Komponist Samuel Walther schreibt Stück für Backnanger Kammerchor

Interview Ein extra für den Backnanger Kammerchor geschriebenes Stück wird am Sonntag unter Leitung von Hans-Joachim Renz in der Stiftskirche uraufgeführt. Komponist Samuel Walther gibt Einblick in seine Arbeit von den ersten Überlegungen bis zum fertigen Werk.

Samuel Walther hat das Stück „Wie sein eigenes Herz“ für den Backnanger Kammerchor geschrieben. In der Stiftskirche ist es nun erstmals zu hören. Der Eintritt ist frei. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Samuel Walther hat das Stück „Wie sein eigenes Herz“ für den Backnanger Kammerchor geschrieben. In der Stiftskirche ist es nun erstmals zu hören. Der Eintritt ist frei. Foto: Alexander Becher

Wie kam es zu dem Auftrag, Musik für den Backnanger Kammerchor zu komponieren, die jetzt am 16. Oktober um 18 Uhr in der Stiftskirche uraufgeführt wird?

Ich habe schon in meiner Jugendzeit in Backnang in der Stiftskirche sehr viel Musik gemacht. Im Kinderchor von Hans-Joachim Renz war ich von klein auf dabei, mit ungefähr sieben Jahren fing ich dort an, später sang ich in der Kantorei mit. Zusammen mit dem aus Backnang stammenden Pianisten Viktor Soos trat ich in Konzerten auf, Orgel und Trompete war das damals noch. Deshalb kannten die mich. Wegen des Studiums zog ich dann nach Lübeck. In der Saarbrücker Komponistenwerkstatt gewann ich 2017 als jüngster teilnehmender Komponist mit einem Orchesterwerk den Théodore-Gouvy-Preis. Dadurch sind die Leute in der Heimat wieder ein bisschen auf mich aufmerksam geworden.

Der Anlass des Auftrags war ja ein Konzert zur Wiedereinweihung der renovierten Stiftskirche in Backnang.

Hans-Joachim Renz hat mich 2017 angesprochen, ob ich nicht Lust hätte, ein Stück zu komponieren für diesen Anlass. Der Förderverein hat sich dann auch bereit erklärt, das Projekt zu finanzieren. Wegen Corona konnte es aber doch nicht zur Wiedereinweihung der Stiftskirche aufgeführt werden. Jetzt ist es zum 25-Jahr-Jubiläum des Fördervereins zu hören.

Welche musikalische Idee steht hinter Ihrer Arbeit?

Es war klar, wir wollten das Stück mit der Besetzung eines anderen Werks neuerer Musik komponieren. Wir wollten kein großes Orchester, sondern eine kleinere Ensemblebesetzung. Da gibt es nicht so viel Auswahl, was für einen Laienchor machbar ist. So sind wir auf die Strawinsky-Messe gekommen. Zudem sollte ich noch die beiden Orgeln der Stiftskirche hinzufügen, wegen des Bezugs zur renovierten Kirche, und einen Tenorsolisten. Kurz haben wir überlegt, ob wir räumlich etwas mit Elektronik machen, das habe ich aber dann verworfen.

Welche Orgel außer der aus der Orgelwerkstätte Friedrich Weigle gibt es noch in der Stiftskirche?

Die Truhenorgel. Das ist ein Orgelpositiv mit sechs Registern. Es handelt sich um einen Bau von Michael Kreisz aus dem Jahr 1997. Sie wird beim Konzert direkt beim Chor stehen.

Wie kann man sich den Charakter der Komposition vorstellen?

Das Stück an sich unterscheidet sich ziemlich von dem, was ich sonst komponiere. Gründe dafür sind dieser festliche Anlass einer Wiedereinweihung, dass es für ein Laienensemble gedacht ist und nicht für Profis für Neue Musik. Zudem noch, dass es zu Strawinsky in Bezug stehen soll. Und weil es diesen geistlichen Hintergrund hat – da musste ich für mich noch einmal eine andere Klangsprache finden als die, die ich üblicherweise nutze für meine Instrumentalmusik, die ja sehr kleinteilig ist. Was für Sänger und Sängerinnen nicht so leicht umzusetzen ist.

Nähern Sie sich mit Ihrem Werk auch an die Musik Strawinskys an?

Musikalisch haben wir sehr wenig Ähnlichkeiten. Ich bilde eher einen Kontrast zu Strawinsky. Dessen Messe ist ein sehr trockenes, ein sehr katholisches Stück in einer gewissen Weise, sehr schlicht und klar und überzeugt. Meines ist da ein bisschen farbiger. Wenn man es vergleichen würde eher wie Olivier Messiaen von der Harmonik her. Mehr Fluss, mehr Melodie, mehr bildlich.

Wie sieht es mit den Texten aus?

