Endlich wieder Verona-Feeling vor der Marktplatzkulisse
Der heiß ersehnte Neustart des classic-ope(r)n-airs ist bei Traumwetter ein voller Erfolg. Vier ausverkaufte Vorstellungen an zwei Tagen.
Von Marina Heinrich
BACKNANG. Endlich. Das meistgehörte Wort am Samstagabend lautete: „Endlich!“ Endlich wieder Orchester, endlich wieder Verona-Feeling, endlich wieder Marktplatzkulisse. Aber vor allem: Endlich wieder Livemusik in größerem Rahmen. Letztes Jahr sah alles anders aus. Rainer Roos saß alleine am E-Piano auf der Bühne des Autokinos in den Etzwiesen und ersetzte ein komplettes Orchester. Vier großartige Solisten sangen damals im Juli bei einer coronabedingt stark reduzierten Version des beliebten Klassikevents, quasi ein nicht minder erfolgreiches und qualitativ gewohnt hochwertiges „Classic-open-Airchen light“.
Rainer Roos dürfte sich dieses Jahr mehr als gefreut haben, dass er sich wieder auf die musikalische Leitung des heiß ersehnten Jahreshöhepunkts aller Backnanger Klassikliebhaber konzentrieren und mit einem echten Orchester interagieren konnte. Zumal dieses Orchester wegen der aktuellen Pandemiebedingungen zwar nur aus zwölf Personen bestand (sechs Mitglieder der Strauss-Capelle Wien und sechs Bläser aus dem Raum Stuttgart), die aber nicht nur wunderbar harmonierten, sondern auch den akustischen Eindruck einer weit größeren Menge hinterließen. Was einerseits an der herausragenden Qualität der Musiker lag, andererseits jedoch auch an der nicht zu unterschätzenden Leistung des Mannes am Mischpult und der Firma d&b Audiotechnik, die an diesem Abend ein völlig neues Soundsystem mit Prototyp-Lautsprechern einsetzten. „Wir fühlen uns hier oben wie in einem echten Konzertsaal“, kommentierte Rainer Roos begeistert. Das offiziell „echte“ 23. classic-ope(r)n-air stand unter dem Motto „Wieder hinaus ins strahlende Licht“ – die Anfangszeile des Liedes Zwei Märchenaugen aus der Operette Die Zirkusprinzessin.
Die Musiker und Sänger standen körperlich und stimmlich dieses Jahr vor einer besonderen Herausforderung, denn statt eines großen Konzerts musste das Ereignis auf vier Auftritte an zwei Tagen verteilt werden, damit man die Abstandsregeln einhalten und doch so viele Fans wie möglich glücklich machen konnte. Rainer Roos und Backnangs Kulturamtsleiter Johannes Ellrott zeigten sich sehr dankbar über die Genehmigung der Stadt, die erst vor drei Wochen erfolgte. So stand einem heiß ersehnten Ereignis nichts mehr im Weg, zumal auch das Wetter mitspielte.
Zunächst drehte sich alles um Mozarts Opern. Kai Preußker eröffnete den Abend mit Papagenos Arie „Der Vogelfänger bin ich ja“ aus der Zauberflöte. Der in Dresden geborene Bariton ist ein sehr vielseitiger Sänger mit breit angelegter Stimme, die sowohl in den Höhen als auch in den Tiefen überzeugt. Ebenfalls aus der Zauberflöte sang Sophia Theodorides die erste Arie der Königin der Nacht, stilecht in einer mitternachtsblauen Robe. Die junge Solistin des Staatstheaters Karlsruhe begeisterte mit beeindruckend sauberen Koloraturen und enormer Sicherheit in den Höhen. Weiter ging die Reise durch Mozarts Werk, Cosi fan tutte stand auf dem Programm, daraus zunächst die Arie „Come scoglio“ – die Felsenarie. Sopranistin Arminia Friebe ist in Backnang keine Unbekannte, die temperamentvolle Rheinländerin mit der langen blonden Mähne hat seit ihrem Gesangsstudium an der Musikhochschule in Köln immer weiter an ihrem breiten Repertoire gearbeitet. Oper, Operette, Musical und Konzert, überall ist sie zu Hause.
Einer der Höhepunkte aus Mozarts Oper über die Treue der Frauen ist eine Ode an die Liebe: „Un aura amorosa“, wie geschaffen für Manolito Mario Franz und seine intensiv-weiche, warme lyrische Tenorstimme. Der Sänger mit neapolitanischen Wurzeln nahm das Backnanger Publikum sofort für sich ein. Mit der berühmten Verführungsarie „Là ci darem la mano“ (Reich mir die Hand, mein Leben) aus Don Giovanni entführte Kai Preußker Sophia Theodorides in ihrer Rolle als Zerlina auf sein Schloss, bevor er mit der Champagnerarie den Mozartpart des Abends beendete.
2020 stand Ludwig van Beethovens 250. Geburtstag an und eigentlich wäre dieses Thema Mittelpunkt des letztjährigen classic-ope(r)n-airs gewesen. Daher ließ es sich Rainer Roos nicht nehmen, dem großen deutschen Komponisten nachträglich zu gratulieren – mit dem Quartett aus Fidelio, Beethovens einziger Oper. Bei diesem Stück zeigte sich ganz besonders die Fähigkeit des Mannes am Mischpult: Nicht nur, dass alle vier Solisten trotz unterschiedlicher Stimmfarben einerseits glasklar und differenziert zu hören waren. Trotzdem kam es zu einem harmonischen Miteinanderverschmelzen der Stimmen und einer perfekt abgestimmten musikalischen Begleitung des Orchesters. Ein echter Höhepunkt des Abends.
Der zweite Teil des Konzerts galt der scheinbar leichteren Muse – der Operette und den Liedern. Der Kusswalzer Il bacio von Luigi Arditi, die neapolitanische Canzone „Torna a Surriento“, „Meine Lippen, die küssen so heiß“ aus Lehárs Giuditta – das Publikum war begeistert. Das Mottolied des Abends „Zwei Märchenaugen wie die Sterne so schön“ und das schwungvolle „Du sollst der Kaiser meiner Seele sein“ von Robert Stolz läuteten das Ende eines wundervollen Abends ein, bevor alle vier Solisten singend auf der Bühne Walzer tanzten und sich mit „Tanzen möchte ich“ aus Kalmans Czardasfürstin verabschiedeten. Natürlich nahmen die Backnanger das nicht einfach so hin. Denn wenn man schon – endlich! – wieder Kultur genießen kann, dann durfte natürlich auch die traditionelle Zugabe bei jedem classic-ope(r)n-air nicht fehlen: „O sole mio“. Doch selbst danach hörten die Zugaberufe und stehenden Ovationen noch lange nicht auf. Nicht nur Rainer Roos und die Interpreten strahlten, auch das Backnanger Publikum war glücklich. Endlich.