Die Leichtigkeit des Steins

Wasser und Stein gehören bei der Skulptur zusammen, die im Lauf des Bildhauersymposiums von vier Künstlern geschaffen wurde. Dass es während der Präsentation regnet, ist da eigentlich nur konsequent.

Norbert Kempf (Mitte) präsentiert das „Brockengespenst“, welches beim Bildhauersymposium entstanden ist. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Norbert Kempf (Mitte) präsentiert das „Brockengespenst“, welches beim Bildhauersymposium entstanden ist. Foto: Alexander Becher

Von Simone Schneider-Seebeck

Backnang. Noch vor einigen Tagen hatte es hier ganz anders ausgesehen. Muschelkalkquader verschiedener Größe lagen in zwei großen Haufen auf dem Hof des Backnanger Technikforums. Und dazu hatte die Frage im Raum gestanden: Macht jeder etwas für sich oder doch alle zusammen? Schlussendlich haben sich die vier Bildhauer Norbert Kempf und Gregor Oehmann aus Backnang, Tim Maertens aus Lübeck und Andreas Rohrbach aus Frankfurt für ein Gemeinschaftswerk entschieden. „Es war eine Herausforderung, aber es hat gut funktioniert“, resümiert Tim Maertens beim Blick auf die fertige Skulptur, die nun im Beisein städtischer Vertreter der Öffentlichkeit präsentiert wurde.

Zwei Inseln sind es, die durch eine Rohrleitung miteinander verbunden sind. Allerdings, so erläutert Maertens, könne am endgültigen Standort der Skulptur die Art der Aufstellung auch variieren.

Auf den ersten Blick fällt der Kontrast ins Auge – die gewaltigen groben Steinquader, die dennoch so aufeinander- und aneinandergeschichtet sind, dass sich eine gewisse Lässigkeit und Leichtigkeit ergibt. Und diese wird noch von den schlanken Rohren unterstrichen, die sich gen Himmel recken und in Düsen enden, welche feinen Nebel versprühen. Das bietet selbst an einem Regentag ein spannendes Schauspiel, denn der Wind formiert diese künstlichen Wolken ständig neu.

Das Kunstwerk darf ausdrücklich betreten und beklettert werden

Im Laufe der zehntägigen gemeinsamen intensiven Arbeit hat die Skulptur auch ihren Namen gefunden: „Brockengespenst“, nach einem besonderen Phänomen, das bereits Johann Wolfgang von Goethe erschreckte, als er auf ebenjenem Berg unterwegs war. Fällt der Schatten einer Person auf eine Nebelwand, erscheint dieser vergrößert und sieht zudem so aus, als würde er sich selbstständig bewegen, da Nebel keine glatte und ruhige Oberfläche hat. Wenn erst einmal die Sonne auf das Kunstwerk scheint, bietet sich dem Betrachter dann ein besonderes Schauspiel. „Das ist fantastisch, es gibt diverse Regenbögen – und wenn man mittendrin steht, dann führen sie auch um einen rum“, schwärmt der Lübecker Künstler. Ein Kunstwerk zum Anfassen ist das, was die vier geschaffen haben, denn: „Es darf ausdrücklich betreten werden oder besessen oder beklettert.“

Kombination widersprüchlicher Eigenschaften

Reizvoll sei der Arbeitsprozess gewesen. Jeder habe Elemente des anderen aufgegriffen. „Es war spannend, wie sich das verbindet“, findet Tim Maertens. Und auch für den Betrachter gibt es einiges zu entdecken: ein steinernes Sofakissen, herausquellende oder eingearbeitete Prismen in verschiedenen Formen, Wellenlinien, die einerseits die Sedimentschichtung der Steine betonen, andererseits auch Hinweis auf das Element Wasser und somit die Murr geben. Bei der Bearbeitung hatte sich sogar eine echte Druse gefunden, und in der kleinen Höhle gegenüber reckt sich dem Betrachter eine Hand entgegen. „Vielleicht das Gespenst?“, so Tim Maertens schmunzelnd.

Den vier Bildhauern ist es gelungen, zwei an sich widersprüchliche Eigenschaften miteinander zu verbinden, denn es sei ein schwergewichtiges Kunstwerk, so der Backnanger Kulturamtsleiter Johannes Ellrott, aber dennoch voller Leichtigkeit durch die Kombination mit Wasser.

Bis zum Ende des IBA’27-Festivals kann das „Brockengespenst“ noch auf dem Hof des Technikforums erkundet werden. Anschließend soll es, so lautet der Wunsch der vier beteiligten Künstler, möglichst in der Nähe der Murr seinen endgültigen Standort finden.

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Erstellt:
29. Juli 2023, 06:00 Uhr

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