Himmlische Dramatik in vielen Variationen

Die Ausstellung „hintergründig – Aus allen Wolken“ ist der Auftakt zu drei Kabinettausstellungen mit Holzschnitten, Kupferstichen und Radierungen im Riecker-Raum des Backnanger Helferhauses. Im Fokus stehen Hintergrundlandschaften ausgewählter Druckgrafiken.

Antonio Tempesta „Die Erschaffung von Sonne, Mond und Sternen“. Die Radierung ist Anfang des 17. Jahrhunderts entstanden. Gottvater erschafft von einer Wolke aus nach und nach die Welt. Das Blatt ist Teil einer Folge von zwölf Radierungen zur Schöpfungsgeschichte.

© Janine Kyofsky

Antonio Tempesta „Die Erschaffung von Sonne, Mond und Sternen“. Die Radierung ist Anfang des 17. Jahrhunderts entstanden. Gottvater erschafft von einer Wolke aus nach und nach die Welt. Das Blatt ist Teil einer Folge von zwölf Radierungen zur Schöpfungsgeschichte.

Von Ingrid Knack

Backnang. Drei Kabinettausstellungen im Riecker-Raum im Backnanger Helferhaus sollen in diesem Jahr und Anfang des nächsten Jahres den Blick auf die Hintergründe ausgewählter Blätter lenken. Diese stammen aus der Sammlung, die der einstens nach Amerika ausgewanderte Backnanger Apotheker Ernst Riecker in den Jahren 1870 bis 1918 zusammengetragen und später seiner Heimatstadt vererbt hat. Die Sammlung wurde mittlerweile von der Stadt um knapp 500 Blätter ergänzt.

Kuratorin Simone Scholten spricht von Dreiklängen, hinter denen die Idee stecke, „den Riecker-Schatz, der bei der Stadt vorhanden ist, einmal unter einem ganz anderen Aspekt zu sehen“. Der Auftakt des Dreiklangs 2022 nennt sich „hintergründig – Aus allen Wolken“. Es folgen die Ausstellungen „hintergründig – Vor lauter Bäumen“ und „hintergründig – Mit allen Wassern“. Dass in den Riecker-Räumen solche Ausstellungsserien mit Schwerpunkten auf inhaltlichen Details gezeigt werden, gehöre mittlerweile zum Konzept des Backnanger Graphik-Kabinetts, so Simone Scholten. Sie hat das Graphik-Kabinett in den Jahren 2009 bis 2016 geleitet, bevor sie als Kuratorin ans Kunstmuseum in Mülheim an der Ruhr ging. Im Jahr 2020 wurde das „Kinderreich“ in ausgewählten Blättern von ihrer Nachfolgerin Celia Haller-Klingler unter den Stichworten „bedacht“, „bewegt“ und „beflügelt“ betrachtet. Das Jahr davor ging es um das Thema „Tierisch!“, wobei den Aspekten „begleitend“, „fabelhaft“ und „mit Haut und Haar“ nachgegangen wurde.

