Neu im Kino: „Geliebte Köchin“

Eine Ode an die französische Küche

In Tràn Anh Hùngs Gourmet-Romanze „Geliebte Köchin“ mit Juliette Binoche dreht sich alles um das Treiben in einer ausladenden Küche und an festlich gedeckten Tischen. Dieser kulinarische Traum wurde beim Filmfestival in Cannes mit der Regie-Palme ausgezeichnet.

Eugénie (Juliette Binoche) arbeitet für den Meisterkoch Dodin Bouffant (Benoît Magimel). Oder ist da mehr?

© stephanie branchu/stephanie branchu

Eugénie (Juliette Binoche) arbeitet für den Meisterkoch Dodin Bouffant (Benoît Magimel). Oder ist da mehr?

Von Bernd Haasis

Eugénie (Juliette Binoche) schneidet und rührt, kocht und backt, schichtet auf und richtet an. Viele Durchläufe in Pfanne und Ofen mit unzähligen Zutaten braucht das Lammkarree, das allein Hobby-Köchinnen und -Köche schon stark fordern würde. Die Küchenmeisterin Eugénie aber bereitet mit ihrer Helferin Violette (Galatea Bellugi) Gang um Gang eines ausgeklügelten Menüs zu – bis hin zu einem Omelette Norvegienne. Beim Genuss dieser prächtigen Eisbombe kommen der kleinen Pauline (Bonnie Chagneau-Ravoire), auf die Violette ab und zu aufpasst, vor Glück die Tränen.

Die Eingangssequenz von Tràn Anh Hùngs Gourmet-Romanze „Geliebte Köchin“ ist eine Ode an die Cuisine française – als Berater fungierte der französische Sterne-Koch Pierre Gagnaire. Es kann einem schwindlig werden, wie viel Erfahrung und Raffinesse die Kochenden brauchen, um alles genau auf den Punkt zu garen. Und weil der Film 1885 spielt, mitten in der französischen Belle Époque des Friedens und des Wohlstands, sind sämtliche Zutaten völlig naturbelassen und chemiefrei. Auch dies ist für heutige Augen ein wahrer Schmaus – es sei denn, man empfindet tote Tiere als Graus.

Eugénie arbeitet für den Meisterkoch Dodin Bouffant (Benoît Magimel), der ihr Dienstherr und zugleich ihr Liebhaber ist. Seit Jahren buhlt er darum, sie heiraten zu dürfen, doch die Köchin hat stets eine gewisse Distanz gewahrt. Als sie einen Schwächeanfall erleidet, kredenzt Bouffant ihr in einer zweiten großen Kochsequenz ein mehrgängiges Traum-Menü – und erobert dabei endgültig ihr Herz. Das war auch schon die gesamte Handlung, soweit man sie verraten möchte – und dennoch ist dieser Film über weite Strecken erstaunlich kurzweilig. Hùng fokussiert ganz auf den Rausch der Sinnlichkeit, auf das Treiben in der ausladenden Küche, an festlich gedeckten Tischen und, in Andeutungen, in der Kemenate der Köchin. Der Regisseur hat sich dafür ein dunkles französisches Baudenkmal ausgesucht und einen weitläufigen Obst- und Gemüsegarten. Dort wächst auch die Apfelsorte Renette, die Bouffant explizit für ihr Aroma preist.

Überhaupt sprechen Dodin Bouffant und seine Freunde sehr viel und detailliert über die Feinheiten leiblicher Genüsse. Manchmal rezitieren sie gar ganze Rezepte, als handle es sich dabei um die schönste Dichtung. Dass nur ein Bruchteil der Menschen sich – damals wie heute – derart fürstliche Mahle überhaupt leisten konnte und kann, spielt keine Rolle – die Schlemmerei entfaltet sich vor dem Kinopublikum, als wäre sie gottgegeben.

Hung konzentriert sich auf das Innere des Mikrokosmos, in dem Eugénie sich bewegt; fürs Außen interessiert er sich kein bisschen. Das damals noch herrschende Patriarchat mildert er ab, indem er Bouffant als vollendeten Kavalier zeichnet. Er würde seine Angebetete auf Händen tragen, wäre sie nur nicht so bescheiden. Selbstverständlich darf sie die Spielregeln bestimmen – und ihre Türe auch mal verriegeln, wenn ihr nicht danach ist. Die Frauenrolle bleibt jedoch unterbelichtet, das große Wort führen stets die Männer.

Binoche hat sich in existenziellen Filmkunst-Dramen einen Ruf als Charakterdarstellerin erarbeitet, in „Die Liebenden von Pont-Neuf“ (1991, Regie: Leos Carax) als erblindende Malerin am Abgrund und in „Drei Farben: Blau“ (1993, Regie: Krzysztof Kieślowski) als Frau, die den Verlust ihrer Familie durch einen Neuanfang in der Fremde zu kompensieren versucht. Hier nun wartet man vergebens auf einen Impuls über die Töpfe und Pfannen hinaus, Binoche nimmt sich artig zurück. Mit Magimel war sie einst auch privat liiert, und die beiden harmonieren hervorragend; die Vertrautheit zwischen ihren Figuren in Gesten und Blicken bleibt keine Behauptung.

In der gestelzten Redeweise der damaligen Zeit umkreisen sie einander, wie die Kamera die beiden umkreist. Dabei verlieren sie kaum ein Wort über ihre Küchenbeziehung hinaus – nicht über Literatur oder Malerei, die damals blühten, und auch nicht über die gesellschaftlichen Verhältnisse, die ja auch in guten Zeiten immer einen Kommentar wert sind. Eskapismus und Nostalgie gehen eine wunderbare Liaison ein in „Geliebte Köchin“. Friedvoll geht es da zu, die Menschen ruhen in sich – wie schön wäre die Welt, wenn nur alle gut zu essen hätten und genügend Liebe bekämen. In unruhigen Zeiten können solche Utopien wohltuend wirken; man muss nur bereit sein, alles andere auszublenden, was Menschen üblicherweise umtreibt. Dass dieser kulinarischen Traum beim Filmfestival in Cannes gut ankam und Hùng die Regie-Palme einbrachte, ist kein Wunder: Die Grande Nation darf sich hier ganz auf einen ihrer großen Kulturexporte besinnen. Alle Hoffnungen ruhen schließlich auf Pauline, die beweist, was wirklich wichtig ist – mit außergewöhnlichen Geschmacksknospen gesegnet, kann sie in einer Szene mehr als ein Dutzend Zutaten eines ausgeklügelten Gerichts benennen.

Geliebte Köchin. F 2023. Regie: Tràn Anh Hùng. Mit Juliette Binoche, Benoît Magimel. 135 Minuten. Ab 6 Jahren

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Erstellt:
7. Februar 2024, 15:14 Uhr

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