Neustart für die Kulturszene im Rems-Murr-Kreis
Zwei Jahre hatte die Pandemie die Kulturszene fest im Griff. Während der zwei Lockdowns mussten Spielstätten, Kinos und Konzertsäle schließen. Im April sind die Coronamaßnahmen zum Großteil weggefallen. Wie haben die Akteure das erlebt?
Von Melanie Maier und Ingrid Knack
Rems-Murr. Vorbei ist sie im eigentlichen Sinne noch nicht, die Coronapandemie. Die 7-Tage-Inzidenz liegt nach wie vor weit über 100. Am 25. März stand sie sogar noch bei 1830 – der bisherige Höhepunkt im Rems-Murr-Kreis. Dennoch sind im April die bundesweiten Eindämmungsmaßnahmen beendet worden, da eine Überlastung des Gesundheitssystems durch Covid-19-Patientinnen und -Patienten nicht mehr zu befürchten war. Ein Befreiungsschlag für die Kulturszene, sollte man meinen. Doch wie ist es der Branche seither ergangen? Wir haben uns umgehört.
Wie ist es der Kulturszene der Region ergangen?
Backnanger Bürgerhaus In der zurückliegenden Spielzeit sei der Zuspruch bei Veranstaltungen im Backnanger Bürgerhaus trotz der schwierigen pandemischen Situation sehr gut gewesen, sagt Kultur- und Sportamtsleiter Johannes Ellrott: „Wir mussten keine Veranstaltung absagen und nur eine verschieben.“ Diese, ein Comedy-Kabarettabend mit Heinrich del Core, wird am 17. September nachgeholt. Zu Beginn der Pandemie habe man im Bürgerhaus die Auswirkungen noch gar nicht so sehr bemerkt, so Ellrott: „Einige Veranstaltungen sind wegen der Lockdowns verlegt worden, aber die Ticketinhaberinnen und -inhaber haben ihre Karten einfach behalten und sind zu den Aufführungen gekommen.“ Mit der Zeit seien die Leute allerdings schon vorsichtiger geworden, berichtet Bürgerhaus-Leiterin Laura Reich. Im Gegensatz zu anderen Veranstaltungshäusern habe man die Abonnements trotzdem weiterlaufen lassen. „Viele Abonnenten waren richtig froh darum“, sagt Reich. „Einige haben zu mir gesagt: „Wenn ich das Ticket nicht schon gehabt hätte, wäre ich jetzt nicht gekommen. Das wäre sehr schade gewesen.‘“ Finanzielle Einbußen gab es dennoch. Diese konnten aber durch Förderungen vom Bund ausgeglichen werden, berichtet Ellrott.
Unter den Coronamaßnahmen hatte das Bürgerhaus ebenfalls zu leiden. Voll besetzt hieß in den vergangenen beiden Jahren zum Beispiel nicht das, was es vorher bedeutet hatte, denn Abstandsregeln mussten eingehalten werden. Das traditionelle Neujahrskonzert etwa fand in diesem Jahr daher gleich zweimal statt: Die Musikerinnen und Musiker der Strauss-Capelle Wien traten einmal um 10 und einmal um 19 Uhr vor jeweils 400 Zuschauerinnen und Zuschauern auf, statt ein einziges Mal vor 800 Personen. Außerdem mussten alle Beteiligten stets flexibel bleiben, da sich zum einen die Vorschriften jederzeit ändern konnten, zum anderen krankheitsbedingte Ausfälle immer wieder vorkamen.
Kulturhunger bei der Backnanger Bevölkerung
Nachdem die Maßnahmen im April weitgehend weggefallen waren, bemerkte auch das Bürgerhaus den Kulturhunger der Backnanger Bevölkerung – insbesondere beim ausverkauften classic-ope(r)n-air auf dem Marktplatz, das wieder in bewährter Form, wie vor der Pandemie, stattfinden konnte. Johannes Ellrott und Laura Reich hoffen nun auf eine pandemiefreie Spielzeit. „Aber wir sind für alles gewappnet“, sagt Reich.
