Neu im Kino : „Der Graf von Monte Christo“
Intrigen! Klamotten! Gefühle!
Sie ist die Mutter aller Rachegeschichten: Alexandre Dumas’ Abenteuerroman „Der Graf von Monte Christo“ gehört zu den oft verfilmten Klassikern der Weltliteratur. Die neueste Version schwelgt in großen, starken Bildern – und stellt zeitlose Fragen.
Von Kathrin Horster
Eines haben die Insassen der größten Haftanstalt Europas im französischen Fleury-Mérogis und Alexandre Dumas’ Graf von Monte Christo gemeinsam: Die Erfahrung langer Phasen von Einsamkeit. Kein Wunder, dass nach dem Protagonisten eines der berühmtesten französischen Romane vor wenigen Jahren erst ein außergewöhnlicher Literaturpreis benannt worden ist; verliehen durch eine Jury von Häftlingen in Fleury-Mérogis, die wie der Graf gezwungener Maßen viel Zeit zum Lesen und Lernen hatten.
Die Anekdote belegt, wie nachhaltig Dumas’ Erzählung aus den 1840er Jahren über den Rachefeldzug eines diffamierten und zu Unrecht eingekerkerten Mannes auf immer neue Generationen wirkt, die sich mit dem vom Wunsch nach Genugtuung getriebenen Edmond Dantès identifizieren können. Der Roman ist seit seiner Erstveröffentlichung als Fortsetzungsroman in einem Magazin in alle möglichen Sprachen übersetzt und seit der Stummfilmära immer wieder verfilmt worden.
Fantastisch ausgestattet
Ob die neueste Version des französischen Regie- und Autoren-Duos Matthieu Delaporte und Alexandre de La Pattellière unbedingt nötig war, kann man zwar hinterfragen – aber es ist doch erstaunlich, dass der vermeintlich alte Schinken in dieser weitgehend werktreuen Adaption noch fasziniert und mitreißt.
In fantastisch ausgestatteten, detailversessenen Tableaus schildern Delaporte und de La Pattellière Dantès’ außergewöhnliche Karriere, beginnend im Jahr 1815. Während eines Sturms rettet der junge Seemann (Pierre Niney) gegen die Order von Kapitän Danglars (Patrick Mille) eine Schiffbrüchige aus den Fluten, die ohne Dantès’ Wissen eine brisante Note des aus seinem Exil auf Elba geflüchteten Napoleon bei sich trägt. Zurück in seiner Heimatstadt Marseille wird Dantès für seinen Mut belobigt und von seiner Reederei sogar zum Kapitän ernannt.
Der soziale Aufstieg ermöglicht es dem in einfachen Verhältnissen geborenen Dantès, um die Hand von Mercedes (Anaïs Demoustier) anzuhalten, auf deren Familiengut Dantès’ Vater arbeitet. Sein Glück missgönnen Dantès aber dessen bloßgestellter Ex-Vorgesetzter Danglars und der vermeintliche Vertraute Fernand de Moncerf (Bastien Boullion) – weil er ebenfalls heimlich in Mercedes verliebt ist. Mit dem Staatsanwalt Villefort (Laurent Lafitte) spinnen die beiden die grausame Intrige, Dantès sei ein Anhänger Napoleons und Hochverräter. Am Tag seiner Hochzeit wird Dantès vom Altar weg verhaftet und in den Kerker auf der Gefängnisinsel Chateau d’If geworfen.
Drei kurzweilige Stunden
Obwohl diese mit drei Stunden epische Verfilmung viel Sitzfleisch erfordert, reicht die Spielzeit nicht aus, um Dumas’ Roman in all seinen Verwicklungen abzubilden. Trotzdem funktionieren die Abwandlungen und mutigen Raffungen gerade zu Beginn sehr gut. Die Zeit um Napoleons Flucht von Elba und dessen hunderttägige Rückkehr auf den Thron spielt nur hinsichtlich der ästhetischen Verortung eine Rolle.
Matthieu Delaporte und Alexandre de La Pattellière schwelgen geradezu in den prächtigen Dekors, den eleganten Klamotten und verschwenderisch eingerichteten Innenräumen dieser Ära. Dantès’ 14-jährige Gefangenschaft spielt dagegen in der klaustrophobischen Enge eines unterirdischen, fensterlosen Verlieses, in das ein Wärter durch einen engen Schacht Nahrungsmittel ablässt. Dieser Gegensatz von der aufs Minimum begrenzten Existenz Dantès’ und der großbürgerlichen Prasserei seiner Gegner ist visuell sehr reizvoll.
Zeitlose Frage
Nach seiner Flucht aus dem Kerker wird sich Dantès selbst in einen exaltierten Lebemann mit obszön kostspieligem Haushalt verwandeln. Obwohl dessen Streben nach Rache ebenso maßlos ist wie der Verbrauch finanzieller Mittel, bleiben Dantès’ Beweggründe nachvollziehbar. Delaporte und de La Pattellière betonen in schwärmerischer Melodramatik die Gefühlsebene und porträtieren einen im Innersten gebrochenen Mann, der sich im verbissenen Bemühen, die eigene Seelenruhe wieder herzustellen, mit seinen Feinden grausame Scherze erlaubt.
Auf den ersten Blick bietet diese Monte-Christo-Version also vor allem schön bebilderte, trotz der stattlichen Lauflänge extrem kurzweilige Realitätsflucht, ohne konkrete Bezüge ins Hier und Jetzt. Trotzdem könnten sich manche Zeitgenossen vom Grafen etwas abgucken, weil der die eigene Überreaktion im Showdown doch noch reflektiert und seinen heiligen Zorn unter die Fuchtel der Vernunft stellt. Da formuliert der altmodische Kostümzauber die zeitlose Frage, ob und wie viel Gewalt erlittenes Unrecht überhaupt wieder gut machen kann. Chapeau!
Der Graf von Monte Christo. Frankreich 2024. Regie: Matthieu Delaporte, Alexandre de La Pattellière. Mit Pierre Niney, Anaïs Demoustier. 178 Minuten. Ab 12 Jahren
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