Der Sitz der Götter in der Antike und später des Gottvaters der Christen

Die Landschaftsstaffage sei generell ein wichtiges Thema in der bildenden Kunst, an dem man letztendlich auch die Entwicklung der Kunstgeschichte ziemlich gut nachvollziehen könne, erklärt Scholten. „Ich habe mit Bedacht diese drei Themen ausgewählt und mit dem Himmel angefangen. Nicht nur, weil er oben ist, sondern weil er von der historischen Bedeutung her am Anfang steht.“ In der Frühzeit der künstlerischen Darstellung spiele der Himmel eine herausragende Rolle. „Und zu diesen Zeiten war einfach – um es ein bisschen salopp auszudrücken – sehr viel los im Himmel. Die Götterversammlung hat auf dem Olymp stattgefunden, vom Himmel aus hat Gottvater die Erde erschaffen, aber auch das Schicksal der Menschen gesteuert.“ Wobei die Planeten ebenso ihren Beitrag dazu geleistet hätten. Denn auch später, in der Renaissance, als auch die Astrologie zu den sieben freien Künsten gezählt wurde, habe man sehr viele Verbindungen zwischen Planetenkonstellationen und dem menschlichen Schicksal hergestellt: „Das waren so die Hauptthesen.“ Es gebe sehr viele künstlerisch unterschiedliche Möglichkeiten, diese Aussagen durch immer wieder andere Darstellungen von Landschaft zu unterstreichen. „Es gibt ja wahnsinnig dramatische Himmel, die man da sehen kann, aus denen die Blitze nur so herauspeitschen.“ Zum Beispiel bei dem Dürer-Holzschnitt „Die Marter der Heiligen Katharina“: Hier ergießt sich ein Steinhagel explosionsartig aus einer Wolke, von dem einige Figuren in der Szene niedergestreckt werden. Albrecht Dürer zeigt, wie die Heilige inmitten eines Unwetters in sich ruhend ihrem Schicksal entgegensieht. Zudem hebt Scholten das sehr seltene Blatt „Die Gefangennahme des Hieronymus Baumgärtner“ von Matthias Zündt (zirka 1498 bis 1572) hervor. „Über der Landschaft schwebt Christus an einem mit dichten, serpentinenförmig gewundenen Wolken verhangenen Himmel. Mahnend erhebt er sich aus einer Wolke“, heißt es im Begleittext. Anhand der seltsamen Wolkenkonstellation sieht man schon, dass sich hier ein dramatisches Ereignis abspielt. Die Himmel in den Grafiken sind also viel mehr als Kulisse, sie laden die religiösen oder profanen Szenen mit zusätzlicher Bedeutung auf. Zu Scholtens Lieblingsgrafiken in der Ausstellung gehört auch der Stich von Antonio Tempesta mit der Erschaffung von Sonne, Mond und Sternen als Motiv. „Sehr eindrucksvoll, wie Gottvater die Himmelskörper am Firmament förmlich zu dirigieren scheint.“

„Es ist immer wieder beeindruckend, zu sehen, was alles in den kleinen Blättern steckt“, sagt Martin Schick, der bei der Stadt Backnang für Kunstausstellungen zuständig ist. „Die ausführlichen Wandtexte, die Simone Scholten zu jeder einzelnen Grafik gemacht hat, informieren gut verständlich und machen das Gesehene wirklich zugänglich.“ Schick erinnert daran, dass das städtische Graphik-Kabinett seit 20 Jahren besteht. Vor drei Jahren sei man dazu übergegangen, mit dem Konzept „Riecker-Zimmer“ Ausstellungen auf kleinerer Fläche als bisher zu zeigen, dafür aber das ganze Jahr über Teile der Sammlung sichtbar zu machen. „Wer ins Backnanger Helferhaus kommt, kann immer etwas von der Riecker-Sammlung sehen.“ Der Stifter hätte sich über diese Präsenz sicher gefreut.

 Albrecht Dürer, „Die Marter der Heiligen Katharina“, um 1479, Holzschnitt. Repros: Janine Kyofsky

© Janine Kyofsky

Albrecht Dürer, „Die Marter der Heiligen Katharina“, um 1479, Holzschnitt. Repros: Janine Kyofsky

Kabinettwechsel

Öffnungszeiten Die Ausstellung ist bis zum 3. Juli zu sehen. Die Öffnungszeiten sind: Dienstag bis Freitag von 17 bis 19 Uhr, Samstag und Sonntag von 14 bis 19 Uhr.

Ausblick: Es folgen die Ausstellungen „hintergründig – Vor lauter Bäumen“ vom 5. Juli bis 23. Oktober und „hintergründig – Mit allen Wassern“ vom 25. Oktober bis 12. März.

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Erstellt:
3. Juni 2022, 06:00 Uhr

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