Im Kino: „The Whale“
Ein zentnerschweres Leben
Im Angesicht des Todes möchte sich ein Vater mit seiner Tochter versöhnen. Brendan Fraser ist mit „The Whale“ ein großes Comeback gelungen.
Von Ina Schäfer
Charlie kämpft sich durch seine Wohnung. Der Englischprofessor trägt mehr als 270 Kilo Körpermasse mit sich herum, die er mithilfe eines Rollators vom Wohn- zum Schlafzimmer schiebt. Nur dank spezieller Hilfsmittel bewältigt er seinen Alltag im kleinstmöglichen Radius. Über seinem Bett hängt ein Griff, an dem er sich morgens hochzieht. Fällt etwas zu Boden, kommt eine Zange zum Einsatz. Seine Studenten unterrichtet er nur noch virtuell. Die Webcam seines Computers lässt er während seiner Seminare ausgeschaltet. Charlie schämt sich für seine Fülle.
Brandon Fraser wurde in den Neunzigern mit Blockbustern wie „George, der aus dem Dschungel kam“ und den Filmen aus der „Mumie“-Reihe bekannt. Und nun kommt er mit einer Rolle zurück, für die er zu Recht seinen ersten Oscar gewonnen hat. Fraser versteht es, dem mächtigen, in einem Fatsuit steckenden Körper etwas Zartes entgegenzusetzen. Die Masse rasselt und ächzt – Fraser lässt dazu fein und nuanciert die Miene spielen. Ständig haftet die Kamera auf seinem Gesicht und seinen wässrigen blauen Augen. Fraser zeichnet überzeugend das Bild von einem todtraurigen Mann – einem todkranken noch dazu.
Der Filmbasiert auf einem Theaterstück
„Du wirst am Wochenende sterben“, sagt seine Freundin Liz (Hong Chau). Die resolute Krankenschwester und ein Pizzabote sind seine einzigen sozialen Kontakte. Liz möchte, dass Charlie ins Krankenhaus geht. Sie möchte ihren Freund retten und resigniert doch. Sie stellt ihm eine Jumbopackung Snacks auf den Bauch und setzt sich zu ihm vor den Fernseher. Immer wenn Charlie fast kollabiert, nimmt er einen Essay zur Hand, den er sich laut vorliest. Der Titel: „The Whale“ – ein Text über den Roman „Moby Dick“.
Der Film basiert auf einem Theaterstück von Samuel D. Hunter. Regisseur Darren Aronofsky hat aus dem Stoff ein düsteres Kammerspiel für die Leinwand gemacht. Noch dazu quetscht er den fülligen Mann wirkungsvoll ins enge 4:3-Format.
Im Angesicht des Todes hat Charlie noch einen letzten Wunsch: Er möchte sich mit seiner Tochter (Sadie Sink) versöhnen. Doch Ellie ist ein störrischer Teenager, der sich von seinem Vater im Stich gelassen fühlt. Charlie hat seine Familie verlassen, um mit einem seiner Studenten zusammen zu sein. Um es wiedergutzumachen, schlägt er ihr vor, ihre Schulaufsätze zu schreiben und ihr Geld zu geben. Das scheint sie vorerst in seiner Wohnung zu halten. Genauso wie ein junger Missionar (Ty Simpkins), der vor Charlies Tür steht, als dieser beim Masturbieren beinahe kollabiert. Der Missionar kommt dann immer häufiger vorbei. Eine verlorene Seele, die eine andere verlorene Seele retten will. Darum geht es: Können Menschen gerettet werden, die gar nicht gerettet werden möchten? An manchen Stellen wird die Frage allzu plakativ behandelt. Doch Fraser ist es zu verdanken, dass der Film trotzdem berührt. Und nicht zuletzt sorgt Hong Chau als robuste Krankenschwester und Freundin mit ihrem Zynismus für heitere Momente, die der Zuschauer zwischendurch bitter nötig hat.
The Whale. USA 2022. Regie: Darren Aronofsky. Mit Brendan Fraser, Sadie Sink, Hong Chau. 117 Minuten. Ab 12 Jahren.
„The Whale“
Der FilmUSA 2022, Regie: Darren Aronofsky. Mit Brendan Fraser, Hong Chau, Sadie Sink. 117 Minuten. Kinostart: 27. April 2023.
Der HauptdarstellerDer amerikanisch-kanadische Schauspieler Brendan Fraser ist 1968 in Indianapolis geboren. Bekannt wurde er vor allem durch die Abenteuerfilme „Die Mumie“ und „George, der aus dem Dschungel kam“. Für die Rolle des Charlie in „The Whale“ hat er den Oscar für die beste männliche Hauptrolle gewonnen.
Der RegisseurDer US-amerikanische Regisseur und Drehbuchautor Darren Aronofsky ist 1969 in New York geboren. Für seinen ersten Spielfilm „Pi“ erhielt er auf dem Sundance-Filmfestival den Preis für die beste Regie. Zu seinen bekanntesten Filmen zählen das Sportdrama „The Wrestler“ und der Ballettthriller „The Black Swan“.