Neu im Kino: „Köln 75“

Was passierte wirklich bei Keith Jarretts „Köln Concert“?

Ein Jazzfilm für alle, die keinen Jazz mögen: „Köln 75“ erzählt die bizarre, aber wahre Story einer jazzbegeisterten 18-Jährigen, die Keith Jarretts Kultalbum „The Köln Concert“ möglich machte.

Im  Kölner Opernhaus angekommen: der Jazzpianist Keith Jarrett (John Magaro, links) und sein Produzent Manfred Eicher (Alexander Scheer) mit der Konzertveranstalterin Vera Brandes (Mala Emde)

© Alamode Film

Im Kölner Opernhaus angekommen: der Jazzpianist Keith Jarrett (John Magaro, links) und sein Produzent Manfred Eicher (Alexander Scheer) mit der Konzertveranstalterin Vera Brandes (Mala Emde)

Von Gunther Reinhardt

Rebellion kommt in den unterschiedlichsten Verkleidungen daher – auch und gerade in den 1970ern. Da werden die einen zu zotteligen Hippies, feiern die freie Liebe und verhöhnen die spießigen Moralvorstellungen ihrer Eltern. Da werden die anderen zu Punks, sind gegen alles (auch die Hippies), provozieren mit schrillen Outfits, schneller, lauter Musik und ihren Null-Bock-No-Future-Posen. Und dann gibt es da noch Vera Brandes. Sie rebelliert, indem sie Jazzkonzerte veranstaltet. Der Film „Köln 75“ erzählt ihre Geschichte.

Story des „Köln Concert“: mehr Punk als Jazz

So frech wie Vera Brandes war, als sie als 15-Jährige anfing, Konzerte von Ronnie Scott oder Gary Burton zu organisieren, und die 18 Jahre alt war, als sie im Januar 1975 Keith Jarrett für ein Konzert an die Kölner Oper holte, ist auch dieser Film. Denn – Achtung, Spoiler! – von Jarretts eigentlichem Auftritt, der damals an einem späten Freitagabend im Anschluss an eine Aufführung von Alban Bergs Oper „Lulu“ stattfand, bekommt man in Ido Fluks Film nicht wirklich etwas zu sehen und zu hören. Das wäre ja auch langweilig. Schließlich ist die Aufzeichnung des Auftritts, die unter dem Titel „The Köln Concert“ erschienen ist, nicht nur das berühmteste Album Keith Jarretts, sondern auch die meistverkaufte Jazz-Soloplatte überhaupt.

Viel spannender ist, unter welchen widrigen Umständen das Konzert zustande kam, oder die Geschichte der jazzbegeisterten Vera Brandes, die das Konzert organisierte und sich von nichts aufhalten ließ. Mala Emde („Oh Hell“, „Und morgen die ganze Welt“) spielt diese Jazz-Rebellin. „Für mich ist das kein Jazzfilm“, sagt sie im Interview mit unserer Zeitung, „es ist ein Musikfilm – vielleicht sogar ein Punkfilm. Weil Vera Brandes‘ Haltung schon sehr Punk ist: ,Mir ist scheißegal, was ihr denkt, ich mache es trotzdem!’“

Verstimmter Flügel mit klemmenden Tasten

Tatsächlich setzt „Köln 75“ der heute 69-jährigen Brandes ein Denkmal. Mala Emde spielt sie als neugierig-rastlose Frau, die sich mit aller Kraft gegen ihren Vater (Ulrich Tukur) behaupten muss, der fordert, dass sie seine Zahnarztpraxis übernimmt, anstatt so einen Unsinn zu veranstalten. Doch nachdem sie der Jazzsaxofonist Ronnie Scott (Daniel Betts) auf die Idee gebracht hat, Konzerte und Tourneen zu organisieren, träumt sie immer größer und beschließt schließlich Keith Jarrett (John Magaro) nach Köln zu holen.

Bis zuletzt droht das Konzert aber zu scheitern: Nach einem Auftritt in der Schweiz verbringt Jarrett die ganze Nacht eingezwängt neben seinem Produzenten Manfred Eicher (Alexander Scheer) in einem klapprig-engen R4, kommt mit starken Rückenschmerzen, übermüdet und schlecht gelaunt in Köln an. Und als dann auch noch der Flügel, der für ihn im Kölner Opernhaus bereitstehen sollte, verschwunden ist, weigert er sich aufzutreten.

