Interview mit Helge Schneider
„Ich empfinde diese Zeit als unglaublich aggressiv“
Helge Schneider kommt am Mittwoch nach Stuttgart. Doch dieses Jahr ist alles anders als in den Jahrzehnten zuvor. Der Musiker und Komiker wirft nämlich eine Tradition über Bord. Außerdem will er mehr spielen und weniger reden.
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© Veranstalter
Helge Schneider braucht womöglich gar keine Musiker. Denn er kann alle Instrumente selber spielen.
Von Michael Werner
Helge Schneider ist Jahrzehnte lang am Faschingsdienstag und am Aschermittwoch in der Stuttgarter Liederhalle aufgetreten. Im Interview deutet er an, weshalb er es in diesem Jahr bei einem Abend bewenden lässt, und verrät, welche Möglichkeiten sich seinen Fans am Faschingsdienstag stattdessen eröffnen. Außerdem erklärt er die Kunst des Geschichtenerzählens und des Garagenaufräumens.
Herr Schneider, vor 13 Jahren haben Sie in einem Interview mit unserer Zeitung Ihre Doppelkonzert-Tradition am Faschingsdienstag und am Aschermittwoch so erklärt: „In Stuttgart kommen Leute und verlassen sich darauf, dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt zu mir kommen, so wie zur Routineuntersuchung beim Arzt.“ Warum gastieren Sie in diesem Jahr dennoch nur am Aschermittwoch in der Liederhalle?
Das liegt an der Gesundheitsreform. Wir können nicht mehr so viele Patienten annehmen.
Haben Sie eine Empfehlung, wie Ihre Stuttgarter Fans ohne Sie den Faschingsdienstag überstehen können?
Ja, man muss einfach nur wartend zu Hause irgendwie die Zeit totschlagen. Es gibt dafür Möglichkeiten: Mensch ärgere dich nicht, Dame, Mühle, ein schönes Buch lesen. Fernsehen braucht man nicht gucken, das ist immer dasselbe. Am Wahlsonntag haben die Leute ja schon 30 Stunden Fernsehen geguckt, wegen den Hochrechnungen, die bereits anfangen, wenn der erste die Wahlkabine betritt. Ich habe dabei emotional keinerlei Regung.
Echt nicht?
Ich habe vor 45 Jahren mal ein Lied geschrieben, das „Die Herren Politiker“ hieß. Der Kernsatz in dem Lied ist: „Politiker sind doof.“ Und das Lied hat an Stabilität gewonnen. Wahrscheinlich wird es jetzt so werden, wie damals, als die Merkel regiert hat. Oder eigentlich mehr Richtung Kohl. Aber da ich weiß, wie unberechenbar die Menschen sind, warte ich einfach ab und mache meine Arbeit, die meines Erachtens auch wichtig ist, um die Leute in den Unsinn zu entlassen.
Wie beeinflusst die politische Lage Ihre Kunst?
Ich empfinde diese Zeit als unglaublich aggressiv. Dieser Block der Aggression ähnelt Leid, und Leid verursacht bei einem Künstler immer eine Reaktion. Die ist umso stärker, je stärker das Leid ist. Da das Leid derzeit sehr stark ist, wird der Künstler auch stark, denn er wird darin bestärkt, seine Kunst so zu machen, wie er sie immer machen wollte, um zu zeigen, dass die Kunst unbeugsam und frei ist. Die Kunst ist frei von allem, auch vom Argwohn und von der Zeit.
Zum Thema Zeitüberbrückung haben Sie im vergangenen Herbst gesagt, dass Sie einen Nebenjob in Erwägung ziehen, bis Ihre Tournee beginnt. Zur Auswahl standen Ihrem diesbezüglichen YouTube-Video zufolge Dampfwalzen-Fahrer, Nagelstudio-Betreiber, Dachdecker oder Chirurg. Wofür haben Sie sich entschieden?
Ich habe mich dafür entschieden, Dampfwalze zu fahren. Bisher bin ich auch zeitlichen Gründen noch nicht dazu gekommen, aber ich werde es eines Tages machen.