Bandhaus-Theater Mit rückläufigen Besucherzahlen hatte auch das Backnanger Bandhaus-Theater in der Pandemie zu kämpfen. Vorher seien die Vorstellungen meist ausverkauft gewesen. „Wir mussten uns erst wieder daran gewöhnen, dass wir auch mit 50 Zuschauerinnen und Zuschauern zufrieden sein müssen“, sagt Jasmin Meindl, die mit Juliane Putzmann das Bandhaus-Theater leitet. Das Stück „Kunst“, das im Dezember 2021 Premiere feierte, habe am meisten unter der Situation leiden müssen, berichtet Meindl: „Nachdem wir das Theater lange Zeit gar nicht bespielen konnten, kamen die Leute nur zaghaft wieder zurück. Wahrscheinlich auch, weil viele unsicher waren. Das war sehr schade, weil die Inszenierung toll ist, die Kollegen super spielen, und der Text sowieso großartig ist.“ Das Stück wird am 2. und 3. Oktober noch einmal in Backnang aufgeführt werden, bevor es auf Gastspielreise geht.
Im Lauf der Pandemie habe sich die Lage geändert: Je mehr Corona in den Hintergrund rückte, desto mehr Zuschauerinnen und Zuschauer seien wiedergekommen, sagt Meindl. Beim Freilichttheaterstück „Der Gänsekrieg“ im Juli durften sie und Putzmann sich wieder über eine sehr gute Auslastung freuen.
Eine große Herausforderung sei jedoch bis heute die Flexibilität, die die Pandemie erfordere, so Meindl: „Vor Corona waren Umbesetzungen die Ausnahme. Seit Corona ist man nur noch damit beschäftigt. Was für große Häuser viel zusätzliche und nervenaufreibende Arbeit bedeutet, aber letztendlich machbar ist, führt bei uns dazu, dass es uns ganze Produktionen und Spielpläne zerhaut. Einen professionellen Schauspieler kurzfristig umzubesetzen, ist für uns schon aus finanziellen Gründen nicht möglich.“ Beim Freilichttheater „Der Gänsekrieg“ sei die Lage besonders heikel gewesen. „Wenn wir wegen Corona auch nur eine der zehn angesetzten Aufführungen hätten absagen müssen, hätte das finanziell für das Bandhaus-Theater das Aus bedeuten können.“
Starker Rückgang der Zuschauerzahlen nach Aufhebung der Maßnahmen
Club Junges Europa Von Herbst 2021 bis Frühjahr 2022 fanden sieben Abendveranstaltungen im Club Junges Europa (CJE) in Backnang-Steinbach statt. „Wir haben einen starken Rückgang bei den Zuschauern feststellen müssen“, berichtet Christine Will vom CJE. „Alle waren aber sehr froh, wieder zu Veranstaltungen gehen zu können und haben dafür die Vorgaben gerne eingehalten.“ Wegen Covidinfektionen und wegen neuer Coronaverordnungen sei es jedoch zu vielen kurzfristigen Absagen gekommen. Statt mit bis zu 100 Personen habe der Verein seinen Veranstaltungsraum nur mit maximal 40 belegt. Im Frühjahr dieses Jahres sei zum ersten Mal eine Kinderveranstaltung ins Programm aufgenommen worden. Diese sei sehr gut angenommen worden, sagt Will. „Für den Herbst hoffen wir auf niedrige Coronazahlen, sodass sich der positive Trend fortsetzen kann.“
Discothek Belinda Seit 2017 leitet das Begegnungs- und Kulturzentrum Sulzbach an der Murr die Geschicke der Discothek Belinda. „Während der Pandemie sollte der Traum der Genossenschaft, die Belinda als Begegnungs- und Kulturort zu etablieren, weiterentwickelt werden“, berichtet Willi Beck, Vorstandsmitglied der Genossenschaft. Über Zuschüsse sei es möglich gewesen, Konzerte und Kabarettveranstaltungen unter Coronabedingungen anzubieten. 2020 waren es elf Events, 2021 waren es 32, in diesem Jahr werden es vermutlich 34 sein.
