„Die alte Dame“ im Backnangner Bandhaus-Theater

Am kommenden Samstag feiert die Backnanger Bürgerbühne am Bandhaus-Theater mit der Inszenierung von Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ ihre 14. Premiere. Es geht um große Themen wie Gier, Moral, Gewissen, Schuld und Sühne.

Insgesamt 28 Personen haben an der Inszenierung mitgewirkt. Gaby Miletic und Stefan Schaich (vorne) sind in den Rollen der Multimilliardärin Claire Zachanassian und des Butlers zu sehen. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Insgesamt 28 Personen haben an der Inszenierung mitgewirkt. Gaby Miletic und Stefan Schaich (vorne) sind in den Rollen der Multimilliardärin Claire Zachanassian und des Butlers zu sehen. Foto: Alexander Becher

Von Carmen Warstat

Backnang. Das neueste Theaterstück der Backnanger Bürgerbühne ist „Der Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt. Es wird an diesem Samstag erstmals aufgeführt. Die tragische Komödie wird häufig als das beste Theaterstück des Schweizer Schriftstellers und Dramatikers bezeichnet. Am 29. Januar 1956 wurde das Stück in Zürich uraufgeführt, am 8. September desselben Jahres fand die Wiener Erstaufführung unter der Regie von Leon Epp statt. Bis heute erfreut sich der Bühnenklassiker uneingeschränkter Beliebtheit, sowohl beim Publikum als auch bei den Schauspielerinnen und Schauspielern.

Juliane Putzmanns Inszenierung im Backnanger Bandhaus-Theater stellt die gesellschaftskritischen Aspekte bewusst in den Mittelpunkt und spielt zugleich die humorigen Züge der Tragikomödie genüsslich aus. Und so entwickelt das Team der Backnanger Bürgerbühne einen kurzweiligen Theaterabend, der zugleich amüsiert und wichtige Fragen stellt. Ähnlich wie Leon Epp vor nun fast 70 Jahren in Wien verdeutlichen jetzt die Backnanger die Allgegenwärtigkeit von Themen wie Gier, Moral, Gewissen, Schuld und Sühne.

Was ist Armut? Welchen Preis hat (auch unser) Wohlstand?

Mittels bühnentechnischer Gestaltung und über die Aufmachung der Kostüme holt die Inszenierung die verarmte Kleinstadt Güllen in die Gegenwart und fragt: Was ist Armut? Welchen Preis hat (auch unser) Wohlstand? Wer bezahlt eigentlich diesen Preis? Oder: „Wo beginnt unser Verantwortungsbereich?“ Unzählige Pappkartons werden die Bühne im Lauf des Abends überhäufen, manchmal ist der Name eines großen Online-Händlers zu sehen. Angespielt wird – klar – auf unser heutiges Konsumverhalten, auf die Gier nach immer mehr an Waren und auf den Müll, den wir uns damit selbst antun.

Die Kostüme, anfangs ärmlich in blasseren oder Grautönen gehalten, werden mit der Zeit immer bunter und knalliger. Denn die Stadt Güllen lebt wirtschaftlich auf, weil sie der rachsüchtigen alten Dame einen Menschen opfert: Die Multimilliardärin Claire Zachanassian, frühere Bewohnerin der inzwischen heruntergekommenen Stadt, hat dort durch ihren damaligen Geliebten Alfred Ill und schließlich auch vom gesamten Ort Unrecht erfahren und wurde verjagt. Nun bietet sie eine Milliarde dafür, dass die Bürger Alfred Ill töten. Anfangs lautstark empört („Lieber arm denn blutbefleckt!“), lassen die Güllener nach und nach die Masken fallen und zeigen ihre unbändige Gier, religiöse Verlogenheit und brutale Seelenlosigkeit. Alfred Ill wird zum Opfer des Wohlstands.

Weitere Themen

In einem Gespräch am Rande einer Probe äußert Theaterleiterin und Regisseurin Juliane Putzmann ihre Gedanken zum Thema Armut. Es sei ja nicht wie bei Bertolt Brecht, wo es noch um echten Hunger ging. „Wir leben heute in einem Wohlstand, der unheimliche soziale und ökologische Opfer fordert“, erklärt sie und ergänzt, dass auch jene, die sich heute abgehängt fühlen, nicht unter Hunger leiden, sondern ausgeschlossen sind vom „Spiel“ der Gesellschaft. „Sie dürfen „nicht mitspielen, sind nicht drin im Game“, so Juliane Putzmann. In Dürrenmatts Güllen heißt das: „Wir sind nicht arm, nur vergessen.“

Bei allem Ernst ist die Produktion auch witzig

Dieses Lebensgefühl wird transportiert durch eine Vielzahl visueller und akustischer Puzzleteile. Allein die präzise Platzierung und Aussteuerung der unter anderem musikalischen Einspieler ist eine Herausforderung, und zwar eine, die sich auszahlt. Die Güllener Tristesse und zugleich das aufkommende Unheil werden sehr beeindruckend durch Filmmusik von Ennio Morricone veranschaulicht und akustische Effekte wie ein-, aus- oder durchfahrende Züge wirken zusammen mit adäquater Gestik und Mimik der einfältig gewordenen Güllener Bürger auf bedrückende Weise faszinierend.

Das Team der Backnanger Bürgerbühne, das diese bei allem Ernst durchaus auch witzige Produktion unter der Regie von Theaterleiterin Juliane Putzmann und der Regieassistenz von Annedore Bauer-Lachenmaier erarbeitet hat, umfasst insgesamt 28 Mitwirkende, davon 14 Schauspieler und 14 Verantwortliche für Organisation und Gestaltung. Darunter befinden sich einige neue Gesichter, beispielsweise die von Annika Lewandowski und Jonna Spalink (Kostümbild), Katja Ebert (in den Rollen der Güllener Ärztin sowie einer Bürgerin) und Stefan Schaich (als Butler Boby und ehemaliger Richter).

Für das Kostüm der alten Dame und für Make-up und Hairstyling sind Marion Masullo beziehungsweise Tanita Hoffmann zuständig. Das minimalistisch gehaltene, aber ideenreiche Bühnenbild wurde – wie schon bei „Emil und die Detektive“ – von einem ehrenamtlichen Team umgesetzt.

Aufführungen Die Premiere findet am Samstag, 29. Juni, um 20 Uhr statt. Weitere Aufführungen folgen am 5. und 6. Juli jeweils um 20 Uhr sowie am 7. Juli um 17 Uhr. Für den Herbst sind weitere Termine geplant. Tickets kosten 18 Euro (ermäßigt 15 Euro beziehungsweise acht Euro für Schülerinnen und Schüler bis zum Abitur). Mehr Infos unter www.bandhaus-theater.de.

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Erstellt:
27. Juni 2024, 11:30 Uhr

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