Neu im Kino: „Juror #2“

Gefangen im moralischen Dilemma

Clint Eastwood lotet in seiner neuesten Regiearbeit fürs Kino „Juror #2“ mit maximaler Ambivalenz die moralische Zwickmühle seines Protagonisten aus. Auf der Geschworenenbank erkennt Justin, dass er selbst der Täter im laufenden Prozess sein könnte.

Weiß mehr als er zugibt: Justin (Nicholas Hoult, vorne, 2.v.li.) auf der Geschworenenbank.

© imago/ZumaPress

Weiß mehr als er zugibt: Justin (Nicholas Hoult, vorne, 2.v.li.) auf der Geschworenenbank.

Von Martin Schwickert

Der Mann kann einfach nicht aufhören. 94 Jahre alt ist Clint Eastwood, und ein Ausstieg aus dem Berufsleben scheint für ihn immer noch nicht in Betracht zu kommen. Mit einer unerschütterlichen Kontinuität hat Eastwood in den vergangenen dreißig Jahren ein umfangreiches Alterswerk von mehr als zwanzig Regiearbeiten auf die Beine gestellt.

Wo Filmemacher wie Francis Ford Coppola mit „Megalopolis“ alle Kraft in ein letztes, großes Meisterwerk stecken (und damit scheitern), hat Eastwood als grundsolider Handwerker einen Film nach dem anderen gedreht. In „Gran Torino“ (2008) zeigt Eastwoods garstiger Korea-Veteran Walt Kowalski dem vietnamesischen Nachbarjungen, was in die Werkzeugtasche gehört, um Reparaturen an Haus und Auto durchzuführen. Schraubendreher, Maulschlüssel, Klebeband – es sind nicht allzu viele Sachen, die man braucht. Der Rest ist Know-how.

Die Szene könnte man als vorgezogenes Vermächtnis einpreisen. Denn ganz wie seine Charaktere auf der Leinwand hat sich auch der Regisseur Eastwood eine klare, schnörkellose Herangehensweise bewahrt, die sich auf das Wesentliche konzentriert. Dabei kamen oscargekrönte Filme wie „Million Dollar Baby“ (2004) und weniger bedeutende Routinewerke wie „Der Fall Richard Jewell“ (2019) heraus. Aber langweilig wurde es mit Clint Eastwood nie, weil er all seine Geschichten mit Stringenz, Konzentration und Empathievermögen erzählt. Dies gilt auch für sein neues (vielleicht letztes?) Werk „Juror #2“.

Ein Ex-Polizist geht den Zweifeln nach

Der Film erzählt vom angehenden Familienvater Justin (Nicholas Hoult), der in die moralischen Mühlen des US-Justizsystems gerät. Ehefrau Allison (Zoey Deutch) ist im neunten Monat schwanger und hat vor einem Jahr ein Kind durch eine Fehlgeburt verloren. Da kommt Justins Berufung zum Geschworenen in einem Mordprozess. Der Angeklagte James Sythe (Gabriel Basso) soll seine Freundin Kendall (Francesca Eastwood) umgebracht haben.

Das Paar hatte sich in einer Bar nach ein paar Drinks lautstark gestritten. Kendall rannte hinaus, um bei strömenden Regen auf einer dunklen Landstraße allein nach Hause zu gehen. James folgte ihr mit seinem Auto. Die Leiche der Frau wurde mit Schädelbrüchen an einem Abhang neben der Fahrbahn gefunden. Für die Staatsanwältin Faith Killebrew (Toni Collette) ist der Fall klar. Schließlich hat der Angeklagte eine kriminelle Vergangenheit als Ex-Mitglied einer Drogenbande und in Sachen häuslicher Gewalt. Für Faith, die sich auf das Amt der Bezirksstaatsanwältin bewirbt, ist der öffentlichkeitswirksame Prozess auch ein wichtiger Teil ihrer Wahlkampagne. Aus Sicht der Klägerin und einem Großteil der Medien ist der Schuldspruch unausweichlich.

