Ein Mosaik aus Theater, Kunst und Musik

Anstelle der geplanten Theateraufführung zum Zehnjährigen präsentierte das Theater Rietenau einen Theaterspaziergang. Dabei waren nicht nur schwäbische Mundartszenen geboten. Vielmehr erfreuten sich die Spaziergänger bei ihrem gemütlichen Gang durch den Ort und die Natur auch an allerlei Musik und Kunst.

Der Überraschungsmoment kommt bei den Besuchern bestens an. Die beiden Frauen – Gerlinde Meyer (links) und Gabriele Gruber – die eben noch gemütlich unterm Apfelbaum Tee getrunken haben, reißen sich die Kittelschürzen vom Leib und stürmen in eleganten Kleidern davon. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Der Überraschungsmoment kommt bei den Besuchern bestens an. Die beiden Frauen – Gerlinde Meyer (links) und Gabriele Gruber – die eben noch gemütlich unterm Apfelbaum Tee getrunken haben, reißen sich die Kittelschürzen vom Leib und stürmen in eleganten Kleidern davon. Foto: J. Fiedler

Von Simone Schneider-Seebeck

ASPACH. Nachdem klar war, dass das Zehnjährige des Theaters Rietenau nicht so wie gedacht gefeiert werden konnte, musste eine andere Lösung her. Nicht nur für Lea Butsch vom Ensemble stand fest: „Wir müssen etwas machen.“ Viele weitere Rietenauer Kunstschaffende haben sich eingeklinkt, die Kantorei, verschiedene Sänger, Musiker und Kunstschaffende, und so wurde ein vielschichtiges Gesamtkunstwerk aus der Anfangsidee. Das sehr viel Anklang findet, denn die sechs Spaziergänge an zwei Abenden sind schnell ausgebucht. Gemütliche 90 Minuten dauert der Theater- und Kunstspaziergang, der zunächst durch ein ruhiges Wohnviertel und dann an Wiesen, am Waldrand entlang und schließlich zu den Fischteichen führt. Hier eine kleine Szene, dort ein fröhliches Konzert, Kunstwerke mitten in der Natur, und immer wieder eine Anspielung auf die besondere Situation in den vergangenen Monaten. Mit Frau Schwätzele als einer von drei Reisebegleiterinnen, in Kittelschürze, mit Besen und Eimer bewaffnet, geht es los. Für eine Reisebegleiterin ist sie ausgesprochen schweigsam, nur ein Glöckchen lässt sie ertönen, wenn die Szene beginnen oder die Gruppe weitermarschieren kann.

Da schon der erste Akt – zwei Frauen unterm Apfelbaum trinken Tee und unterhalten sich über die Mutter der einen. Wie doch manches, was sie einen gelehrt hat, in Fleisch und Blut übergegangen ist, wie etwa, sich für jeden Gang außer Haus chic zu machen. Und dann der Überraschungsmoment: Mit einem „Wir sind alle Evas Töchter“ reißen sich die beiden die Kittelschürzen vom Leib und stürmen in eleganten Kleidern davon.

Die Klage der Männer: „Des Johr gibt’s koin Urlaub. Und des isch des Beschte, was mir passiera ka.“

Weiter geht es zur nächsten Station. Bei einer beeindruckenden Bierkasteninstallation klagt der eine schwäbische Ehemann dem anderen sein Leid über den vergangenen Urlaub, der nicht so war wie sonst seit 20 Jahren. Da hat doch Corona auch sein Gutes, denn: „Des Johr gibt’s koin Urlaub. Und des isch des Beschte, was mir passiera ka.“ Na, immerhin! Das Dröhnen eines Betonmischers ist schon von Weitem zu hören, der nächste Schauplatz sind ein Garagendach und ein Balkon, wo sich ein Ehepaar über die Heimwerkerwut eines Freundes auslässt. Für den war der Lockdown, verbunden mit den unzähligen Möglichkeiten in den Baumärkten, natürlich der Himmel auf Erden.