Überraschend war für die Verantwortlichen, dass mit der Aufhebung der Coronamaßnahmen die Gästezahlen rückläufig waren. „Während der Pandemie hatten wir mit Masken-, Abstands- und Testpflicht geschätzt etwa 45 bis 50 Gäste bei einer maximal möglichen Belegung von zirka 60 bis 65 Personen“, sagt Beck. Natürlich habe es den einen oder anderen Ausreißer gegeben, bei dem nur zehn oder 20 Gäste kamen. „Aber das war die Ausnahme“, sagt Beck. Seitdem das neue Programm am 10. Juni begonnen habe, kämpfe man mit geringen Gästezahlen. „Die ehemaligen Ausreißer werden zu Normalfällen“, so Beck. Ohne finanzielle Förderungen, fügt er hinzu, wären rundweg alle Konzerte eine wirtschaftliche Katastrophe gewesen: „Wir hätten den Kulturbetrieb schlichtweg einstellen müssen oder Eintrittspreise verlangen, die niemand mehr bezahlt im ländlichen Raum.“
Ausnahmesituation ist noch nicht vorbei
Gruschtelkammer Auenwald Für Charley Graf ist die Ausnahmesituation durch die Coronapandemie noch nicht vorüber. „Wir haben in den letzten zwei Jahren zahlreiche Veranstaltungen in der Auenwaldhalle angeboten und dabei die Hygieneregeln mit großem Aufwand umgesetzt. Das haben wir in keinem Moment als Neustart empfunden“, sagt der Chef der Auenwalder Gruschtelkammer. Auch bei den Lockerungen sei die Sicherheit der Gäste oberstes Gebot gewesen, und nicht, den Saal mit Höchstauslastung voll zu bekommen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer, die gekommen seien, hätten das Angebot dankbar angenommen, doch eine gewisse Zurückhaltung sei spürbar gewesen. Auch im kommenden Herbst fährt Graf auf Sicht: „Wir Veranstalter sind alle in der Angst, dass wieder hohe Auflagen aus Stuttgart kommen. Wir machen jetzt ein Programm und wissen nicht, ob wir alles so durchziehen können wie geplant und mit welchen finanziellen Einbußen zu rechnen ist.“
Kabirinett in Großhöchberg Theaterchef Thomas Weber spricht von zögerlichem Verhalten der Zuschauer auch dann, als ab dem 3. April 2022 die bis dahin geltenden rechtlichen Vorgaben für Veranstaltungen aus der Coronaverordnung des Landes Baden-Württemberg entfielen. Bei Freiluftveranstaltungen indes habe es besser ausgesehen. „Aber wir sind mit weniger Veranstaltungen gefahren als sonst.“ Und er sagt: „Ich habe den Eindruck, dass die Musikveranstaltungen größere Resonanz haben als die Theaterveranstaltungen.“ Konzerte hatte das Kabirinett in verschiedenen Formaten als Open Air angeboten. Der neue Spielplan sei jetzt wieder „sehr theaterlastig“. Weber will behutsam erspüren, wie viel Nähe das Publikum im Zuschauerraum erträgt und flexibel reagieren.
Noch kein Nachfolger
Verein Kulturgut auf dem Hagenbach Auf dem Hofgut Hagenbach in Backnang könne von einem kulturellen Neustart nicht die Rede sein, sagt Barbara Böhle-Burr vom Verein Kulturgut auf dem Hagenbach. „Die Mitglieder waren unter den Bedingungen nicht bereit, Konzerte zu veranstalten – diese hätten sich im Übrigen sowieso nicht gerechnet“, sagt sie. Erschwerend hinzugekommen sei, dass das Hofgut den Gastronomiebetrieb eingestellt habe und noch keine Nachfolgelösung gefunden wurde: „Seither hängt auch das Kulturgut in der Luft.“
Kinos Die Pandemie habe den Kinos sehr zugesetzt, sagt Annegret Eppler vom Backnanger Kino Universum: „Nicht nur durch die Schließzeiten, sondern auch durch die Verunsicherungen, die sowohl bei den Film-Herausbringenden als auch bei den Zuschauern entstanden ist. Immer neue Regeln – zum Teil unüberblickbar und leider auch nicht vergleichbar – haben dazu beigetragen.“ Blockbuster wie der neue James-Bond-Film „Keine Zeit zu sterben“ hätten zwar nach wie vor viele ins Kino gelockt. Durch die Pandemie hätten sich aber die Gewohnheiten der Menschen verändert. „Wir müssen sie dazu bringen, den Couch-Potato abzustreifen“, scherzt Eppler. Die Besucherzahlen seien zwar schon deutlich besser, aber es gebe noch Luft nach oben.
Marius Lochmann von den Lochmann Filmtheaterbetrieben, zu denen der Backnanger Traumpalast und die Löwenlichtspiele in Rudersberg gehören, ist mit den aktuellen Besucherzahlen zufrieden: „Durch die Pandemie gezeichnet, sind wir nur umso stärker wieder hervorgetreten.“
Bei den Murrlichtspielen in Murrhardt war der Andrang vom Frühjahr bis zur Sommerpause Mitte Juli eher verhalten, berichtet Sabine Dietrich vom Kommunalen Kino Murrhardt. Jetzt seien die Zahlen wie im Jahr vor der Pandemie im selben Zeitraum.