Kabarett mit klaren Ansagen

Lars Reichow bringt mit seinem Programm „Ich“ das Publikum zum Lachen und Weinen.

Vor allem in seinen Liedern bringt Lars Reichow seine Erschütterung angesichts des Kriegs in der Ukraine zum Ausdruck. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Vor allem in seinen Liedern bringt Lars Reichow seine Erschütterung angesichts des Kriegs in der Ukraine zum Ausdruck. Foto: J. Fiedler

Von Carmen Warstat

MURRHARDT. Kabarett, zumindest sein Kabarett, sei absolut ungefährlich, denn er habe es extra entschärft, „damit die Masken nicht davonfliegen“ beim Lachen. Lars Reichow ist ein Plauderer am Stehpult und ein Songwriter mit gewitzten und bewegenden Liedern an Klavier und Keyboard. Er ist hochaktuell und spart kein Thema aus, er kann sein Publikum an einem Abend zum Lachen und zum Weinen bringen. „Ich“ – der Titel seines neuen Programms sei „ein Ausdruck von Demut“ und „die Rolle seines Lebens“, heißt es, und: „Wir müssen lernen, mehr über uns selbst zu lachen und uns nicht so wichtig zu nehmen.“

Courage, Mut, Haltung, Moral – das verspricht die Ankündigung seines neuen Programms. Das Versprechen wird eingelöst, auf sehr witzige und auf tief berührende Weise. Es ist dies ein Kabarett, wie man es selten findet: unprätentiös das Auftreten des Künstlers, treffsicher seine Worte, manchmal herzzerreißend die Musik.

Mainz und Biontech – sein erstes Thema, und trotz aller Spitzen in Richtung Profit An der Goldgrube 12 (dem Biontech-Firmensitz) versichert Reichow: „Mit Spaziergängern, Querdenkern und sonstigen Staatsfeinden werde ich auch nach der Pandemie nicht mehr ins Gespräch kommen.“ Er nennt diese Leute „geistig vulnerabel“ und feuert Klartext dieser Art auch zu anderen Themen in ein Publikum, das mit Bravorufen und mit begeistertem Zwischenapplaus reagiert. Endlich wieder einmal jemand, der nicht liebäugelt mit dem Stammtisch. Endlich jemand, der Dinge wieder klarstellt, einer der nicht kuscht vor der vermeintlichen öffentlichen Meinung. Eingestreut werden Lachimpulse aus dem Privaten, etwa angesichts von Fitness-, Yoga- und anderen Lifestyletrends: „Mein Platz ist nicht im Fitnessstudio, mein Platz ist in der Speisekammer!“, ruft Reichow aus, um bald darauf einen Thomas Bach als „olympischen Schmierlappen“ zu bezeichnen. „Bravo!“ Dann geht es um den Krieg. Jetzt läuft Reichow zu Höchstform auf. Er kritisiert, dass wir, die Deutschen, „immer nur am Zaun herum“ stehen und plädiert eindringlich für wirksamere Maßnahmen, ohne konkret zu benennen, wie die aussehen sollten, aber und jedenfalls: „Wer ‚Nie wieder‘ sagt, muss auch ‚Nie wieder‘ machen!“ Es folgen das Lied vom Deutschland-Blues und ein Lob für Annalena Baerbock: „Klare Moralvorstellungen im Außenamt – das hatten wir lange nicht.“

Reichows Verbitterung über den Krieg gipfelt in Hass auf die Russen schlechthin, Verachtung gar der „Moskowiter Suizid-Chansons“ – der furchtbare Krieg verbietet Differenzierungen. Reichows Entsetzen ist grenzenlos und findet im Song „Putins Krieg“ erschütternden Ausdruck. „Wie viel Tränen hat ein Meer“, fragt er zum Abschluss und hat sein Publikum doch auch zum Lachen gebracht: Über „Je t’aime“, über Smartphones und Apps, über die Briten und über die verschiedensten Sprachen sowie manches andere. Zum Weinen wiederum ein „Lied ohne Happy End“. Reichow betont, wie wichtig es ihm ist, „Amerika“ arbeitet es heraus: „The greatest country on earth can’t breathe.“ (Das größte Land der Welt bekommt keine Luft.) Er habe wohl „alle Schrecken der Erde gebündelt“ in seinem heutigen Programm, und noch einmal: Es sei ihm wichtig, nichts wegzulassen. In der Tat – ein hochkomplexes Kabarett, dem das Publikum dankbar folgte.

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Erstellt:
21. März 2022, 06:00 Uhr

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