Drehs unter erschwerten Bedingungen

Der ergreifende Dokumentarfilm „Dear Future Children“ über Jugendproteste in Chile, Hongkong und Uganda wird im Backnanger Universum-Kino vorgeführt. Regisseur Franz Böhm und Produktionsleiter Fabian Lieb stellen sich danach den Fragen des Publikums.

Produktionsleiter Fabian Lieb (link) und Regisseur Franz Böhm sprechen mit dem Publikum im Universum-Kino über ihren Film. Foto: T. Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Produktionsleiter Fabian Lieb (link) und Regisseur Franz Böhm sprechen mit dem Publikum im Universum-Kino über ihren Film. Foto: T. Sellmaier

Von Carmen Warstat

Backnang. „Ich bin es meinem Vater schuldig. Ich bin es meinen zukünftigen Kindern schuldig.“ Eine der drei Protagonistinnen findet zum Abschluss eines ergreifenden Films über jugendlichen Aktivismus weltweit diese Worte, um ihre Motivation zu verdeutlichen. „Dear Future Children“ (zu Deutsch etwa: An die Kinder der Zukunft) begleitet drei junge Frauen bis an die Frontlinien ihrer Kämpfe: In Chile spitzt sich seit Jahrzehnten die soziale Ungleichheit zu. In keinem anderen südamerikanischen Land wird das Einkommen so ungleich verteilt wie hier. Viele Menschen treibt diese Situation auf die Straßen, wo heftige Kämpfe zwischen Polizei und Protestierenden eskalieren. Ganz vorne dabei, zwischen Gummigeschossen und Tränengas, ist Rayen, eine 24-jährige Studentin.

Das ostafrikanische Land Uganda ist aufgrund seiner geografischen Lage besonders stark vom Klimawandel betroffen. Aktivistin Hilda musste mit elf Jahren aus ihrem Heimatdorf in die Hauptstadt fliehen. Der Wassermangel im Dorf hat das Überleben dort unmöglich gemacht. Die verheerende Wechselwirkung zwischen Dürre und Flut prägt seit Beginn des Jahrhunderts die lebensfeindlichen Zustände im Land, während Unmengen an Müll Flora und Fauna vergiften. 2017 entschloss sich die junge Studentin, gegen die Umweltverschmutzung und die Folgen des Klimawandels in ihrem Heimatland zu kämpfen und dafür selbst eine Bewegung zu gründen.

Streiten für Demokratie und Unabhängigkeit und eine gelingende Zukunft

In Hongkong wehren sich viele junge Menschen gegen den wachsenden Einfluss Chinas. Auch die 25-jährige Pepper betrachtet diesen Kampf für Demokratie und Unabhängigkeit als einen Kampf für ihre eigene Zukunft. Seit Beginn steht sie an der „Frontline“ dieser hochmodernen Protestbewegung, zwischen der aufgebrachten Zivilbevölkerung und schwer bewaffneter Polizei. Damit stellt sie sich vielen Herausforderungen, immer in Sorge um die Geheimhaltung ihrer Identität, denn sie muss einer Verhaftung und Verurteilung entgehen und ihre Familie und Freunde schützen. Zur Filmvorführung im Backnanger Universum hatte Kinochefin Annegret Eppler mit dem Regisseur Franz Böhm und dem Produktionsleiter Fabian Lieb zwei Vertreter des sehr jungen Teams eingeladen. Im Gespräch mit dem Publikum beantworteten die beiden zahlreiche Fragen und erhellten die Arbeitsbedingungen, unter denen ihre Dokumentation entstand.

Sie outeten sich als „fasziniert vom weltweiten modernen und globalen Aktivismus der Jugend“ und betrachten ihn als ein „übergreifendes Thema“, so der 22-jährige Regisseur. Es seien Bewegungen, über die es bisher nur „ganz viele Geräusche“ gegeben habe, ein Gespräch mit ihnen fehlte aber bisher. Politische Inspiration in einem modernen Kino mit neuen Visionen sei dem Team wichtig und dieses Projekt nur eines, dem viele folgen werden. Das Budget „war nicht gigantisch“, eher habe man einen „No-Budget-Film“ gedreht, nicht einmal ein „Low-Budget-Film“ sei drin gewesen, berichtet Böhm und zeigt sich dankbar für Spenden, die das Projekt trotz der Ablehnung jeglicher öffentlichen Förderung ermöglichten. Die Auswahl der drei Protagonistinnen erfolgte nach Gesprächen mit insgesamt elf Bewegungen, in denen man sich zehn Leute angeschaut habe. „Dabei waren krasse Köpfe, fast Rockstars.“ Die seien aber „nicht mehr repräsentativ für die Bewegung“ und das Geschlecht keineswegs ausschlaggebend für die Entscheidung zugunsten von Rayen, Hilda und Pepper gewesen. Auf die Frage, wie das Team die Sicherheit der Protagonistinnen habe gewährleisten können, erfuhr man, dass „deutsche Sender sich hier oft nicht mit Ruhm bekleckert“ haben und es infolge ihrer Arbeit immer wieder zu „Zwischenfällen“ bis hin zu Inhaftierungen gekommen ist. In Zusammenarbeit mit der Uni Harvard hat das Team um Franz Böhm deshalb eine wichtige Maßnahme realisiert: Moderne Technologie ermöglicht die Nachbearbeitung von Gesichtern, die so authentisch bleiben, ohne für Scanner erkennbar zu sein. Um das Vertrauen der Aktivistinnen vor Ort zu gewinnen, haben die Filmemacher sich sehr viel Zeit genommen und sind „kompromisslos ehrlich“ gewesen. „Unser Alter hat sicher auch geholfen“, ergänzt der Regisseur, und dass die Zusammenarbeit mit den Jugendbewegungen sich auch auf die Post Production, also etwa den Schnitt und die Musikauswahl erstreckt habe. Denn selbstverständlich wollten Rayen, Hilda und Pepper auf keinen Fall aus dem Zusammenhang heraus zitiert werden. Erfahrungen mit anderen Projekten hatten dergleichen befürchten lassen, das Misstrauen war anfangs enorm. Zahlreiche weitere Fragen bis hin zum Beitrag deutscher Sicherheitsbehörden und zu technischen Aspekten der Produktion wurden besprochen, die Zeit schien davonzufliegen. Einhellig wurde das erschütternde und zugleich ermutigende Projekt von Zuschauern und Kinobetreiberin mit Hochachtung aufgenommen und das schier unglaubliche Engagement der Jugend hervorgehoben.

Kontakt zu Franz Böhm Interessierte (Pädagogen) können Kontakt zum Regisseur aufnehmen: mail@franzboehm.com. Mobil: 0170/5444000.

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Erstellt:
29. Oktober 2021, 16:00 Uhr

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