Melancholie und Aufbegehren
Das SWR-Symphonieorchester spielt Schostakowitsch und Brahms
Stuttgart /VGR - Zur Schau gestellte Tradition oder ein verzweifelt-kritisches Statement gegen diktatorische Willkür? Die Geister scheiden sich daran, wie der russische Komponist Dmitri Schostakowitsch seine fünfte Sinfonie gemeint hat. Sie entstand 1937 in Zeiten des stalinistischen Staatsterrors, als dem Komponisten das Wasser bis zum Halse stand.
Der spanische Dirigent Pablo Heras-Casado ist deutlich hörbar auf der Seite derer, die in der Fünften eine lebensgefährliche Gratwanderung zwischen äußerem Schein und eigentlich Gemeintem hören. Und so gelang ihm mit dem SWR-Symphonieorchester im Beethovensaal eine gespannte, unmittelbare Interpretation. Die Sensibilität, mit der Heras-Casado diese Doppelbödigkeit mit dem Orchester herausarbeitete, darf man vorbildlich nennen: dank einer perfekten Dramaturgie, einem klaren Klangbild, einer schier unendlichen Palette dynamischer Schattierungen – vom draufgängerischen Fortissimo bis ins Beinahe-Nichts.
Und so funktioniert es dann auch mit den Assoziationen: Lärmende Zirkusmusik entlarvt Fröhlichkeit als verordnet, fahle Trauertöne beklagen die Opfer des Unrechts, melancholische Bläsersoli im finsteren Klangraum stehen für das Individuum, das dem Staatsterror hilflos ausgeliefert ist. Und auch die Gewalt und Aufdringlichkeit im Finale, die Penetranz und Härte, mit der sich am Schluss schier endlos erscheinende Tonrepetitionen ins Gehör hämmern, unterstreichen, dass der Komponist hier keine klassische Apotheose meinte, sondern ihre Karikatur.
Eine wunderbar inhaltlich korrespondierende Idee war es, der Fünften Vokalwerke Brahms’ gegenüberzustellen und somit auch das SWR-Vokalensemble ins Spiel zu bringen: mit schön kompaktem, dennoch farbig-luzidem Klang in der A-cappella-Motette „Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen“ und in perfekter Balance mit dem Orchester im „Schicksalslied“. Eine solche Kooperation wünscht man sich in dieser Konzertreihe öfters.