Documenta in Kassel wieder in der Kritik

Muss die Documenta schließen?

Schon wieder gibt es neue Funde antisemitischer Bilder auf der Documenta fifteen in Kassel. Warum der neue Antisemitismus-Fall auf der Kunstschau deutlich macht, dass sich die Probleme nicht lösen lassen.

In einer Archiv-Ausstellung im Fridericianum finden sich in einer älteren Broschüre antisemitische Zeichnungen.

© dpa/Uwe Zucchi

In einer Archiv-Ausstellung im Fridericianum finden sich in einer älteren Broschüre antisemitische Zeichnungen.

Von Adrienne Braun

Wieder neue Schlagzeilen und scharfe Worte. „Das Ausmaß an Inkompetenz, Überforderung und Verwirrtheit ist überwältigend“, schreibt die „FAZ“ über die Leitung der Documenta fifteen. Die „WELT“ erwartet von dem indonesischen Kollektiv ohnehin nichts anderes als „antisemitischen Mist“. Und wieder werden Rufe laut, die Weltkunstschau in Kassel zu schließen.

Stein des Anstoßes ist eine Broschüre von 1988

Anlass sind neue Funde antisemitischer Bilder auf der Documenta, die schon bei der Eröffnung im Juni scharf in die Kritik geraten war wegen eines antisemitischen Banners auf dem Friedrichsplatz. Diesmal handelt es sich nicht um ein Kunstwerk, sondern um Zeichnungen in einer Broschüre von 1988. Im Fridericianum stellen Aktivistinnen Archivmaterial aus, das sich mit dem Frauenkampf in Algerien befasst. In der Broschüre „Presence des Femmes“ finden sich Zeichnungen des syrischen Künstlers Burhan Karkoutly, der Soldaten mit Davidsternen auf Helmen zeigt, die Kinder bedrohen. Das, so der Vorwurf, spiele auf das tradierte Motiv Kinder mordender Juden an.

Die künstlerische Leitung wollte die Zeichnungen nicht kommentieren

Ruangrupa, die künstlerische Leitung, weiß bereits seit längerem von diesen Zeichnungen, weil eine Besucherin schon vor mehr als drei Wochen auf sie hingewiesen hatte. Sie wurden allerdings nur intern bewertet – ohne Konsequenzen daraus zu ziehen. Deshalb haben nun auch die Gesellschafter der Documenta in einem Statement Kritik geübt: „Es wurde versäumt, eine geeignete Kontextualisierung vorzunehmen und die Besucherin über das Ergebnis der Klärung zu informieren.“

Lumbung meint: voneinander lernen

Warum hat Ruangrupa das aber nicht getan? Das hat mit dem Konzept dieser Documenta zu tun. Denn das offiziell eingesetzte Kuratoren-Kollektiv hat die künstlerische Verantwortung weitergereicht und andere Kollektive aus verschiedensten Ländern eingeladen, Orte in Kassel autonom zu bespielen. Das Schlagwort heißt Lumbung. Der indonesische Begriff für Reisscheune steht für das Teilen von Wissen, von Ressourcen und der Ernte.

Ruangrupa will sich nicht zwingen lassen, Macht auszuüben

Dieses Konzept der Gemeinsamkeit lässt sich aber nur schwer vereinbaren mit der öffentlichen Forderung, Verantwortung zu übernehmen und zu reagieren. Einerlei, ob Ruangrupa die Broschüre entfernt oder einen Kommentar gefordert hätte, es wäre aus ihrer Sicht ein massiver Eingriff in die Tätigkeit der Aktivistinnen, deren Archiv man doch dezidiert nach Kassel eingeladen hat. Dass in der öffentlichen Debatte immer wieder der Vorwurf laut wurde, Ruangrupa sei säumig oder ignorant, hat also damit zu tun, dass sich das indonesische Kuratoren-Team nicht als Entscheider sieht, der eigenmächtig in Prozesse eingreift – und sich auch nicht durch den öffentlichen Druck in diese Rolle drängen lassen will. Deshalb lehnt Ruangrupa auch eine umfassende Begutachtung der Ausstellung ab.

Schlagzeilen werden nicht abreißen

Diese konsequente Verweigerung befeuert die Debatte allerdings umso stärker. Hätte sich Ruangrupa von Beginn an auf die Seite der Kritiker geschlagen – und sich aus ihrer Sicht gegen ihre eigenen Gäste gestellt, wäre ihre Documenta fifteen vermutlich schneller aus den Schlagzeilen gekommen. So reißen die Rufe nach Konsequenzen nicht ab, selbst wenn der Vertrag der Documenta-Geschäftsführerin Sabine Schormann inzwischen einvernehmlich aufgelöst wurde.

Auch der Neue ist schon in die Kritik geraten

Nun soll Alexander Farenholtz die Wogen glätten. Er wurde kurzfristig als Interimsgeschäftsführer eingesetzt, aber ist ebenfalls schon in die Kritik geraten, weil auch er eine Überprüfung der Kunstwerke kategorisch ablehnt. Gegenüber Medienvertretern sagte er, es dürfe nicht der Eindruck entstehen, „dass durch die fachwissenschaftliche Begleitung eine Kontrollinstanz eingeführt wird.“ Farenholtz hat am Wochenende in einem Gespräch mit der FAZ betont, die Broschüre mit den Zeichnungen werde nicht entfernt.

Documenta schließen oder von ihr lernen?

