsprachigen Radiohits immer wieder Gold und Platin, er füllt riesige Hallen wie die Stuttgarter Schleyerhalle an diesem Wochenende mit gut 12 000 Besuchern.
Bei Wincent Weiss und seiner Band geht es in seiner Arena-Tour Schlag auf Schlag: Auf einer Minibühne in der Mitte der Halle wird es anfangs familiär, eine Lichtshow mit zwei Videobildschirmen scheint hingegen wenige Minuten später aufwendig durchkomponiert, verschiedene Bühnenelemente fahren rauf und runter, Flammen schießen in die Höhe, von der Decke regnet es Konfetti oder wahlweise Papierschnüre, und einmal schwebt der Sänger Helene-Fischer-artig in Szene gesetzt über den Zuschauern.
Heute sollen alle mit Wincent Weiss einfach „Spaß haben“
Auf Instagram hatte Weiss schon vor einigen Monaten seine Tourtermine geteilt und dazugeschrieben: #endlichwiedersafespace. Genau das ist es, was die Fans hier so dringlich suchen, einen Safe Space, einen sicheren Ort für das eigene Wohlbefinden und die gute Laune – wer könnte das nicht gebrauchen in einer Zeit, in der man morgens Angst hat, das Handy einzuschalten? Wincent Weiss brüllt freudig-schamlos und hedonistisch ins Mikrofon: „Scheißegal, was gestern war, kein Plan, was morgen kommt, was wir jetzt machen können, ist Spaß haben!“
Man stellt nicht ohne Bewunderung fest, dass künstliche Intelligenz sicher keinen besseren Sänger kreieren könnte, jedenfalls keinen, der optimaler ist als dieser. Der 32-Jährige mit seinem Bilderbuchgesicht, mit den trainierten Oberarmen und der Stimme von nebenan sagte in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ auch noch, er sei ein Gentleman alter Schule: „Ich habe immer ein Taschentuch parat für die Damen.“ Du meine Güte. Man möchte fragen: So eines aus Stoff mit eingestickten Initialen und festgeklebtem Nasensekret? Doch man kann sich schlimmere Vorbilder für die Kinder vorstellen.
Und um die geht es hier auch, sie sind in Scharen gekommen mit ihren Müttern und Vätern und Tanten, denn Wincent Weiss ist ihr Idol aus der Sendung „The Voice Kids“, in der er einen der Juroren gibt. Er wirkt auch hier bei seinem Konzert in der Schleyerhalle in jedem Moment wie der Schwiegersohn der Nation, zum Verwechseln bodenständig. Kürzlich schrieb jemand in dem sozialen Netzwerk Bluesky: „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, Wincent Weiss arbeitet in unserem örtlichen Burgerladen.“
Dass seine Persona Brüche hat, würde nur behaupten, wer immer noch nicht verstanden hat, dass genau die Brüche längst integraler Bestandteil einer medienwirksamen Gegenwartspersönlichkeit sind. Der Typ auf der Bühne sieht zwar aus, als wäre er der freundliche Hortbetreuer unserer Kinder, doch er ist genau der Popstar, der in unsere Zeit passt. Wincent Weiss spricht auf der Bühne offen über eine Depression, die er erlitten hat. Und die Begeisterung der Fans könnte nicht größer sein. „Ich bin 2019 zur Therapie gegangen“ (Kreisch), „mentale Gesundheit ist genauso wichtig wie körperliche Gesundheit“ (Kreisch), „Leute wenn ihr Probleme habt, sprecht sie an“ (Kreisch). Das ist es also, was junge Frauen heute zum Kreischen bringt: wenn ein Mann offen über seine mentalen Probleme spricht.
In einem der neuen Songs, die Weiss aufführt, heißt es: „Diese Welt ist voll Drama, aber Mama sagt, alles wird gut. Meine Jungs kommen nicht klar. Kranke Welt. Den letzten beißen die Hunde.“ Man ist ein bisschen versöhnt, auch wenn Melodien und Texte gerne etwas origineller sein dürften. Das beste Rezept gegen kulturkritische Überheblichkeit ist jedenfalls, das Konzert in Begleitung eines begeisterten Minderjährigen zu besuchen. „Es wär’ schön blöd, nicht an Wunder zu glauben“, singt Wincent Weiss. Und man möchte eigentlich nur noch sagen: ja, ok.
Setlist:
1. Hier mit dir
2. Weit weg
3. Musik sein
4. Die guten Zeiten
5. Bleiben wir
6. Deiner Seite
7. Langsam
8. Was die Menschen nicht wissen
9. Gut genug
10. Den letzten beißen die Hunde
11. Wie es mal war
12. Wann
13. An Wunder
14. Auf halbem Weg
15. Morgen
16. Immer näher
17. Kaum erwarten
18. Wer wenn nicht wir
19. So gut
20. Spring
21. JA/NEIN
22. Halb so schön
23. Frische Luft
24. Lang nicht hier
25. Wie gemalt
26. Feuerwerk