Buchtipp Architektur
Die asketische Architektur von Shigeru Ban
Mit Pappröhren als Material für Häuser wurde der Architekt Shigeru Ban berühmt. Ein Prachtbuch präsentiert wichtige Arbeiten des japanischen Pritzker-Preisträgers – und zeigt ein Gebäude, das er mit dem Stuttgarter Architekten Frei Otto entworfen hat.
Von Nicole Golombek
Kreise, Dreiecke, Geraden, Recht- und Vierecke, immer wieder überraschende Blickwinkel und Sichtachsen und schwungvolle Linien: Schon eines der ersten Häuser, die Shigeru Ban entworfen hat, zeigen seine Liebe fürs organische Entwerfen und Formenspiel. Ein souveränes Spiel mit Materialien, die Verbeugung vor Vorbildern wie Alvar Aalto und die Weiterentwicklung einer eigenen Architektursprache wird sichtbar, dabei ist stets die Umgebung beim Entwurf schon mitgedacht. Das Haus in Japan schmiegt sich in die Landschaft.
Shigeru Ban ist dabei immer auch experimentierfreudig mit Technik und Material umgegangen, greift Traditionen auf, hinterfragt sie, entwickelt sie weiter. Das macht die Kunst des 1957 in Japan geborenen Architekten aus, der in den USA unter anderem bei Größen wie Frank Gehry studiert hat und heute Büros in Tokio, Paris und New York führt.
Für Papp- und Papierarbeiten ist er berühmt geworden, etwa seine Bibliothek aus Pappröhren im Innenraum aus dem Jahr 1991 sowie die 1994 fertiggestellte Design Galerie in Tokio für den Modeschöpfer Issey Miyake: Ein rechteckiges Flachdachgebäude, bei dem „Pappröhren, die sämtliche Vertikallasten tragen, als primäres Baumaterial“ verwendet wurden, wie Philip Jodidio in dem Buch „Shigeru Ban“ schreibt. Ist das Haus abends beleuchtet, wirkt es wie eine Rotunde mit von der Antike inspirierten Säulen, freilich ganz ornamentlos.
Aber auch weniger glamouröses, zum Beispiel temporäre Wohnbauten für Menschen, die nach Erdbeben oder Wirbelstürmen ihr Zuhause verloren haben, hat Shigeru Ban gestaltet. Günstige Übergangsquartiere in Japan ebenso wie in Nepal, Sri Lanka, der Türkei, Indien und den Philippinen, 2022 auch Unterkünfte für geflüchtete Ukrainer.
Shigeru Ban sagte über einen 1995 gebauten Entwurf in Japan: „Ein Fundament aus sandgefüllten Bierkästen, Wände aus Pappröhren und Decke und Dach aus Textilmembran. Der Entwurf ähnelte einer Blockhütte. Die Bierkästen wurden vom Getränkehersteller gemietet und dienten während der Bauphase als Stufen.“
Gemeinsame Arbeit mit Frei Otto
Soziale, aber auch gesellschaftspsychologische Architekturbeiträge stammen von dem Architekten: 2020 staunte die Welt über Toiletten in Tokio, die Shigeru Ban für den öffentlichen Raum entworfen hat, ein durchsichtiger Kasten, dessen Scheiben sich beim Betreten einfärben. So müssten die Menschen keine Angst vor Übergriffen in öffentlichen Toiletten haben.
In Deutschland konnte das Publikum Pappröhrenkonstruktionen in XL-Format bewundern. Für die Weltausstellung Expo 2000 in Hannover hat Shigeru Ban einen 16 Meter hohen und 3015 Quadratmeter großen Japan-Pavillon entworfen. Hilfe suchte er für die wellenförmige Konstruktion aus 440 bis zu vierzig Metern langen Pappröhren unter anderem bei einem Experten aus Stuttgart, der schon 1972 ein wie aufgezupftes Spinnennetzdach (das Olympiastadion in München) miterdacht hatte – bei dem Architekten, Leichtbaupionier und Pritzkerpreisträger Frei Otto. Von Stuttgart aus auch leicht zu erreichen ist im französischen Metz das Centre Pompidou aus der Feder von Shigeru Ban. In Zürich lässt sich das Gebäude der TX Group an der Werdstraße 21 bestaunen.
Papier, Pappe begleiten den Architekten, der zunächst Tischler als Berufswunsch nannte, schon in jungen Jahren – bei der Aufnahme an der japanischen Kunsthochschule. Einen ein Meter hohen Turm aus Pappe galt es zu entwerfen, ohne Material zu verschwenden. Schon immer habe er Altes gern wiederverwendet und es gehasst, etwas wegzuwerfen, gibt der Architekt zu Protokoll.
Das war lange vor der Klimakrise und den Anforderungen an Architektur, möglichst wenig klimaschädlich zu entwerfen, sorgsam mit Material (dazu mit möglichst nachwachsendem) umzugehen. Und so werden heute wieder von Studierenden (auch in Stuttgart) genau solche Aufgaben verlangt wie einst bei Ban, wenn sie Seminare zum nachhaltigen Gestalten besuchen. Nicht mehr mit Baustoffen aasen, auch das ist ein Credo des heutigen Entwerfens. Wie daraus große Architektur entsteht, zeigt Ban seit Jahrzehnten.
Der Bildband „Shigeru Ban“, im Taschen Verlag erschienen, ist etwas für Weihnachten, unterm Baum ist dann nicht mehr viel Platz für anderes, denn das Buch über Shigeru Ban und sein Werk von 1985 bis heute ist nicht nur gewaltig schwer (Knapp sieben Kilogramm), sondern auch groß wie ein Tapetenkatalog (30,8 x 39 Zentimeter) und mit 200 Euro nicht eben günstig.
Aber dafür schön anzusehen und angenehm zu lesen: Den Werken – von seiner ersten Ausstellungsgestaltung für eine Alvar-Aalto-Schau in einer Galerie 1985 in Japan bis zu den aktuellen Projekten, etwa einem sich im Bau befindlichen Krankenhausanbau in der Ukraine – sind großartige Fotografien und informative Texte beigegeben. Ein kluges Vorwort führt in Leben und Arbeitsweise des japanischen Architekten ein.
Weitere Bilder von Bauten des Architekten in der Bildergalerie.
Das Buch
Shigeru BanComplete Works 1985-today. Texte auf Deutsch (sowie Englisch und Französisch) von Philip Jodidio. Taschen-Verlag, 696 Seiten, 200 Euro. www.taschen.com