Aber in dem Geschworenen Nummer 2 kommen Zweifel auf. Justin realisiert während der ersten Zeugenvernehmungen, dass er selbst in der betroffenen Nacht in der Bar war. Der trockene Alkoholiker saß hier eine Zeit vor einem Glas Whisky, ohne es anzurühren. Auf der Rückfahrt durch das Unwetter rammte er etwas, von dem er dachte, es sei ein Reh. Nun wird ihm auf der Geschworenenbank klar, dass er höchstwahrscheinlich für den Tod der Frau verantwortlich ist. Ein befreundeter Anwalt rät ihm eindringlich davon ab, sich zu stellen. Einem Alkoholiker drohe bei einem solchen Delikt eine jahrzehntelange Haftstrafe. Und so wird der Geschworene zum Gefangenen eines moralischen Dilemmas, aus dem er sich mit zunehmender Verzweiflung zu befreien versucht. Nach der Beweisaufnahme will Justin die anderen Geschworenen davon überzeugen, dass die Schuld des Angeklagten nicht eindeutig bewiesen sei. Aber die anderen Mitglieder der Jury drängen auf einen schnellen Schuldspruch und wollen nach Hause zu ihren Familien. Nur der Geschworene Harold (JK Simmons), ein ehemaliger Polizist, lässt sich von der Argumentation überzeugen und beginnt, eigene Nachforschungen anzustellen, die zu Justin als Verdächtigen führen könnten.

Nicholas Hoult spielt die inneren Konflikte seiner Figur fein nuanciert

Mit unnachgiebiger Genauigkeit und maximaler Ambivalenz lotet Eastwood in seiner 41. Regiearbeit fürs Kino die moralische Zwickmühle seines Protagonisten aus, der von starken Gewissensbissen geplagt wird und seine moralischen Grenzen immer weiter ausdehnt. Schließlich steht für Justin nicht nur das eigene Lebensglück, sondern auch die Verantwortung für seine zukünftige Familie auf dem Spiel.

Nicholas Hoult, der sich auch mit Mitte 30 noch seinen trügerischen Babyface-Charme bewahrt hat, ist perfekt in der Rolle des gutherzigen Normalbürgers, der alles richtig machen will, aber etwas Falsches tun muss. Die enormen inneren Konflikte seiner Figur lässt Hoult mit feiner Mimik nuanciert nach außen dringen. Auf der anderen Seite des Justizsystems steht ihm die fabelhafte Toni Collette gegenüber, deren Staatsanwältin sich zwischen Karriere-Booster und Wahrheitsfindung entscheiden muss.

Aber auch die generelle Verwundbarkeit des amerikanischen Justizsystems wird deutlich vor Augen geführt, dessen Neutralität durch ein Geflecht von Eigeninteressen zur Disposition steht.

Mit seinem Blick auf persönliche wie strukturelle Konflikte zeigt Eastwood in „Juror #2“ auf spannende Weise, was man aus dem vermeintlich altmodischen Genre des Gerichtsfilmes alles rausholen kann. Mal sehen, was der große, alte Mann des amerikanischen Kinos noch bis zu seinem 100. Geburtstag alles aus dem Ärmel schüttelt.

Juror #2: USA. Regie: Clint Eastwood, mit Nicholas Hoult, Toni Collette, Zoey Deutch, ab 12 Jahren, Start: 16. Januar.

Am Filmset: Nicholas Hoult (li.) und Clint Eastwood.

© IMAGO/ZUMA Press/IMAGO/Warner Bros

Am Filmset: Nicholas Hoult (li.) und Clint Eastwood.

Szene aus dem Film „Juror #2“.

© IMAGO/Landmark Media/IMAGO/Supplied by LMK

Szene aus dem Film „Juror #2“.

Nicholas Hoult in „Juror #2“.

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Nicholas Hoult in „Juror #2“.

Toni Collette in „Juror #2“

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Toni Collette in „Juror #2“

Szene aus dem Film „Juror #2“.

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Szene aus dem Film „Juror #2“.

Szene aus dem Film „Juror #2“.

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Szene aus dem Film „Juror #2“.

Szene aus dem Film „Juror #2“.

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Szene aus dem Film „Juror #2“.

Szene aus dem Film „Juror #2“.

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Szene aus dem Film „Juror #2“.

Szene aus dem Film „Juror #2“.

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Szene aus dem Film „Juror #2“.

Szene aus dem Film „Juror #2“.

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Szene aus dem Film „Juror #2“.

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Erstellt:
14. Januar 2025, 07:12 Uhr

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