Premiere an der Stuttgarter Jungen Oper

Im Wald, da sind die Raver

Hübsch harmlos im Halbdunkel: Die Regisseurin Olivia Hyunsin Kim macht in der Stuttgarter Jungen Oper Party mit Henry Purcells barocker „Fairy Queen“. Am Ende haben sich alle lieb. Aber wie das kommt, bleibt undeutlich.

Tenor Sam Harris versteht sich auf Geschmeidigkeit in Stimme und Travestie.

© Matthias Baus

Tenor Sam Harris versteht sich auf Geschmeidigkeit in Stimme und Travestie.

Von Martin Mezger

In diesem Wald verliert man leicht die Orientierung. Die Wegweiser hat hundert Jahre vorher Mister Shakespeare aufgestellt. Mit dessen „Sommernachtstraum“ ist Henry Purcells „The Fairy Queen“ ein lichtes, lustiges Spiegelkabinett, ohne „Sommernachtstraum“ nur der dunkle Wald, in den sich lebenspralle Szenen, Tänze und Lieder einsam verirrt haben. Denn was 1692 im Londoner Queen’s Theatre als vorweggenommenes Musical uraufgeführt wurde, besteht aus einer Bearbeitung von Shakespeares Komödie und Purcells musikalischen Einlagen, die wundersam die gesprochenen Szenen reflektieren, ironisch aufbrechen oder emotional überhöhen. Fehlt das Stück, gibt’s kein Stück.

Freilich ist auch Shakespeares Wegweisern nicht über den Weg zu trauen, denn sie orientieren nicht im magischen Liebeswald, sondern weisen ins Irre und Wirre der verqueren Paarung oder gleich der Perversion; also dorthin, wo geheime Begierden in den Spiegel blicken. In der „Fairy Queen“ wird das Spiegellabyrinth noch einmal gespiegelt in der Promiskuität von Text und Musik, die stets wechselnde Beziehungen eingehen. Komplex, aber mit Plan.

Synthi-Sound im Continuo-Bass

Olivia Hyunsin Kims Inszenierung in der Jungen Oper im Nord (JOIN), dem Jugendprojekt der Stuttgarter Oper, will von alldem nichts wissen. Shakespeare? Bleibt weg. Eine Fährte durchs wohlklingende Unterholz? Braucht’s nicht. Genommen wird einfach der musikalische Bestand als Barock-Rave im projizierten kahlen Elfenwald mit vibrierendem Humusboden und vibratolosem Geigenton statt Techno. Nur etwas Synthi-Sound und Sphärengeklingel sorgt für elektrifizierte Continuo-Kontinuität in jüngere Dancefloor-Zeiten.

Daneben rattert aber auch das originale Cembalo, überhaupt übersteht die Komposition die Operation recht unbeschadet. Yudania Gómez Heredia leitet das kleine Orchester mit Temperament und Dynamik, tänzerischem Elan und edler Elegie in den pulsierenden respektive lamentösen Passagen. Gourmet-Originalklang steht freilich nicht auf der Speisekarte. Es scheuert schon mal die Intonation, und die Raumakustik sabotiert den Echoeffekt. Um den sich auch das vokale Herrentrio mit feinem Schmelz durchaus bemüht. Pech für die kurzfristig eingesprungene Olha Slatvinska: Sie muss mit ihrem schönen Sopran aus der Abseitsposition den Soundtrack hereinflanken – klanglich und rhythmisch prekär. Den szenischen Part mimt Regieassistentin Raphaela Fiuza Nowakowski.

Generell wird mit beachtlichen Stimmen – überwiegend – vom Profi-Nachwuchs aus dem Opernstudio in den Barockwald hineingesungen, auch wenn es nicht immer barock herausschallt. Aleksander Myrling etwa keilt mit potentem, aber viel zu lautem Bassbariton durchs bewegte Rankenwerk – wobei: Dem betrunkenen Dichter, den er anfangs zu geben hat, passt der Grölfaktor ja stimmig auf die alkoholgegerbte Kehle. Hier klingt es eben eher grob als komödiantisch.

Aber Myrling kann auch ganz anders, wenn er als Allegorie des Schlafs hypnotischen Balsam verströmt. Olivia Johnsons Mezzosopran – sie verkörpert mit Blätterkranz um den Kopf die Wald- und Schattenzonen – verfügt über nachtfunkelnden Timbre und schöne Fülle, aber stilistisch ist’s komplett daneben: Da wird vibriert, was die Stimmbänder hergeben, und der bebende Operettenglitzercharme kontrastiert grotesk zur geraden Linie des historisch zumindest informierten Streicherklangs. Die beiden Tenöre Charles Sy und Sam Harris lassen ganz andere Töne hören: geschmeidig die Figurationen ziselierend, leuchtend die Melodik. Harris ist mit seinem hellen, beweglichen Ton geradezu ideal besetzt, etwa als Travestie der übergriffig bedrängte Mopsa – eine Klamauk-Szene mit bitterem MeToo-Nachgeschmack. In Olivia Hyunsin Kims Regie wirkt’s eher wie Achtsamkeitstraining, das „Pfui, pfui, pfui“ der Bedrängten klingt nach Knigge statt Empörung.

Da sich die Regisseurin ausschließlich an die Musiknummern hält, kommt ein szenisches Konzert heraus: Posen, Positionen und prächtige Kostüme. Fantastisch, was sich Kostümbildnerin Nadine Bakota einfallen ließ für die Naturwesen aus Fauna und Flora – bis hin zur blonden Turmfrisur auf dem Tenorkopf, die den junge Mann mit weitem Tuch aussehen lässt wie eine Flamingoblume. Hübsch und höchst harmlos das alles, dekorativ im Halbdunkel. Doch der Wald – eh nur Widerschein im Glashaus von Leo G. Alonsos Bühne – zieht sich allmählich zurück. Hyunsin Kim nimmt, was Purcell ihr zuspielt – Vergänglichkeit bei der Jahreszeitenallegorie, melancholische Zwischentöne, Hochzeitspomp – und macht Party draus.

Krampf und Kampf der Zweisamkeit

Durch die sehr undeutlichen Bilder von Liebe, Identität und Diversität spinnt nur ein tanzendes Käferpärchen (Francesca Meola und Jonas Florian Nothof) ein sehr dünnes Handlungsfädlein. Am Anfang ist der Tanz Krampf und Kampf um zweisame Nähe, am Ende haben sich alle lieb. Hochzeit nicht als Paarung, sondern als Inklusion für alle. Und die Käferlein tanzen entspannt auf Abstand. Über dem Ganzen liegt etwas von ge-genderter Biederkeit. Aber nach den jüngsten Wahlergebnissen ist die ja bald wieder subversiv.

Die nächsten Termine: 25. Februar, 4., 5., 7. und 9. März im Nord (Löwentorbogen, Stuttgart-Nord). Die Vorstellung wird empfohlen für Zuschauerinnen und Zuschauer ab zwölf Jahren.

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Erstellt:
24. Februar 2025, 15:02 Uhr
Aktualisiert:
24. Februar 2025, 16:06 Uhr

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