Neuer Weg im Musikbusiness

Liv Kristines neue EP „Have Courage Dear Heart“ wird im April auf allen gängigen Streaming-Plattformen zu hören sein und kommt im Mai als LP und CD heraus.

Die Wahlheimat der Norwegerin Liv Kristine ist Backnang. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Die Wahlheimat der Norwegerin Liv Kristine ist Backnang. Foto: A. Becher

Von Renate Schweizer

BACKNANG. Sie leuchtet. Tatsächlich. Nicht nur, weil sie Norwegerin und blond ist und einfach der helle Typ. Einen Heavy-Metal-Star stellt man sich anders vor. Heavy-Metal-Stars ziehen nicht die Schuhe aus, bevor sie eine fremde Wohnung zum Gespräch betreten „aus Respekt vor der Person, die den Haushalt schmeißt“.

„Ich kam nach Backnang als abgehalfterter Heavy-Metal-Star“, erzählt Liv Kristine: „Keine Band mehr, kein Zugang zum Studio, kein Geld, keine Wohnung, kein Engagement. Ich hatte von der Musik gelebt und ohne sie hatte ich nichts mehr.“ Fanklubs überall in der Welt, sogar einer in Chile – aber das half in dieser Situation nicht weiter. „Ich musste mich neu sortieren, meine Mitte suchen, Geld verdienen, hab dies und das gemacht, geputzt, Deutschunterricht für Flüchtlinge gegeben – und das erwies sich als genau richtig für mich: Wir haben gelernt und gekocht und gelacht und die Jungs und Mädels haben mir gezeigt, dass man Tanzeinlagen bringen kann, auch wenn das Leben nicht rosig ist.“

Wieder dieses Leuchten, sie strahlt. „Heute hab ich eine Festanstellung bei der Paulinenpflege als Lernbegleiterin von Menschen im autistischen Spektrum.“ Geregelte Festanstellung – auch das kann Freiheit sein, vielleicht grade das, wenn man sich aus dem knallharten Musikgeschäft freistrampeln muss.

Sie musste das schon vor Corona – und als die Pandemie kam, war sie längst unabhängig vom Musikbetrieb. „Du entscheidest, welche Musik in deinem Leben läuft, welchen Sender du schaust, was du machst“, sagt sie nachdenklich, und wie wichtig es für sie war, abseits des Rampenlichts „einen offenen Blick auf die Welt zu gewinnen, ohne dass die Welt auf mich guckt“.

Die Songs kommen nicht nur heavy daher. Auch Rockballaden sind dabei.

Musik macht sie trotzdem noch und wieder und die ganze Zeit – „aber viel freier jetzt, nur noch, was ich will, es ist ein geniales Gefühl“. Am 16. April wird ihr neues Album im Internet zum Reinhören veröffentlicht, „Have Courage Dear Heart“ heißt es, und drei Wochen später erscheint es physisch. Das Spektrum der Songs reiche von Heavy Metal über sanfte Rockballaden bis zum Ave Maria.

An dieser Stelle des Gesprächs bricht nun doch die Profisängerin durch: „Meine Fans hab ich mitgenommen, als ich ging, sie sind nämlich die besten Fans der Welt. Fünf Jahre hab ich nicht geliefert – trotzdem sind sie da, fragen nach, erkundigen sich, schicken Grüße. Wird Zeit, was zurückzugeben.“ Liv Kristine Espenæs ist in Norwegen geboren und aufgewachsen, dreisprachig, ihre Mutter hat dänische Wurzeln: „Norwegisch, Dänisch und Englisch sind meine Muttersprachen, ab der 7. Klasse kam Deutsch dazu.“ Mit 18 ging sie nach Deutschland, abenteuerlustig, lebenshungrig, verliebt und heiß aufs Singen. Irgendwann hat sie in Stuttgart den Magister in Germanistik und Anglistik gemacht – „zwischendurch immer unterwegs auf Tournee durch die ganze Welt, es war die ideale Kombi“.

Als Leon, der Sohn, auf die Welt kam, nahmen sie ihn mit, wann immer es möglich war. „50 Länder hat er bestimmt schon durch.“ Auch Leon ist dreisprachig: Norwegisch spricht er mit der Mutter, deutsch mit dem Vater und den Schulfreunden und englisch auf Reisen. Liv erzählt von ihrer Kindheit in Stavanger: „Schon mit drei wusste ich, dass ich Sängerin werde, ganz ernsthaft, mit Prinzessinnenkleid, Spiegel und Haarbürste als Mikrofon.“ Bei der Frage nach Zukunftsplänen intensiviert sich das Leuchten: Heiraten ist angesagt. Es ist kompliziert und Corona macht es nicht einfacher: Ihr Schatz ist Däne mit inzwischen deutschem Pass und lebt in der Schweiz. Sie ist Norwegerin in Backnang. Eigentlich wollten sie in Dänemark heiraten, aber das geht nun nicht. Jetzt wird es wohl Flensburg werden. „Am Meer heiraten ist das Einzige, was zählt“ und Flensburg ist grade auf halbem Weg zwischen Norwegen und Süddeutschland/ Schweiz, damit Freunde und Familie aus beiden Welten kommen können. Bis dahin aber ist schöner Alltag, am Montag geht (hoffentlich) die Schule wieder los. „Distanzunterricht ist für autistische Menschen sehr schwer, fast unmöglich eigentlich“ – man spürt, wie sehr ihr ihre Schützlinge am Herzen liegen.

Bevor sie geht, stellt Liv Kristine ihre Kaffeetasse sorgfältig neben die Spüle. Nein, einen Heavy-Metal-Star hat man sich anders vorgestellt. Schön, dass es so ist, wie es ist.

Start mit Theatre of Tragedy

Liv Kristine wurde mit der Band Theatre of Tragedy bekannt und trat später als Gastsängerin bei diversen Gruppen sowie als Solokünstlerin und Sängerin weiterer Bands im Heavy-Metal-Bereich auf. Sie war bei Tourneen, unter anderem in den USA und Australien, dabei. Als einer ihrer bekanntesten Gastauftritte wird das Duett Nymphetamine mit Cradle of Filth betrachtet, welches im Jahr 2004 für den Grammy Award for Best Metal Performance nominiert wurde.

Zu ihren frühen Einflüssen zählt die Norwegerin Madonna und Black Sabbath. Mit zehn Jahren beteiligte sie sich an ihrem ersten Bandprojekt. Ihre jüngere Schwester ist Carmen Elise Espenæs, Sängerin der Band Midnattsol.

Bereits im März 1998 erschien unter dem Namen „Deus ex Machina“ Espenæs’ erstes Soloalbum. (Quelle Wikipedia)

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Erstellt:
19. Februar 2021, 11:30 Uhr

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