Ausstellung zum Schwimmen

Jungs lassen Hosen nicht runter

Schwimmen macht Spaß. Eine Ausstellung im Haus der Geschichte zeigt, dass es erstaunlich viel darüber verrät, wie eine Gesellschaft tickt. Geht es doch längst um viel mehr als die Bewegung im Wasser.

Muskulöse Männer, wie die Nazis sie propagierten – im Freibad in Dettingen an der Erms 1939.

© Haus der Geschichte BW

Muskulöse Männer, wie die Nazis sie propagierten – im Freibad in Dettingen an der Erms 1939.

Von Adrienne Braun

Das muss man sich mal vorstellen, dass ein paar Jungs im Sommer am Fluss einfach die Klamotten ausziehen und gemeinsam ins Wasser rennen, so, wie Gott sie schuf. Eine Aufschrei gäbe es vermutlich nicht, aber dass junge Männer heute die Hosen in der Öffentlichkeit runterlassen? Undenkbar. Sie verstecken ihre Körper lieber schamhaft unter riesigen Badeshorts.

Das war nicht immer so. In früheren Zeiten scherten sich Menschen offenbar weniger um Speck und Falten, sondern sprangen unbeschwert ins Wasser, mitten in der Stadt – zum Beispiel in Ulm. Im Jahr 1800 hatte man dort allerdings genug von der ständigen „Verletzung aller Schamhaftigkeit“ und führte ein Badeverbot für Donau und Blau ein. Die Zeiten ändern sich genauso wie Anstand und Moral. Das lässt sich trefflich ablesen an der Geschichte des Schwimmens, die das Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart nun in der höchst anregenden und erhellenden Ausstellung: „Frei Schwimmen – Gemeinsam?“ zeigt.

Schwimmen und Ideologie

So harmlos das Thema anmuten mag, das sommerliche Vergnügen verrät erstaunlich viel über die Werte und Ideale einer Gesellschaft. Denn wo und wie gebadet wird, ist eng verknüpft mit Moralvorstellungen und Körperbildern, es werden aber auch knallharte politische und ideologische Vorstellungen wirksam. Denn wer darf mit wem ins Wasser steigen?

Eine Frage, die sich auch stellte, als die Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrten. Mancher hatte Arm oder Bein verloren, weshalb für die Amputierten so genannte „Versehrtenbäder“ eröffnet wurden. Damit wollte man sie vor den neugierigen Blicken anderer schützen. Im Umkehrschluss meinte das: Man wollte den Gesunden den Anblick verstümmelter Körper ersparen.

Das Kuratorenteam hat für die Ausstellung Fotos, Objekte und Dokumente zusammentragen. Hier eine „Intensiv-Lichtbad-Kabine“, der Vorläufer des Solariums, dort eine Dusche aus der Sauna des Heslacher Stadtbads, das 1929 als größte und modernste Schwimmhalle Deutschlands gebaut wurde. Es wurden aber auch heutige Badegäste befragt – und wenn da eine Frau sagt, dass sie „mit dem Burkini Schwierigkeiten“ habe, sich aber auch vom Anblick eines „knappen Bikinis“ gestört wird, merkt man, wie viel Sprengstoff im Freibadbesuch stecken kann.

Juden wurde der Zutritt in die Bäder verboten

Lange badeten die Geschlechter getrennt und durften die Frauen in Tübingen nur vollständig bekleidet in den Neckar – gut versteckt hinter den Holzwänden eines Badehäuschens. Mal wollten Reiche das Wasser nicht mit den Armen teilen, 1919 breitete sich dann an der Nord- und der Ostsee der „Bäder-Antisemitismus“ aus. In Baden-Baden wehrte sich der „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ mit Flugblättern gegen „judenfeindliche Hetzer“. Es half wenig, in Tübingen wurde 1933 „Juden und Fremdrassigen“ der Zutritt ins Bad verboten und 1935 auch in Mannheim, Freiburg, Göppingen oder in Stuttgart – und in Baden-Baden, auch wenn das mit Umsatzeinbußen verbunden war.

Christian Landenbergers Gemälde in der Ausstellung wecken zwiespältige Gefühle. Der einstige Professor an der Stuttgarter Kunstakademie malte nackte Jungen beim Bad, was ihm heute womöglich als Voyeurismus ausgelegt würde. Er war vom freiheitlichen Geist der Lebensreformer geprägt, die nach Natürlichkeit und freiem Körpergefühl strebten. Die hohen Ansprüche an einen perfekten Körper, die heute grassieren, gehen auch auf die Nazis zurück. Ihre Vorstellung von „kerngesunden Körpern“ meinte groß gewachsene und muskulöse Männer.

Auch heute gibt es in Schwimmbädern Diskriminierung. So wird in der Ausstellung ein Mädchen aus Eritrea zitiert, das schon als „dreckig“ beschimpft wurde. 2017 kam es im Lorettabad in Freiburg, dem letzten Damenbad Deutschlands zu Konflikten zwischen den Stammgästen und muslimischen Gruppen. In der Ausstellung ist eine Tür aus dem Bad zu sehen. Das Hinweisschild darauf macht deutlich, wie man die unerwünschten Frauen vertrieb: mit männlichen Aufsichten, die eingestellt wurden. In Konstanz fühlten sich dagegen Badegäste vom Burkini „verunsichert und bedroht“, im Stuttgarter NeckarPark wurden Transfrauen in eine eigene Umkleidekabine abgeschoben. Am Ende macht die Schau bewusst, wie schwierig Abwägungsprozesse in einer Gesellschaft sind.

Die eine, gerechte Lösung gibt es nicht, wie das oben ohne baden zeigt. Ist es Ausdruck einer freiheitlichen Gesellschaft oder verstoßen nackte Brüste gegen die guten Sitten? Falls ja, müssten dann auch Männer wieder in Badeanzüge?

Gesund, vergnüglich und Wirtschaftsfaktor

BäderstädteEs war König Wilhelm I., der Wildbad zum Kurzentrum machte, indem er seinen Hofbaumeister Nikolaus Friedrich von Thouret mit dem Bau von Badeanlagen beauftragte. Baden-Baden wurde dagegen nur aus Not das Kurwesen wiederentdeckt, weil 1872 das Glückspiel verboten wurde und man eine neue Attraktion für Touristen bieten musste.

Ausstellungbis 14. September 2025, geöffnet Di – So 10 bis 18 Uhr. https://www.hdgbw.de/ausstellungen/frei-schwimmen/

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Erstellt:
16. Dezember 2024, 11:08 Uhr

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