Verzweifelt versucht Brandes mit ihren Freunden ein anderes, für solche Konzerte geeignetes Instrument zu besorgen und wird sogar in einer benachbarten Musikschule fündig. Doch der Transport des Flügels über das Kopfsteinpflaster auf dem Kölner Neumarkt hätte diesen wahrscheinlich ruiniert. Nur der Hartnäckigkeit Brandes’, die Jarrett dazu überredet, auf einem ramponierten Bösendorfer-225-Halbkonzertflügel mit klemmenden Pedalen und Tasten, der schnell noch repariert und gestimmt werden musste, zu spielen, ist zu verdanken, dass der aus Stuttgart angereiste Tontechniker Martin Wieland dieses Meisterwerk der freien Improvisation aufnehmen konnte – und dass es das Kultalbum „The Köln Concert“ gibt.

„Wir alle könnten Vera Brandes sein!“

Man ahnt: „Köln 75“ ist ein etwas anderer Musikfilm. Nicht nur, weil das eigentliche Konzert zur Nebensache wird, sondern weil hier nicht – wie etwa in dem Bob-Dylan-Film „Like a Complete Unknown“ – ein Superstar oder Musikgenie porträtiert wird, sondern eine Frau, die möglich macht, das andere glänzen. Der Film erzähle die Geschichte eines „ganz gewöhnlichen Mädchens, eines Mädchens aber, das eine Leidenschaft hat“, sagt Hauptdarstellerin Mala Emde: „Vera macht und macht, trotzt allen Widerständen. Das ist das Tolle an dem Film, und das ist die allgemeingültige Botschaft: Wir alle könnten Vera Brandes sein.“

Falls „Köln 75“ doch ein Jazzfilm ist, dann ist er einer für Menschen, die eigentlich keinen Jazz mögen. Ido Fluk (Regie und Drehbuch) geht es nicht um die Zurschaustellung von Virtuosität oder Genialität, sondern um Menschen, die mit dem ganzen Herzen für eine Sache brennen und bereit sind, dafür ihre Gesundheit oder ihre Zukunft aufs Spiel zu setzen. Das verbindet in dem Film dann doch Vera Brandes und Keith Jarrett miteinander: dieser unbeirrbare Wille, etwas Großes, Besonderes zu schaffen.

Der Zauber des Moments des Ungewissen

Vera Brandes ist das gelungen. Und dass Keith Jarrett selbst sein Kölner Konzert nicht besonders mag, ändert nichts an der Großartigkeit des Ereignisses, findet die Schauspielerin Mala Emde: „Es ist eigentlich absolut egal, was Keith Jarrett über dieses Konzert sagt. Es hat stattgefunden, jetzt ist es draußen in der Welt, und es liegt nicht mehr an ihm, das zu bewerten“, sagt sie: „Er hat musikalisch bestimmt hochwertigere Dinge produziert. Das Köln-Konzert ist wackelig, und er hat das Konzert auf einem kaputten Klavier gespielt. Aber genau das versucht ja der Film zu erzählen: von diesem Moment des Ungewissen, an dem es erst richtig spannend wird.“

Auch sich wagemutig auf das Unvorhersehbare einzulassen, ist ein Akt der Rebellion.

Köln 75. Deutschland/Belgien/Polen 2024. Regie/Drehbuch: Ido Fluk. Mit Mala Emde, John Magaro, Alexander Scheer, Michael Chernus und Ulrich Tukur. 115 Minuten. Kinostart: 13. März

Vera Brandes, Keith Jarrett und „The Köln Concert“

Veranstalterin Vera Brandes, 1956 in Köln geboren, fängt schon als Schülerin an, Konzerte und Tourneen zu organisieren. Am 24. Januar 1975 veranstaltet sie Keith Jarretts Konzert in der Kölner Oper. Später gründet sich ein eigenes Plattenlabel. Seit den 1990ern forscht sie zudem zur medizinischen Wirkung von Musik

Musiker Der US-Jazzpianist Keith Jarrett, 1945 in Pennsylvania geboren, wurde als Keyboarder von Miles Davis berühmt. Seit den 1970ern spielt er vor allem improvisierten Solokonzerte. Das berühmteste und erfolgreichste ist „The Köln Concert“ (ECM Records). Das Album ist die meistverkaufte Klavier-Soloplatte der Welt.

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Erstellt:
12. März 2025, 13:18 Uhr
Aktualisiert:
13. März 2025, 11:39 Uhr

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