„Der Gänsekrieg“: Halb Märchen, halb Musical

Am Samstag feiert das Freilichttheaterstück „Der Gänsekrieg“ des Backnanger Bandhaus-Theaters Premiere. Auf dem Freithof hinter der Stiftskirche sind bei bestem Wetter so gut wie alle Plätze belegt. Das Publikum belohnt die gelungene Uraufführung mit minutenlangem Applaus.

Eingesperrt: Ihr Versuch, sich das Recht auf die Gänsehaltung zurückzukämpfen, endet für die Backnanger Frauen vorübergehend im Gefängnis. Ihre Ehemänner sind singend angerückt, um sie herauszuholen. Denn zu Hause kocht niemand mehr. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Eingesperrt: Ihr Versuch, sich das Recht auf die Gänsehaltung zurückzukämpfen, endet für die Backnanger Frauen vorübergehend im Gefängnis. Ihre Ehemänner sind singend angerückt, um sie herauszuholen. Denn zu Hause kocht niemand mehr. Foto: Alexander Becher

Von Melanie Maier

Backnang. Der Wettergott meint es am vergangenen Samstagabend gut mit dem Bandhaus-Theater. Leiterin Jasmin Meindl darf sich bei der Uraufführung ihres Stücks „Der Gänsekrieg“ bei angenehmen Temperaturen und Sonnenschein über volle Ränge auf dem bestuhlten Freithof hinter der Stiftskirche freuen. Zusammen mit ihrer Kollegin Juliane Putzmann begrüßt Meindl vor dem Beginn des Freilichtspektakels das Publikum und zahlreiche Ehrengäste – zu denen unter anderem der Backnanger Oberbürgermeister Maximilian Friedrich, Backnangs Kulturamtsleiter Johannes Ellrott, die Landtagsabgeordneten Gernot Gruber (SPD) und Ralf Nentwich (Grüne), die zwei Träger der Backnanger Bürgermedaille Christa Elser und Robert Antretter sowie mehrere Stadträte gehören –, und führt in die Handlung ein.

„Der Gänsekrieg“ beruht auf historischer Grundlage. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde den Bewohnerinnen und Bewohnern Backnangs das Recht abgesprochen, Gänse zu halten. Doch so leicht gaben sich die Frauen der Stadt nicht geschlagen. In einer jahrelangen Auseinandersetzung kämpften sie sich ihr verlorenes Recht zurück. Diesen langwierigen Streit mit den Obrigkeiten, den Gänsekrieg, haben Autorin Jasmin Meindl und der freie Journalist Christian Muggenthaler zu einem Theaterstück verdichtet – zu einem modernen Märchen und „einer beispielhaften Geschichte dafür, dass Frauen schon immer Politik gemacht haben“, wie Meindl auf der minimalistischen Holzbühne hinter der Stiftskirche betont.

Zu Akkordeonklängen betritt als Erstes, selbstverständlich, eine Frau die Bühne

Die Kirche mit der langen Außentreppe, den schweren Eingangstüren und hohen Buntglasfenstern wird am Samstagabend zu einem Teil der Kulisse. Auf der von Peter Engel gestalteten Bühne (er war bereits 2017, beim ersten Freilichtstück des Bandhaus-Theaters, „Judith von Backnang“, für das Bühnenbild zuständig) verwandelt sich ein klug gebautes Drehelement aus Metallgerüst und Holzspanverkleidung mal in die entstehende Büste des Backnanger Vogts und später in sein Schlafgemach, mal in die Räume der Hauptfigur – der Hebamme und Kräuterfrau Johanna Bachem – und nicht zuletzt in ein Gefängnis.

Zu Akkordeonklängen betritt als Erstes, selbstverständlich, eine Frau die Bühne: Ronja Losert (überragend) in ihrer Rolle als die Zeitlose – eine Art Naturgottheit, die in Reimen spricht und sich den Lebenden nach eigener Aussage nur dann zeigt, wenn es an der Zeit dafür ist. Mit den auch für ein modernes Märchen unabdingbaren Worten „Es war einmal vor langer, langer Zeit“ nimmt das Geschehen seinen Lauf. Der Vogt (herrlich unsympathisch: Dirk Waanders, in Backnang bekannt als Serge aus der Bandhaus-Komödie „Kunst“ von Yasmina Reza) begrüßt seinen neuen Sekretarius Cosmas (Tino Leo) und drückt seine Hoffnung aus, dieser sei männlicher als seine Vorgänger. Das kurze Statement reicht aus, um ihn als einen Mann zu charakterisieren, der wohl kaum an einer feministischen Emanzipationsbewegung interessiert ist. Doch der muss er sich zwangsläufig stellen, denn sein Verbot der Gänsehaltung („die fressen die Felder leer, sind überall im Weg und scheißen alles voll“) sorgt für Wut und Widerstand bei den Backnangerinnen, deren Erwerb und damit Überleben von dem Federvieh abhängt.

