Aufführung im Bürgerhaus: Mit Behinderung erfolgreich

In der Aufführung von Saliya Kahawattes Autobiografie „Mein Blind Date mit dem Leben“ im Backnanger Bürgerhaus wird ein beinahe unglaublicher Kampf um Gesundheit und gegen Stigmatisierung offenbar.

Nüchternes Bühnenbild und packende Schauspielleistung unter anderem von Benedikt Zimmermann, Dorothee Weingarten und Saskia Valencia (von links) kennzeichnen „Mein Blind Date mit dem Leben“. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Nüchternes Bühnenbild und packende Schauspielleistung unter anderem von Benedikt Zimmermann, Dorothee Weingarten und Saskia Valencia (von links) kennzeichnen „Mein Blind Date mit dem Leben“. Foto: Alexander Becher

Von Carmen Warstat

BACKNANG. Ein 15-Jähriger wird aus seinem Alltagsleben gerissen, denn von einem Tag auf den anderen kann er kaum noch sehen, und er erhält die niederschmetternde Diagnose, dass er vollständig erblinden wird. Dies ist der Beginn der Geschichte des deutsch-singhalesischen Autors Saliya Kahawatte, dessen bewegende Autobiografie „Mein Blind Date mit dem Leben“ 2017 verfilmt sowie später auch für das Theater bearbeitet wurde und jetzt in einer Inszenierung des Gastspieltheaters A.gon aus München im Backnanger Bürgerhaus zu sehen war.

Das Bühnenbild ist nüchterner kaum denkbar: Lediglich ein paar leuchtende Wandsegmente bilden einen Halbkreis und fungieren als Türen zwischen Bühne und Backstagebereich. Ein paar Stühle – immer wieder schnell umgruppiert – machen den jeweiligen Ort der Handlung klar, zumal jede Szene zu ihrem Abschluss ankündigt, wo und womit es weitergehen wird – es gibt Bindeglieder zwischen den Szenen, die die Dramaturgie auf einfachste Weise erhellen, und Emotionen, die werden eben nicht in Äußerlichkeiten gelegt, sondern über die Geschichte selbst und die Art und Weise der Figurenzeichnung zum Ausdruck gebracht.

Es ist die Geschichte eines unablässigen Kampfes, denn der Protagonist Saliya (Benedikt Zimmermann) möchte absolut nicht in einer Behindertenwerkstatt landen, sondern Abitur machen, eine Hotelausbildung absolvieren, später sogar studieren. Er macht die Erfahrung, dass ein solcher Weg für einen Menschen mit Behinderung nicht vorgesehen ist, nicht einmal versuchen soll er es, sondern sich in sein Schicksal fügen. Saliyas Leitsatz: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, ist verloren.“ Er kämpft unermüdlich und hat einige wenige Verbündete an seiner Seite. Fast ein Wunder – er absolviert Abitur und Lehrausbildung, macht sich später selbstständig, ist erfolgreich. Aber? Es muss ein Aber geben, oder? Saliyas Erfolg basiert auf seiner Lebenslüge. Er hat seine Sehbehinderung geheim gehalten und mit dem Äußersten an Intuition, buchstäblichem Fingerspitzengefühl und geschärftem Gehörsinn kompensieren können. Es ist ein langer Weg, bis er erkennt, dass er seine Krankheit annehmen und als solche akzeptieren muss, und da trifft den jungen Mann ein weiterer Schicksalsschlag: Diagnose Krebs. Der Kampf geht weiter. Der Kampf wird härter. Das Aufgeben erscheint als Option. Mehrere zerrüttende Chemotherapien, Alkohol-, Medikamenten- und sonstige Drogensucht, geschlossene Psychiatrie – diesen unglaublichen Kampf kann Saliya nur gewinnen, weil es Menschen an seiner Seite gibt, die ihm bedingungslos beistehen möchten (was er vorübergehend ausschlägt): die Freundin Sara (Dorothee Weingarten) und der Freund Robby (Emery Escher).

Fünf Darsteller brillieren hier in wechselnden Rollen, darunter mit Saskia Valencia (als Mutter und Frau Schneider) sowie Lutz Bembenneck (als Vater und Arzt) auch TV-Prominenz.

In Monologen der Hauptfigur und in Dialogen wird das Geschehen ausgebreitet, bis sich das Happy End anbahnt: Saliya gesundet und bekommt die Chance auf eine Karriere als Persönlichkeitscoach. Es ist unglaublich, aber wahr, wie auch Kulturamtsleiter Johannes Ellrott eingangs angemerkt hatte: Weihnachten sei ja die Zeit für Wunder, eine Zeit für Geschichten, die Mut machen, und diese hier basiere auf einer wahren Biografie, Kahawattes Autobiografie eben. Deren Titel „Mein Blind Date mit dem Leben“ spielt auf die Blindheit des Protagonisten, zugleich aber auch auf die Lebenslüge an, die lange Zeit darin bestand, das Gegenüber im Unklaren zu lassen über das eigene Ich.

Der Ausgrenzung und Stigmatisierung von Menschen mit Behinderung hat Kahawatte mit dem eigenen Leben die Stirn bieten können – eine Ausnahmeerscheinung ganz sicher. Jemand, der sein Ziel erreicht hat, das da von jeher lautete: „Ich will nach oben, nicht an den Rand.“

Der Kampf geht weiter. Der Kampf wird härter. Das Aufgeben erscheint als Option.

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Erstellt:
19. Dezember 2022, 06:00 Uhr

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