Nun geht es hinaus aus dem Ort, an Obstwiesen vorbei, die Äste der Apfel- und Birnenbäume sind schwer von Früchten. Es duftet nach Heu, eine Kuh beobachtet die spazierende Gruppe interessiert. Eine leichte Brise bringt etwas Abkühlung an diesem immer noch sehr warmen Abend und schließlich trägt sie auch Akkordeonklänge zu den etwa 40 Spaziergängern herüber. Ganz malerisch unter einem ausladenden Apfelbaum sitzen eine Akkordeonspielerin und ein Cellist, der zwischendurch sein Instrument gegen einen Kontrabass austauscht. Ein fröhliches Stück; mit neuem Schwung macht man sich wieder auf den Weg. Musikalisch geht es weiter, diesmal jedoch eher poppig. Kaum sieht man die Sängerin und den Sänger, die am Fischteich unter den schattigen Bäumen warten, dafür hört man sie umso besser. Besonders hübsch dazu das Spiel aus Licht und Schatten, das die Sonne mit den wehenden Blättern spielt und so bewegte Bilder malt. Etwas für Augen und Ohren. Doch noch mehr hat sich an den Teichen versteckt. Einmal bleibt Frau Schwätzele stehen und blickt suchend zum anderen Ufer. Was das blinkende Licht wohl zu bedeuten hat?

„Man muss sich Zeit nehmen“, hat ein (wohl ehemals) fleißiger Schaffer nun für sich erkannt und freut sich samt Fußbad auf einer sonnigen Bank darüber, dass seine Haarpracht wieder die Dimensionen seiner Jugend angenommen hat. Doch kurz nur ist die Freude – Gattin und Friseurin machen mit der Heckenschere kurzen Prozess.

Der Weg führt weiter an einer Künstlerin, die selbstvergessen am Seeufer malt, an Fußballfans in voller Montur, die jedoch eher unmotiviert ihre Fähnchen schwenken und um die verschobene Europameisterschaft trauern, an einem Gitarrenspieler und schließlich glitzert und funkelt es in der Ferne. Das gefällt besonders den Kindern unter den Spazierenden gut und selbst ein Vater gesellt sich zu seinem Sohn, um die bunten Seifenblasen zu fangen, die zu Dutzenden in der Luft tanzen. Welch ein zauberhafter Anblick am frühen Abend! Ein paar Meter weiter ist die bildende Kunst vertreten. Zu jedem Vers der Bergpredigt wurde ein Kopf gestaltet und dazu liegen bunte Bilder aus. Noch ein Stückchen weiter den Weg entlang ist ein Chor zu vernehmen und so manch ein Spaziergänger singt bei „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ selbst leise mit. Ob es daran liegt, dass der junge Wanderfreund, der gemütlich in einem Bett geruht hat, nun doch aufsteht, seinen Rucksack schnürt und einfach davonwandert? Man weiß es nicht.

Die Klage der Füchse: „Es sind zu viele Menschen im Wald. Da muss es in den Orten wunderbar ruhig sein.“

Zum Schluss versammelt sich die Gruppe auf dem Hof eines schmucken Anwesens. Leise sein, bedeutet die umsichtige Frau Schwätzele ihren Schützlingen. Und tatsächlich, vier junge Füchse samt Mama kommen aus dem Wald geschlichen und unterhalten sich lauthals darüber, wie voll es im Wald geworden ist. Einfach zu viele Menschen unterwegs. Da muss es in den menschlichen Siedlungen jetzt ja wunderbar ruhig und einsam sein. Ein aufmerksames Fuchskind aber merkt, dass da doch eine ganze Gruppe an Leuten steht. Wie wunderbar, wenn diese nicht mehr im Wald sind, dann können die Tiere ja wieder zurückkehren. Und die Fuchsmama weist noch darauf hin: „Wenn ihr im Wald seid, dann nehmt euren Müll wieder mit.“

Und zum Schluss löst sich auch noch das Geheimnis um den Putzeimer, den die wackere Frau Schwätzele den ganzen langen Weg mitgetragen hat. Denn anstelle von verkauften Karten wurde dieses Mal um eine Spende gebeten. „Wem es besonders gut gefallen hat, der darf besonders großzügig sein.“ Der Eimer füllt sich rasch.

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Erstellt:
3. August 2020, 06:00 Uhr

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