Neues Stück im Kabirinett: Die Grenzen der Etikette ausgelotet

Die Premiere im Großhöchberger Kabirinett gelingt: Unter dem Titel „Gentleman’s Guide“ feuern Thomas Weber und James Geier eine Serie von Krachern ab, umrahmt von teils anzüglicher, teils gesellschaftskritischer Musik.

James Geier und Thomas Weber (von links) mimen zwei angebliche Rosenkavaliere – sehr zur Freude des Publikums. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

James Geier und Thomas Weber (von links) mimen zwei angebliche Rosenkavaliere – sehr zur Freude des Publikums. Foto: Alexander Becher

Von Carmen Warstat

SPIEGELBERG. Tante Trude über die Straße helfen. Mit Blumenstrauß nach Hause kommen. Small Talk draufhaben. Emotionen zeigen. Gut massieren können. Jeden Jahrestag im Kopf haben. Aktiv zuhören. Wie ein Grab schweigen. Die Aufzählung der Gentlemanattribute, mit der Thomas Weber und James Geier den Abend im Kabirinett in Großhöchberg beginnen, will nicht enden. Sie haben sie in einem Song verpackt und ernten sofort kräftigen Applaus.

„Gentleman’s Guide“ wird an diesem Abend erstmals aufgeführt. Wirklich gentlemanlike ist dieser Auftakt, aber dann fällt Weber über Geiers Gitarrenkoffer und ins schwäbische Idiom. Zurück auf den Beinen und nicht allzu geknickt weiß er: „Der erste Eindruck ist jetzt leider dahin. Das war saublöd!“ Für den ersten Eindruck gebe es keine zweite Chance, aber: „Schwamm drüber!“ Und zurück zum Thema. Weber hat eine „Wahrnehmungsschere“ ausgemacht, nämlich: 88 Prozent der Männer behaupten, dass sie ein Gentleman sind, aber nur die Hälfte aller Frauen hat je einen kennengelernt. Hier setze die „pädagogische Frauenarbeit“ ein, wie auch in seinem eigenen Fall. Er sei nämlich „handcrafted“, also von seiner Frau selbst erschaffen – „ein Wahnsinnsg’schäft! Ladys, Ihr wisst es selbst, das kann für eine Frau zur Lebensaufgabe werden. Männer, Ihr seid Butter in ihren Händen, Granit, den sie behauen – lasst sie machen, die Frauen.“

Kalauer und Klischeemschine

Schnell wird also klar, dass Weber und Geier keine Feministen sind, sondern eher Spaß daran haben, solche zu ärgern. Auch wenn die beiden Protagonisten des Stücks die Namen ihrer Darsteller tragen, sind sie natürlich Kunstfiguren. Die Künstler wissen dabei sehr genau, was sie tun. Zwar lassen sie die Klischeemaschine auf Hochtouren laufen und von harmlosen Songkarikaturen bis hin zu mehr als anzüglichen und gar nicht feinen oder eleganten Kalauern fehlt da nichts. Man kann Letztere als Geschmackssache bezeichnen. Zum anderen finden sich aber auch klischeekritische Züge, beispielsweise in einem Song, der stereotype und oft kaum erfüllbare Ansprüche an Männer polemisch aufgreift („Zeig deine Muskeln“). Herbert Grönemeyers „Männer“ ist, zum allgemeinen Amüsement heftig verballhornt, neben einer Reihe anderer Cover zu hören. Einige der Lieder im Programm haben Geier und Weber selbst geschrieben. James Geiers Gitarrenspiel und Gesang überzeugen vor allem insofern, als das musikalisch-handwerkliche Fundament so gesichert ist, dass dem Künstler sehr viel Raum für die Kombination mit Blödelei und Faxen bleibt – eine Musikalität, die gerade bei Comedians gern unterschätzt wird.

Genau diese Kombination gefällt dem Publikum auf der Theaterwiese sehr gut. Die stabilen Papphocker sehen wie Cajóns aus und verleiten zu entsprechender Begleitung der Songs. Teilweise erweisen sich die Zuschauer als richtig gute Perkussionisten und alle haben ihren Spaß daran.

Das Publikum spielt bereitwillig mit

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Überhaupt lebt der Abend von geschickter Interaktion der Künstler mit einem dafür sehr aufgeschlossenen Publikum und in Sachen Schlagfertigkeit punkten beide Seiten. Thomas Webers kluge Wortspielereien mit dem Namen eines den meisten scheinbar bekannten und wohl auch im Publikum anwesenden Sulzbacher Geschäftsmanns kommen freundschaftlich daher und erheitern manche Zuschauer sicher mehr als sein gelegentlich herablassend wirkender Blick auf die Großhöchberger Dorfgemeinschaft, der er selbst angehört.

Ungeachtet dessen erntet die Premierenaufführung des Stücks aus der Feder von Thomas Weber und Christian Hölbling enthusiastische Publikumsreaktionen. Matthias Eichhorn aus Hohrot bei Aspach nennt den Abend superwitzig. „Beim Herrenklub bin ich voll dabei!“ Es sei gut, wenn Musik dabei ist, wo man mitmachen kann, ergänzt er und empfiehlt seiner Frau Heidrun Baumann, ihren nächsten „Mädlesausflug“ hierher zu machen. Sie ist nicht abgeneigt und nennt das Programm „mitreißend und superlustig.“

„Mehr als toll“ findet es mit Charley
Graf ein Mann, der es wissen muss. Der frühere Gruschtelkammer-Chef und langjährige Auenwalder Veranstalter hochkarätiger Kulturveranstaltungen zeigt sich in der Pause „begeistert von der ganzen Idee“ und ihrer musikalischen Umsetzung. Dass die Akteure ohne Mikro und sonstige Technik auskommen, beeindruckt ihn ebenso wie die offenkundige Textlastigkeit des Programms. „Da steckt sehr viel Arbeit drin.“ Und seine Frau Petra Graf ergänzt augenzwinkernd, dass sie nun so weit habe fahren müssen, um auf einen Gentleman zu treffen. „Wer hätte denn gedacht, dass es hier oben in Großhöchberg Gentlemen gibt?“

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Erstellt:
1. Juli 2024, 06:00 Uhr

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