Ein Feuerwerk der Barockmusik in Backnang

Unter dem Motto „Christmas is coming“ zelebriert das Stuttgarter Kammerorchester festliche Klänge im Backnanger Bürgerhaus.

Das Stuttgarter Kammerorchester steht seit vielen Jahrzehnten als Garant für feines Musizieren. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Das Stuttgarter Kammerorchester steht seit vielen Jahrzehnten als Garant für feines Musizieren. Foto: Tobias Sellmaier

Von Thomas Roth

Backnang. Eigentlich war der Konzertabend des Stuttgarter Kammerorchesters im Backnanger Bürgerhaus gemeinsam mit der österreichischen Sopranistin Stephanie Pfeffer als Solistin geplant. Diese jedoch erkrankte kurz vor dem Konzert und auf die Schnelle war es nicht möglich, adäquaten Ersatz zu finden. Also wurde das Programm geändert und vier Orchestermitglieder traten stattdessen als Solisten auf: Der Geiger Piotr Szabat spielte den Solopart bei Antonio Vivaldis „Winter“, Manuel Hofer und Kamila Mayer-Maslowska, beide an der Bratsche, sowie der Cellist Ofer Canetti musizierten das sechste Brandenburgische Konzert von Johann Sebastian Bach.

Vivaldis Triosonate „La Follia“ passt vom Titel her gut in diesen Abend: Es ist ja nicht einfach, um nicht zu sagen Wahnsinn oder Verrücktheit („La Follia“), ein Programm so mir nichts, dir nichts zu ändern. Zwei Geigen und das Cello stellen hier das Hauptthema mit zum Teil ruhigen, aber eben auch furios verrückten Variationen vor und werden dabei je nach Variation beeindruckend rasant von Cello und Kontrabass untermalt. Schön schmeichelnd und doch voller Kraft von Susanne von Gutzeit gespielt die Arpeggien gegen Ende der „Sonata da camera a tre“. Übergangslos geht es dann hinein in den wohlbekannten Kanon samt Gigue vom ältesten an diesem Abend gespielten Komponisten, Johann Pachelbel. Das funktioniert ganz gut: Die Vivaldi-Sonate steht in d-Moll, der Kanon in D-Dur.

Das Concerto grosso in d-Moll von Vivaldi, der Opener des Abends, führt mit seinen abwechselnden Solo- und Tuttipassagen in die zu erwartende Klangwelt des festlichen Konzertabends ein. Und etwas weihnachtlich wird es dann tatsächlich bei Giuseppe Torellis „Weihnachtskonzert ‚Per il Santissimo Natale‘“, ein Stück in der Tradition der Pastoralmusik. Das heißt, dass die Komponisten die Musik der Hirten nachzuahmen versuchten.

Nun hatten die Hirten seinerzeit, wenn sie zur Weihnachtszeit aus Bergen wie den Abruzzen in die Städte kamen, um dort zu musizieren, allerdings eher keine Streichinstrumente im Gepäck. Dafür jedoch gerne Schalmeien oder auch Dudelsäcke. Letztere heißen in Italien Zampogna. Die Zampogna ist einer von über 100 verschiedenen Dudelsacktypen, die in ganz Europa in verschiedenen Regionen gespielt wurden.

Die Bratschisten Kamila Mayer-Maslowska und Manuel Hofer brillieren mit Ofer Canetti am Cello

Von allen Dudelsäcken ist die Zampogna der einzige, der neben den Bordunen anstatt einer Spielpfeife (Flöte) gleich zwei davon hat, was somit – und das ist völlig außergewöhnlich für Dudelsäcke – zweistimmiges Melodiespiel ermöglicht. Um diese Klänge in den durchaus schön klingenden Pastoralmusiken wiederzufinden, bedarf es aber eines Quäntchens Fantasie.

Ein Bratschenfeature erster Güte ist Bachs sechstes Brandenburgisches Konzert. Die Solisten Kamila Mayer-Maslowska und Manuel Hofer brillieren mit Ofer Canetti am Cello als Teil eines Septetts, bevor der offizielle Teil mit dem Concerto grosso Opus 6 Nummer 11 von Georg Friedrich Händel kraftvoll, virtuos (kleine, feine Improvisationen von Susanne von Gutzeit) und strahlend gut gelaunt (A-Dur!) zu Ende geht.

Seit vielen Jahrzehnten steht das Stuttgarter Kammerorchester als international anerkannter Garant für feines Musizieren, für hohen klangästhetischen Genuss. Das ist auch, oder erst recht, unter der Leitung der Geigerin und Konzertmeisterin Susanne von Gutzeit so: Voller Enthusiasmus, voller Temperament, aber auch mit Besonnenheit zelebrieren die Musikerinnen und Musiker dieses außergewöhnlichen Ensembles die Kompositionen, Takt für Takt, Note für Note, ohne jemals das Gesamte aus den Augen zu verlieren. Immer spürt man einen (Gutzeit’schen) Plan, eine Linie, die musikalisch verfolgt wird, sei es die Wahl der Tempi oder die dynamische Gestaltung und Experimentierfreudigkeit: So ist, um ein Beispiel hierfür zu nennen, die Klangfärbung zu Beginn des Vivaldi’schen „Winters“ interessant. Die eisige, klirrende Kälte veranschaulichen die Streicher des Stuttgarter Kammerorchesters durch flirrende Töne: Sie streichen mit ihren Bögen ganz dicht am Steg und erzeugen so einen sphärisch-flirrenden, obertonreichen Klang.

Mit einem Ausschnitt aus Corellis Weihnachtskonzert als Zugabe und einem ganz langsam ersterbenden Ton verabschieden sich die Musiker des Stuttgarter Kammerorchesters vom begeisterten Publikum.

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Erstellt:
19. Dezember 2023, 06:00 Uhr

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