Ich wollte bewusst keine liturgischen Texte nehmen. Die Messe von Strawinsky ist ganz klar mit liturgischen Texten. Meine Hauptarbeit an dem Stück über fast drei Jahre lang war, Texte zu sortieren. Schon ins Estland, wo ich neben Lübeck studierte, habe ich, bevor ich den Auftrag für Backnang hatte, mit einer Konzeption für ein Oratorium angefangen. Und es hat sich immer mehr herauskristallisiert, dass ich Texte zu einem gewissen Thema und eine gewisse Dramaturgie will. Das Thema des Stückes ist der Bund zwischen Gott und Mensch und zwischen Mensch und Mensch. Danach sind die Bibelstücke zusammengesetzt.

„Wie sein eigenes Herz“ ist der Titel Ihrer Komposition.

Sie bezieht sich auf den Bund, welchen David und Jonathan schließen. In einer der gefühlvollsten Geschichten der Bibel wird geschildert, was genau einen Bund der Liebe ausmacht. Es geht um bedingungsloses Vertrauen, gegenseitige Zuneigung und warmherzige Nähe. Diese Liebe begegnet uns in der Bibel immer wieder in verschiedensten Worten, sei es im Abendmahl, in der Nachfolge von Ruth und Naomi, der Berufung des Propheten Samuel, der Anrufung des verzweifelten Jonas, in dem neuen Bund zwischen Gott und Noah oder in der Stille, in der Elija Gott vernimmt. Diese Liebe ist ein Versprechen und ein Aufruf dazu, unser Handeln zu überdenken, uns zu verändern und Nachfolge anzutreten.

Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen, zu komponieren? War das immer schon klar, dass Sie diesen Weg einschlagen werden?

Für mich: Ja. Ich habe mit 13 beschlossen: Ich will Komponist werden. Ich habe mir autodidaktisch alles beigebracht. Mein Glück war, dass ich in dieser Zeit viel mit Viktor Soos gemacht habe. Er hat auch in Lübeck studiert, er Klavier und ich Komposition bei Dieter Mack. In meinem Erasmus-Semester in Estland kamen Dirigieren und Chordirigieren hinzu. In Tallinn habe ich bei Helena Tulve studiert.

Was beziehungsweise für wen haben Sie schon alles komponiert, welches sind Ihre Schwerpunkte?

Es reicht von Orchesterstücken über Streichensembles bis hin zur kleinen Kammermusik. Dann hatte ich eine Auslandsaufführung in Shanghai oder dreimal in Stuttgart Projekte zusammen mit bildender Kunst. Ich komponiere querbeet von Elektronik über Instrumentalmusik bis hin zur Chormusik. Meist arbeite ich mit Ensembles für Neue Musik.

Begleiten Sie auch die Chorproben in Backnang?

Ich komme zu den finalen Proben. Ich werde das Stück auch mitsingen.

Was wünschen Sie sich für die Aufführung?

Ich hoffe, dass sich die Menschen auf das Erlebnis einlassen. Weil es etwas Neues wird für alle Zuhörer; das Stück hat noch niemand gehört. Und ich finde, man sollte vorurteilsfrei ins Konzert gehen. Es wird ein sehr emotionales Stück, wenn man sich darauf einlässt. Gerade durch die Texte, und auch klanglich – hoffe ich einfach. Man sollte sich davon überraschen lassen.

Das Gespräch führte Ingrid Knack.

Samuel Walthers Lebensweg

Studien Samuel Walther, geboren 1995 in Stuttgart und aufgewachsen in Oppenweiler, begann, nachdem er sich autodidaktisch das Komponieren beigebracht hatte, 2014 sein Studium bei Dieter Mack an der Musikhochschule Lübeck. 2017 studierte er ein Semester lang an der Estnischen Akademie für Musik und Theater bei Helena Tulve. Nach dem Bachelorabschluss 2018 setzte er sein Studium in Master of Music an der Musikhochschule Lübeck fort.

Werke und Preise Seine Stücke wurden unter anderem beim Hörfest Neue Musik in Detmold 2015, beim Impuls Festival in Dessau 2016 und bei der Shanghai New Music Week 2018 aufgeführt. 2015 schuf Walther im Auftrag der Stiftung Froehlich in Stuttgart eine großformatige Klanginstallation, welche 2016 den Preis als beste Komposition des Jahres der Musikhochschule Lübeck erhielt. Er gewann zudem den Théodore-Gouvy-Preis 2017 und war im selben Jahr Resident im Beethoven-Haus Bonn. 2019 wurde er beim Possehl-Wettbewerb mit einer Förderprämie ausgezeichnet. Im Jahr darauf wurde seine Soloausstellung „Intentionally Left Blank _ for play“, gefördert vom Kulturamt der Landeshauptstadt Stuttgart, in der HuMBase Stuttgart präsentiert.

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Erstellt:
14. Oktober 2022, 11:00 Uhr

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