Die Wogen werden sich also nicht so bald glätten und die Fronten weiterhin bestehen bleiben. Die FDP ist überzeugt, dass die Kunstschau in Kassel „ausgesetzt“ werden müsse. Der Zentralrat der Juden hält es für „kaum mehr vorstellbar“, dass sie noch bis Ende September läuft. Der Fachverband für Kunstpädagogik VBK Berlin widerspricht dagegen Forderungen, die Documenta fifteen zu schließen oder zu boykottieren. „Dafür stellt diese Ausstellung ebenso wie die durch sie hervorgerufene Krise zu wichtige und für eine zukunftsorientierte Kunstpädagogik entscheidende Lernmöglichkeiten bereit.“

Die schicke Documenta-Halle ist nicht wiederzuerkennen. Man betritt sie durch eine Basthütte und einen Tunnel aus Wellblech.

© Nicolas Wefers für documenta und Museum Fridericianum gGmbH

Die schicke Documenta-Halle ist nicht wiederzuerkennen. Man betritt sie durch eine Basthütte und einen Tunnel aus Wellblech.

Madonna mit Kind – eine schaurige Skulptur aus Schrott und menschlichem Schädel in der Kirche St. Kunigundis, die von Atis Rezistans bespielt wird

© dpa/Boris Roessler

Madonna mit Kind – eine schaurige Skulptur aus Schrott und menschlichem Schädel in der Kirche St. Kunigundis, die von Atis Rezistans bespielt wird

Die Jatiwangi art Factory arbeitet daran, indonesische Dörfer im Niedergang wieder für die lokale Versorgung zu reaktivieren. Im Hübner-Areal zeigen sie Objekte  aus Lehm, Erden und duftenden Gewürzen.

© dpa/Boris Roessler

Die Jatiwangi art Factory arbeitet daran, indonesische Dörfer im Niedergang wieder für die lokale Versorgung zu reaktivieren. Im Hübner-Areal zeigen sie Objekte aus Lehm, Erden und duftenden Gewürzen.

Wajukuu Art Project ist ein Künstlerteam, das mit den Bewohnern eines Slums in Nairobi arbeitet. In der Documenta-Halle sind eindrückliche Skulpturen zu sehen, die von Gewalt und Zerstörung erzählen.

© dpa/Boris Roessler

Wajukuu Art Project ist ein Künstlerteam, das mit den Bewohnern eines Slums in Nairobi arbeitet. In der Documenta-Halle sind eindrückliche Skulpturen zu sehen, die von Gewalt und Zerstörung erzählen.

In St. Kunigundis prallen Christentum und Voodoo aufeinander.

© dpa/Uwe Zucchi

In St. Kunigundis prallen Christentum und Voodoo aufeinander.

Puppen, Plakate und Banner: Das indonesische Kollektiv Taring Padi hat das Hallenbad Ost, aber auch öffentliche Orte in Kassel mit bunten Protestplakaten bestückt.

© dpa/Uwe Zucchi

Puppen, Plakate und Banner: Das indonesische Kollektiv Taring Padi hat das Hallenbad Ost, aber auch öffentliche Orte in Kassel mit bunten Protestplakaten bestückt.

Das RuruHaus ist das Herz der Documenta fifteen. Hier kann  man entspannen oder sich informieren – weil sich das Publikum wohl und gut informiert fühlen soll.

© dpa/Boris Roessler

Das RuruHaus ist das Herz der Documenta fifteen. Hier kann man entspannen oder sich informieren – weil sich das Publikum wohl und gut informiert fühlen soll.

Passanten, Ruderer, Kinder, Leute: Im Hübner-Areal hängen hölzerne Puppen, die Geschichten erzählen.

© dpa/Uwe Zucchi

Passanten, Ruderer, Kinder, Leute: Im Hübner-Areal hängen hölzerne Puppen, die Geschichten erzählen.

Auch vor dem Hallenbad Ost stehen die Protestplakate des indonesischen Kollektivs Taring Padi. Das Bad im Bauhaus-Stil stand lange leer und wurde nun in eine sehenswerte Veranstaltungshalle umgewandelt, in der witzig die Badausstattung genutzt wird.

© dpa/Uwe Zucchi

Auch vor dem Hallenbad Ost stehen die Protestplakate des indonesischen Kollektivs Taring Padi. Das Bad im Bauhaus-Stil stand lange leer und wurde nun in eine sehenswerte Veranstaltungshalle umgewandelt, in der witzig die Badausstattung genutzt wird.

Im Fridericianum werden die beeindruckenden Stoffbilder der Roma-Künstlerin und Aktivistin Małgorzata Mirga-Tas ausgestellt. Sie vertritt derzeit auch Polen auf der 59. internationalen Kunstausstellung der Biennale di Venezia.

© epd/Andreas Fischer

Im Fridericianum werden die beeindruckenden Stoffbilder der Roma-Künstlerin und Aktivistin Małgorzata Mirga-Tas ausgestellt. Sie vertritt derzeit auch Polen auf der 59. internationalen Kunstausstellung der Biennale di Venezia.

Pop-Art mit politischer Botschaft: Der Aborigine Richard Bell, 1953 geboren, protestiert mit seiner starken Malerei gegen Gewalt und Vorurteile, die die Ureinwohner Australiens erfahren. Seine Gemälde werden im Fridericianum ausgestellt.

© epd/Andreas Fischer

Pop-Art mit politischer Botschaft: Der Aborigine Richard Bell, 1953 geboren, protestiert mit seiner starken Malerei gegen Gewalt und Vorurteile, die die Ureinwohner Australiens erfahren. Seine Gemälde werden im Fridericianum ausgestellt.

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Erstellt:
31. Juli 2022, 17:34 Uhr

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