Musik überwindet stilistische Grenzen
Thomas Roth und Band gastieren im Backnanger Bürgerhaus und nehmen das Publikum mit auf die Nyckelharpa-Journey, eine musikalische Reise rund um den Globus. Das hochkarätige Quartett überzeugt auch durch harmonisches Zusammenspiel.
Von Marina Heidrich
Backnang. Was für ein seltsames Instrument – die Nyckelharpa. Einerseits wird sie mit einem Bogen gestrichen, ähnlich wie bei einer Geige, andererseits muss der Spieler parallel dazu viele Tasten drücken. Ein viele Jahrhunderte altes Instrument, das lange in Vergessenheit geriet und erst um 1929 von Schweden aus wiederentdeckt wurde. Ein Instrument, das nur wenige Künstler beherrschen. Einer der besten ist Thomas Roth.
Ein knappes Jahr lang mussten die Fans auf das coronabedingt verschobene Konzert warten, aber am Samstag fand es endlich im Backnanger Bürgerhaus statt. Thomas Roth und seine Mitmusiker schickten die Nyckelharpa auf eine musikalische und stilistische Reise um die Welt.
Roth braucht keine große Bühnenshow. Der Künstler wirkt durch sein Können und sein Charisma – eine ganz spezielle Mischung aus Barde und Freibeuter. Früh kam der Mann mit den südländischen Wurzeln aus München ins kleine Steinheim an der Murr, wo er heute noch lebt. Kaum einer seiner direkten Nachbarn ahnt, dass er neben einem weltweit anerkannten Musiker wohnt, der mit seiner Show bereits das Pariser Olympia füllte und mit Ritchie Blackmore tourte. Der ehemalige Deep-Purple-Gitarrist bezeichnet ihn noch heute als Inspiration für Blackmores Night. Thomas Roth ist trotzdem ein bescheidener Mensch geblieben, hebt nicht ab und hat auch keine überzogenen Bedürfnisse. Er will nur eins: Musik machen. Für sie lebt der Künstler. Und für seine Nyckelharpa.
Einblick in die Gefühlswelt des Künstlers
Auf der Bühne verschmilzt der Musiker förmlich mit seinem Instrument, sie wird quasi zur Verkörperung seiner Seele. Sein sensibles, leidenschaftliches Spiel gewährt dem aufmerksamen Zuhörer eine tiefen Einblick in die Gefühlswelt des Künstlers. Das spürt auch das Publikum im Bürgerhaus. Die Nyckelharpa reist musikalisch nach München, in die Anden, nach Spanien, Wales und überaus virtuos nach Jerusalem. Sie erzählt tonale Geschichten von seekranken Seeleuten, italienischer Lebensfreude und fröhlichen Tänzen. Sie berichtet bei „Expecting good friends“ sogar mit Countryelementen über das Warten auf die Ankunft verspäteter Gäste aus den USA.
Viele Erzählungen und Erlebnisse, in Form von Akkorden und Melodien teilt Thomas Roth mit seinem Publikum. Mal heiter-verspielt, dann dramatisch und emotional. Und ab und zu traurig. So ist der Titel „Ridiculous sisters“ keineswegs fröhlich, musikalisch in Moll angelegt und man fragt sich: Welche Geschichte liegt dem Stück zugrunde? Vor der Pause steht Roth ganz allein auf der Bühne und zeigt sein Können und die Vielfältigkeit der musikalischen Möglichkeiten mit Impressionen auf der Nyckelharpa. Dabei mischt er unter anderem Zitate aus Bachs Toccata und Fuge mit dem Riff aus Smoke on the water.
Bei der Auswahl seiner Mitmusiker hat Thomas Roth ein ausgesprochen glückliches Händchen und setzt zielsicher auch hier auf absolute Qualität. Einfach richtig gute Leute hat er sich da geholt. Frank Tischer am Flügel kommt aus Fulda und wirkt seit vielen Jahren sowohl als Pianist wie auch als Komponist und Produzent. Schlagzeuger Joe Doll aus Hannover ist Mitglied des NDR-Orchesters und hat sich vor allem im Bereich Latinmusik einen Namen gemacht. In Köln lebt Bassist Mischa Marcks. Während der Nyckelharpareise hat jeder einzelne dieser hervorragenden Musiker seine vollkommen eigene musikalische Haltestelle entlang der Route. So bezaubert Frank Tischer ganz allein mit Klangkaskaden, Joe Doll lässt das Publikum in der mystischen Atmosphäre seines Marimbafons fast schweben und Mischa Marcks zeigt, was mit einem Bass eigentlich alles möglich ist, dass er alles andere als ein reines Begleit- oder Rhythmusinstrument in den Händen hält.
Seltene Gesangseinlage zum Abschluss
Sehr angenehm ist, dass alle vier Musiker es gar nicht nötig haben, sich zu profilieren, jeder nimmt sich an der richtigen Stelle zurück – das schafft ein gelungenes Klangerlebnis und einen homogenen Sound. Ein rundes Ganzes, das genau so von den Zuhörern wahrgenommen wird. Das Programm spricht unterschiedlichste Menschen an: Ein Blick in den Saal zeigt ein auffallend gemischtes Publikum, Alt, Jung, Leute im Anzug, andere in T-Shirts mit Rockbandlogos.
Schon seit einigen Jahren hat sich Thomas Roth bei seinen Konzerten rein auf sein Instrument konzentriert und tritt leider nicht mehr, wie in seiner Zeit als Frontmann der Geyers, als Sänger in Erscheinung. Doch an diesem Abend macht er zur Freude des Publikums eine Ausnahme. Betroffen von der aktuellen Weltlage kündigt er als Zugabe das Lied „7 Tage lang“ an. Eine ganz eigene Version des 80er-Jahre-Hits von Bots aus den Niederlanden, dessen Aussage „Jetzt müssen wir streiten, keiner weiß wie lang“ Thomas Roth mit seinem warmen Bariton noch einmal Nachdruck verleiht. Kulturamtsleiter der Stadt Backnang Johannes Ellrott hatte zu Beginn des Konzerts bereits betont, wie wichtig Musik als Hoffnungsträger vor allem in dieser angespannten Situation ist, dass es gerade heute Konzerte mehr denn je braucht. Denn Musik überwindet Grenzen. Vor allem, wenn sie so schön ist wie Thomas Roths Reise auf der Nyckelharpa.