Friedrich Merz hat im Wahlkampf gefordert, dass jetzt alle die Ärmel hochkrempeln müssen. Sie hingegen bringen in der Regel exzellente Musiker mit, aber die sitzen die Hälfte des Konzerts nur rum und drehen Däumchen, während Sie absurde Geschichten erzählen. Warum verweigern Sie sich der Merz’schen Effizienz-Offensive?
In den letzten Wochen haben wir so viel geübt, dass wir gar nicht umhinkönnen, viel Musik zu machen und meine Ansagen dagegen in einer anderen Qualität leuchten. Es besteht also in meiner Riege keine Unterbeschäftigung mehr, sondern wir haben die Ärmel hochgekrempelt. Das hat aber nichts mit Merz zu tun, sondern das ist meine Idee gewesen.
Andererseits brauchen Sie womöglich gar keine Musiker, weil Sie erstens alle Instrumente selber spielen können und zweitens vielleicht gar keine Musik benötigen, weil Sie ja stattdessen davon erzählen können, wie Ihre Begegnung mit Hildegard Knef im Aufzug verlaufen ist. Warum bringen Sie denn die Musiker, die Sie ja bezahlen müssen, trotzdem mit?
Das ist so, wie wenn man mit seiner Familie verreist. Anders kann ich das nicht erklären.
Sie haben letztes Jahr erzählt, dass Sie im Aufzug das herausgefallene Gebiss von Hildegard Knef mit dem Fuß in ihren Mund zurück gekickt haben, um keine Fingerabdrücke darauf zu hinterlassen. Wie lange feilen Sie an solchen Geschichten?
Gar nicht. Das fällt mir spontan auf der Bühne ein, indem ich mit offenen Augen und Ohren auf die Bühne gehe – offen auch für das, was in meinem Kopf stattfindet. Dass ich diese Gedanken sofort in Worte kleiden kann, ist eine besondere Art von mir, die ich im Lauf der Jahre immer weiter betrieben habe. Das kann man nur durchs Tun lernen.
In unserem Interview vor 13 Jahren haben Sie von einer Art Vorbereitung auf den Tod erzählt: „Ich fange jetzt schon damit an, meine Garage sauber zu machen, damit die Angehörigen keinen Ärger damit haben.“ Ist die Garage inzwischen sauber?
Ja, die ist sauber, aber die daneben noch nicht so ganz. Aber ich habe in letzter Zeit wieder viel aufgeräumt. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich viele Sachen habe, die ich im Laufe meines Musikerlebens zusammengetragen habe, auch Instrumente, Kabel, Mikrofone, Verstärker, Kontrabässe, Flügel und Orgeln. Ich habe so viele Sachen, und manchmal denke ich, ich hätte gerne nur ein kleines Täschchen, vielleicht mit einem kleinen Saxofon drin.
Was machen Sie mit all diesen Dingen?
Na ja, ich stelle sie so hin, dass ich jederzeit dran kann und auch weiß, was es ist. Ich kennzeichne die Gitarren, die in Koffern schlafen, und überlege immer: Soll ich eine verkaufen oder verschenken? Verschenken ist einfacher, weil man braucht dabei nicht feilschen.
Musiker aus Mülheim
GeburtstagHelge Schneider wird Ende August 70. Der Musiker, Komiker, Autor und Regisseur aus Mülheim an der Ruhr hat aber noch jede Menge Pläne – neben Dampfwalze fahren unter anderem viele Konzerte geben. Sein neues Programm nennt er „Ein Mann und seine Musik“. Dieser Titel sei auch eine Reminiszenz an Frank Sinatra, sagt er, wenn man ihn fragt.
KonzertHelge Schneiders Konzert im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle am Mittwoch, 5. März, beginnt um 20 Uhr. Er wird von Sandro Giampietro (Gitarre) Reinhard Glöder (Kontrabass) und Willy Ketzer (Schlagzeug) begleitet und spielt selbst ein Sammelsurium an Musikinstrumenten.