Neu im Kino: „Die Witwe Clicquot“
Kein Schampus für Napoleon
Knallhart war die Schaumweinherstellung im frühen 19. Jahrhundert, erzählt Thomas Napper im Biopic „Die Witwe Clicquot“. Besonders für eine alleinstehende Frau.
Von Kathrin Horster
Hefe hat im Schaumwein nichts verloren. Eklig wäre das, würde beim Entkorken des kostspieligen Blubberwassers die gräulig-krümelige Abfallsubstanz mit dem Getränk in die Sekt-Flöte fließen. Oder man stelle sich das unappetitliche Zeug im Haar eines Formel-1-Siegers vor, der sich zur Feier des Tages eine Pulle über den Scheitel kippt. Zugegeben, echte Katastrophen sehen anders aus, doch ohne Sekt, Secco und Schampus steigt seit mehr als zweihundert Jahren schon keine Party mehr.
Wie herausfordernd und existenzbedrohend die Herstellung früher einmal war - auch im Hinblick auf die dafür notwendige Hefe - enthüllt nun der Franzose Thomas Napper in seinem Biopic „Die Witwe Clicquot“ über eine berühmte Pionierin der Schaumwein-Herstellung.
Kulturgeschichte mit Zeitgeistfärbung
Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardin (Haley Bennett) ist gerade einmal 27 Jahre alt und Mutter einer sechsjährigen Tochter, als sich ihr Mann François (Tom Sturridge) das Leben nimmt. Um 1800 stürzt ein solcher Suizid die hinterbliebenen, nicht berufstätigen Frauen und Kinder regelmäßig in große ökonomische Not. Doch Barbe-Nicole hat Glück, dass ihr Mann zu einer vermögenden Familie des gehobenen Bürgertums gehört und dessen Vater Phillipe (Ben Miles) sich erweichen lässt, Barbe-Nicole die Leitung des von ihm aufgebauten Weingutes zu übertragen, anstatt es an den gierigen Konkurrenten Moët zu verkaufen. Die junge Witwe will die neuartigen Ideen ihres Mannes zum Weinbau umsetzen, leidet jedoch während der Napoleonischen Kriege unter einem strengen Handelsembargo, dass ihr den Export in andere Länder verbietet. Darüber hinaus wird sie von konservativen Männern beobachtet, die einer Frau weder das Know-how noch die Arbeitskraft zutrauen, den komplizierten Herstellungsprozess zu bewältigen. Und weil Napoleons Embargo schon die Erträge des vergangenen Geschäftsjahrs gedrückt hat, steckt Barbe-Nicole tief in den roten Zahlen. Unterstützung findet sie im Handelsreisenden und Freund ihres Mannes, Louis Bohne (Sam Riley), der bei der verbotenen Vermarktung des Weines im Ausland hilft.
Viele Aspekte dieser Frauenbiografie sind außergewöhnlich und auch heute noch interessant, obwohl es zunächst einmal bloß um Alkohol geht. Anhand der Marke Veuve Clicquot zeichnet Thomas Napper ein Stück früh-moderner Kulturgeschichte nach, als einerseits die Aufklärung Frauen erste Möglichkeiten sozialer Teilhabe versprach, andererseits aber ständige Kriege das gesellschaftliche Klima verdüsterten. In Rückblenden entwickelt Napper das von François Clicquots manisch-depressiven Schüben belastete Familienleben vor dessen Selbstmord, in dem Barbe-Nicole als mal leidenschaftliche, mal verzweifelte Liebende den Launen ihres Mannes Stand zu halten versucht. Gerade zu Beginn des Films mag man Nappers schwärmerisch morbide Perspektive kitschig nennen, wenn sich die Eheleute leise wispernd zwischen den Reben treffen, oder sich Barbe-Nicole als trauernde Witwe am Abend nach der Beerdigung weinend und schreiend neben die Lilien auf das Grab ihres Mannes wirft.
Vorbei an Napoleons Bannmeile
Der emotionale Überschwang entspricht aber dem damaligen Zeitgeist, der etwa in der dunklen Romantik eines Caspar David Friedrich sichtbar wird, und den Napper wohl im gefühlsintensiven Spiel seiner Darsteller abzubilden versucht. Der suizidale, aber auch kreativ-modernen Gedanken anhängende François scheint von Goethes berühmtem Selbstmörder „Werther“ inspiriert, der sich wie François und Barbe-Nicole im schlimmsten Leid als selbstbestimmtes, aktiv handelndes Individuum entdeckt. Während François sich wie Werther bewusst der Gesellschaft entzieht, versucht Barbe-Nicole als Herrin ihrer selbst Kontrolle über ihr Leben zu bekommen. Napper fabuliert ausführlich, wie sie in ihrem Labor an Methoden tüftelt, um den Champagner zu veredeln und ihn temperaturbeständig transportieren zu können, vorbei an Napoleons Bannmeile und damit unter illegalen Bedingungen. Da verbindet der Film die teils extreme, heute vielleicht befremdlich wirkende Emotionalität mit dem rationalen, auch geschäftstüchtigen Erfindergeist dieser Zeit, der mit der Aufklärung und der daraus resultierenden Erweiterung eng gesteckter lokaler Grenzen einhergeht.
Man kann „Die Witwe Clicquot“ bloß als ausnehmend schön fotografiertes, sentimentales Frauen-Porträt mit stimmungsvoll ausgeleuchteten Innenräumen und Landschaftsaufnahmen wie aus der Gemäldegalerie schätzen. Man kann aber auch an der historisch genauen Inszenierung des anstrengenden, letztlich erfolgreichen Emanzipationsprozesses Spaß haben und staunen, wie viel Weltvermittlung in einem eigentlich kleinen, einfachen Film stecken kann. Den Schampus der Witwe Clicquot schlürft man jedenfalls bis heute.
Die Witwe Clicquot. Frankreich, UK 2023. Regie: Thomas Napper. Mit Haley Bennett, Tom Sturridge, Sam Riley. 90 Minuten. Ab 12 Jahren, Start: 7. November.
Exportschlager und Grundlage der Esslinger Kellerei
Schwabenmethode 1813 erfand der schwäbische Kellermeister der Witwe Clicquot, Anton von Müller, ein mechanisches Rüttelverfahren gegen die Hefe in den Flaschen. Zwischen 1807 und 1825 arbeitete der Esslinger Georg Christian Kessler bei ihr als Prokurist und Teilhaber. Im Jahr 1826 baute er eine eigene Kellerei in Esslingen auf.
Erfolgsgeschichte So verrückt es klingt: Goethes tragischer Selbstmörder „Werther“ wurde zum Exportschlager – wie bald darauf der unter traurigen Umständen vermarktete Schaumwein der Witwe Clicquot. Goethe hatte den Brief-roman über einen liebes-kranken Rechtspraktikanten zur Leipziger Buchmesse 1774 veröffentlicht und landete einen Bestseller – auch im europäischen Ausland. Die Marke Veuve Clicquot begeisterte im 19. Jahrhundert besonders russische Konsumenten.