Berlinale-Auftakt
Politik, Protest und düstere Dramen
Nach den Querelen um die Ein- und Wiederausladungen von AfD-Mitgliedern war die Eröffnungsgala des Filmfestivals einmal mehr politisch aufgeladen. Wozu auch der Eröffnungsfilm „Small Things Like These“ bestens passte.
Von Patrick Heidmann
Zu behaupten, dass die Berlinale das politischste unter den großen Filmfestival sei, ist ein seit langem gepflegtes Klischee, mit dem sich die Verantwortlichen in der Hauptstadt immer wieder gerne schmücken. In diesem Jahr dürfte die Beschreibung allerdings ohne Frage zutreffen, so viel stand schon vor Beginn der 74. Internationalen Filmfestspiele fest. Wobei die Auswahl der rund 200 Filme dafür noch nicht einmal der Hauptgrund ist.
Dass die weltpolitische Lage ihre Schatten über kulturelle Großveranstaltungen wie die Berlinale wirft, ist nichts Neues. Angesichts des Gaza-Krieges hatte bereits vor einigen Wochen Ayo Tsalithaba aus Ghana einen Film aus der Nebensektion Forum Expanded wieder zurückgezogen, im Rahmen der Initiative „Boycott Germany“ und aus Protest gegen die israelfreundliche Haltung der deutschen Bundesregierung. Davon, dass es in den kommenden Tagen weitere Solidaritätsbekenntnisse in die eine wie andere Richtung geben wird, ist auszugehen. Doch zur feierlichen Festivaleröffnung am Donnerstag dominierte zunächst einmal deutsche Innenpolitik das Geschehen.
Nachdem zunächst fünf AfD-Mitglieder in ihrer Funktion als Abgeordnete über den Berliner Senat zur Eröffnungsgala (wie auch schon in vergangenen Jahren) eingeladen worden waren, was weit über die Filmbranche hinaus für Empörung und auch international für Aufsehen gesorgt hatte, hatte das Berlinale-Führungsduo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, das in diesem Jahr zum letzten Mal für das Festival verantwortlich zeichnet, die Politikerinnen und Politiker höchstoffiziell doch wieder ausgeladen.
Ein Hauch von Hollywood
Am Donnerstag bildeten nun trotzdem mehr als 50 Filmschaffende (darunter Katja Riemann, Jella Haase oder Jannis Niewöhner) auf dem roten Teppich am Potsdamer Platz eine Menschenkette und skandierten „Es lebe die Demokratie“. Dazu kamen den Abend über weitere Statements, von Pins und Aufklebern mit der Aufschrift „Movies unite, Hate divides“ (Filme verbinden, Hass trennt) über die „Fck AfD“-Halskette von Schauspielerin Pheline Roggan bis zum Schild, das Männermodel Papis Loveday beim Gang in den Berlinale Palast mit sich trug: „No racism! No AfD!“ Rissenbeek selbst sprach davon, dass Hass bei diesem Festival nicht auf der Gästeliste stehe, Moderator Jo Schück zitierte auf der Bühne die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer und Kulturstaatsministerin Claudia Roth befand in einer engagierten Rede, man müsse sich den Feinden der demokratischen Gesellschaft mit Mut und Empathie entgegenstellen.
Dass bei so viel Protest und Politik trotzdem auch ein wenig Hollywood-Glamour in Berlin Einzug hielt, hatte natürlich mit dem Eröffnungsfilm zu tun – und das, obwohl „Small Things Like These“ hauptsächlich eine irische-belgische Produktion ist. Der aus Flandern stammende Regisseur Tim Mielants konnte für die Hauptrolle der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Claire Keegan allerdings Cillian Murphy gewinnen, mit dem er schon bei der Serie „Peaky Blinders“ zusammengearbeitet hatte und der dieser Tage dank „Oppenheimer“ natürlich heißer Anwärter auf den Oscar ist. Und Murphy kam bei seinem Blitzbesuch in Deutschland (bevor am Wochenende in London die Verleihung des BAFTA ansteht) nicht alleine: auch Matt Damon war zur Weltpremiere von „Small Things Like These“ angereist, zu dessen Entstehung er mit seiner Produktionsfirma maßgeblich beigetragen hat.
Dunkle Kapitel
Der Film, der im Wettbewerb um den in diesem Jahr von der Jury unter dem Vorsitz von Oscar-Gewinnerin Lupita Nyong’o vergebenen Goldenen Bären konkurriert, hatte dann aber so gar nichts Glamouröses. Murphy spielt den Kohlenhändler Bill Furlong, der zur Weihnachtszeit Mitte der 1980er Jahre in einer irischen Kleinstadt mehr und mehr damit beginnt, sich nicht nur mit seiner eigenen Vergangenheit mit einer alleinerziehenden, jung verstorbenen Mutter auseinanderzusetzen, sondern auch die Strukturen der katholischen Magdalenenheime zu hinterfragen, deren bis in die Neunziger Jahre anhaltende Existenz zum dunkelsten Kapitel in der irischen Geschichte gehören.
Mielants macht daraus ein kleines, visuell wie thematisch düsteres Drama, das seinem Publikum einige Details der Geschichte vorenthält, was mitunter eine gewisse Distanz, aber auch einen erfreulichen Mangel an Pathos nach sich zieht. Ohne viele Worte macht Murphy mit seinem ausdrucksvollen Gesicht auf erstaunliche Weise nicht nur einen sehr persönlichen, sondern letztlich auch nationalen Schmerz erschütternd greifbar. Und Emily Watson als Mutter Oberin rückt auf subtile Weise die Gnadenlosigkeit in den Fokus, mit der jene Einrichtungen operierten, in denen unter kirchlicher Aufsicht mehr als 30 000 ledige Mütter, Prostituierte und andere Frauen ihre Kinder meist zur Adoption freigeben und als Wäscherinnen arbeiten mussten.
Eine gänzliche andere politische Thematik dominierte dann am Freitag das Festivalgeschehen. Da nämlich stand im Wettbewerb die Premiere des iranischen Films „Keyke mahboobee man“ („My Favorite Cake“) auf dem Programm, der auf den ersten Blick eigentlich nur die Geschichte der siebzigjährigen Mahin (Lily Farhadpour) erzählt, die sich im Alter noch einmal eine neue Liebe wünscht. Doch weil nebenbei auch immer wieder die restriktive Obrigkeit im Iran kritisiert wird und ein ungewohnt realistisches Bild gerade von Frauen in der dortigen Gesellschaft gezeigt wird, wurde das Regieduo Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha mit einem Ausreiseverbot belegt. Bei der Berlinale-Pressekonferenz wurde dagegen mit zwei demonstrativ leeren Stühlen protestiert.