Zunächst wird sich über die Frauen lächerlich gemacht

Die Figur der Hagin (Leslie Roehm, sie spielte bereits die Lieblinde in „Judith von Backnang“) bringt mit ihrer Beschwerde beim Vogt einen Mechanismus zum Laufen, der Theatermacherin Jasmin Meindl zufolge typisch ist, wenn Frauen versuchen, ihre Rechte einzufordern: Sie werden zunächst lächerlich gemacht, dann denunziert, zuletzt wird ihnen mit Gewalt gedroht und schließlich auch damit begegnet.

Diesem Mechanismus versucht sich die Bachin, die Witwe des Jakob Bachem, entgegenzustellen. Zunächst jedoch muss sich Johanna Bachem (Ursula Berlinghof, die nicht nur wunderbar spielt, sondern auch gänsehautgut singen kann) ihren Ängsten stellen. Und zur Einsicht kommen, dass die vermeintlich gottgegebene Ordnung von Menschen gemacht ist und von Menschen geändert werden kann. Bestärkt von der Zeitlosen, die keine Einwände gelten lässt („weil Wissen auch Verpflichtung ist“), verfasst die Bachin einen Brief an den Herzog in Stuttgart, der über die Angelegenheit entscheiden soll – und zieht damit den Unmut des Vogts und der Stadträte auf sich.

Viele Schauspieler haben eine Doppelrolle

Letztere werden, wie auch die Backnanger Frauen sowie deren Ehemänner, von den Darstellerinnen und Darstellern der Backnanger Bürgerbühne verkörpert. Nicht wenige haben sogar eine Doppelrolle inne. Ebenfalls von der Backnanger Bürgerbühne sind Gaby Miletic und Sylvie Bollinger als Giggel und Gaggel zu sehen – zwei gänseähnliche Figuren, die dem Vogt nicht von der Seite weichen und die mit dem Legen zweier riesiger goldener Eier den märchenhaften Charakter des Stücks erst kreieren. Die gewollt lachhaften Rollen allerdings schießen mit ihrem direkten Witz, der keinen Platz fürs Subtile lässt, für manche im Publikum ein wenig übers Ziel hinaus, etwa wenn sie sich inbrünstig – „gigg“, „gagg“ – um den Vogt streiten oder ihn gackernd mit einem Schlaflied zur Melodie von „Guten Abend, gut Nacht“ zu Bett bringen.

Annalena Maas und Fiete Wachholtz haben sich in einen Rausch gespielt

Die Musik nimmt insgesamt eine große Rolle im Stück ein und sorgt dafür, dass die zweieinhalb Stunden wie im Flug vergehen. Regisseurin Annalena Maas und der für die Musik zuständige Fiete Wachholtz hätten sich in einen Rausch gespielt, lässt Jasmin Meindl vor der Premiere wissen. Herausgekommen ist ein Soundtrack mit zwölf Songs (siehe Infokasten), die im Chor oder von einzelnen Figuren gesungen werden. Im Kopf bleiben wird den Zuschauerinnen und Zuschauern sicherlich das sexy Plätzchenrezept von Violetta (Emily Schmeller), das wohl zum ersten Mal in der Musikgeschichte Hip-Hop-Beats und Brennnesselsamen vereint, aber auch die Hymne „Mensch“, bei der Ursula Berlinghof Stimmgewalt zeigt, und der Chorgesang „Halt den Kopf tief“, der das Zeug zum Ohrwurm hat. Die Lieder verschaffen nochmals einen anderen Zugang zu der Ermächtigungsgeschichte, die Meindl und Muggenthaler mit dezenten Hinweisen auf die Zeit, in der sie spielt (so sind zum Beispiel Violettas Eltern und ihre Geschwister an den Pocken gestorben), ins Heute geholt haben. Dass das Theaterstück nicht nur die historisch belegten Fakten wiedergeben möchte, sondern Allgemeingültigkeit für sich beansprucht, spiegelt sich auch in den Kostümen wider (Jasmin Kaege und Felix Weber), die das Damals zwar durchschwingen lassen, von denen viele aber auch gut heute getragen werden könnten (brillant ausgestattet: der Herzog). Für die gelungene Premiere bedankt sich das Publikum mit minutenlangem Applaus.

Tickets und Termine

Termine „Der Gänsekrieg“ wird auf dem Freithof hinter der Backnanger Stiftskirche am Donnerstag, 21. Juli, Freitag, 22. Juli, Samstag, 23. Juli, Sonntag, 24. Juli, Donnerstag, 28. Juli, Freitag, 29. Juli, Samstag, 30. Juli, und Sonntag, 31. Juli, aufgeführt. Beginn ist jeweils um 20.30 Uhr. Mehr Infos findet man unter www.gaensekrieg.de. Auch den offiziellen Soundtrack zum Stück kann man auf der Webseite für 12 Euro erwerben.

Tickets Karten kosten zwischen 10 und 28 Euro. Sie sind online erhältlich unter www.easyticket.de/veranstalter/B14.

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Erstellt:
18. Juli 2022, 06:00 Uhr

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