Ironische Spitzen eines Kabarett-Urgesteins

Christoph Sonntag kratzt bei seinem Auftritt in der Gruschtelkammer in der Auenwaldhalle an der Oberfläche unserer Selbstgefälligkeit.

Christoph Sonntag verwandelt die Bühne in eine Abflughalle eines Flughafens. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Christoph Sonntag verwandelt die Bühne in eine Abflughalle eines Flughafens. Foto: A. Becher

Von Klaus J. Loderer

Auenwald. Natürlich konnte es Christoph Sonntag in seinem Programm „Wörldwaid“ nicht lassen, über die neueste Werbekampagne des Landes Baden-Württemberg zu sticheln und sich als Vorreiter von „The Länd“ zu stilisieren. Ist Ersteres humorvoll gemeint, soll Zweiteres tatsächlich ernst gemeint sein. Weltweit verlief die Reise des schwäbischen Humoristen mit Sonntag Air, und auch seine berühmteste Figur, Bruder Christophorus, durfte nicht fehlen. Den größten Lacher erhielt aber sein Kampf mit einem Kostüm, mit dem er schließlich in Amerika zu Cowboy und Pferd gleichzeitig mutierte und zur Titelmusik von „Bonanza“ über die Bühne der Auenwaldhalle galoppierte. „So etwas gefällt euch?“, fragte Sonntag gleich schelmisch grinsend von der Bühne. Überhaupt ging so manche Frage ins Publikum, dessen Antwort Sonntag sofort in eine ironische Spitze umbog.

Besonders hatte Sonntag es auf ein Paar in der ersten Reihe abgesehen. Uwe und Renate aus Calw fragte er zuerst bohrend aus und erklärte ihnen dann, dass er seine sensiblen Daten ja nie so öffentlich verraten würde. Die beiden mussten dann noch für manche Pointe herhalten. Um Pointen war Christoph Sonntag sowieso nicht verlegen. Er lieferte ein Feuerwerk, das im Publikum als Lacher explodierte. Manche Pointe zündete etwas zeitversetzt, was Sonntag gleich bissig kommentierte.

In Auenwald trat Christoph Sonntag am Mittwoch wieder bei der Kleinkunstbühne Gruschtelkammer auf, vom Vorsitzenden Charley Graf zum Topstar des schwäbischen Kabaretts erhoben: „Sonntag gehört schon zum Inventar.“ Stolz konnte Graf vermerken, dass Sonntag in Auenwald erstmals 1993 beim Frühschoppen im Rathaushof aufgetreten sei. Seither habe er dauerhaft die 30-jährige Geschichte der Gruschtelkammer begleitet.

Für das Programm „Wörldwaid“ hatten Sonntag und sein Team die Bühne der Auenwaldhalle in die Abflughalle des internationalen Flughafens Bad Cannstatt verwandelt. Von hier aus startete er seine Reise. Doch zunächst sinnierte er über Corona und die Folgen in den Familien. Sein Tipp für sparsame Schwaben, wie man preisgünstig zu einer Maske kommt, wenn man eine solche vergessen hat, war sicher nicht unbedingt ernst gemeint: Man hebt eine von vielen auf der Straße herumliegenden auf und besprüht sie an den allenthalben aufgestellten Desinfektionsmittelspendern, dann bekomme man auch gleich einen kostenlosen Suff durch das Desinfektionsmittel. Nicht minder bitterböse war sein Kommentar über die Leute, die während des Corona-Lockdowns eine sportliche Betätigung wiederentdeckten und sich dann als „radelnde Presswurst im pinken Enddarm“ präsentierten. Dieses Thema griff Sonntag noch einmal auf, als er auf einem Markt in China einem Verkäufer die Herstellung einer Saitenwurst zu erklären versuchte: „We stopf the meat in the Darm.“

Um perfektes Englisch ging es auch in einer Unterhaltung zwischen Günther Oettinger und Winfried Kretschmann, die beide als Puppen plappernd nicht gerade die hellsten Köpfe abgaben. Sonntag zieht auch gerne die Großkopferten durch den Kakao. Als im Jahr 1717 verblichener Bruder Christoph, der die Welt aus dem Himmel beobachtet und nun wieder heruntergestiegen ist, veranstaltete er eine Art schwäbisches Derblecken. Bundespolitiker („Olaf Scholz, die toten Augen von Hamburg“) wie Landespolitiker mussten dran glauben. Besonders hatte er es auf den Digitalisierungsrückstand abgesehen: „Wir können alles außer digital.“

Zum köstlichen Slapstick artete eine Szene aus, in der Christoph Sonntag zeigte, wie man sich auf dem Mittelplatz eines Flugzeugs, eingequetscht zwischen zwei wohlbeleibten Wesen, fühlt, deren eines sich aus Flugscham während des gesamten Flugs mit der Peitsche selbst geißelt. Nicht minder komisch war die Darstellung der Europäischen Union als Nationenwohngemeinschaft, in der alle den Kühlschrank plündern, aber niemand einkaufen will. Was als lustiger Sketch begann, endete schließlich heftig makaber, denn die Themen, auf die Sonntag so ironisch hinwies, sind leider in Wirklichkeit gar nicht so lustig. Aber es ist die Aufgabe des Kabarettisten, an der Oberfläche unserer Selbstgefälligkeit zu kratzen und die scheinheiligen Fassaden der Politiker einzureißen. Bei Christoph Sonntag durfte das Publikum herzlich darüber lachen, wie er die Politiker aller Couleurs gleichermaßen zerlegte.

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Erstellt:
28. Januar 2022, 06:00 Uhr

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