Polka und Walzer als Seelentröster
Zweigeteiltes Neujahrskonzert der Strauss-Capelle Wien im ausverkauften Bürgerhaus findet am Sonntagvormittag und am Abend mit jeweils 50 Prozent der Zuschauer statt. Die Stationen der Konzertreise des traditionsreichen Orchesters lauten: Moskau – Peking – Shanghai – Backnang.
Von Marina Heidrich
Backnang. „Wir sind wahnsinnig glücklich, dass wir Ihnen endlich wieder unser traditionelles Neujahrskonzert präsentieren dürfen, nachdem es letztes Jahr ja ausfallen musste.“ Dass Johannes Ellrott jedes Wort genauso aus tiefstem Herzen meint, sieht man Backnangs Kulturamtsleiter deutlich an, als er strahlend am Sonntag das Publikum im Bürgerhaus begrüßt. Rainer Roos und seine Strauss-Capelle Wien sind wieder zu Gast und damit beginnt das Kulturjahr 2022 gleich mit einem Höhepunkt.
Es ist schon ein tolles Gefühl für die hiesigen Veranstalter und Sponsoren, wenn sie die Stationen des traditionsreichsten Strauss-Orchesters der Welt lesen: Moskau – Peking – Shanghai – Backnang. Das Konzert ist ausverkauft und findet daher zur Einhaltung der Coronaregeln zweigeteilt statt, am Sonntagvormittag und am Abend, mit jeweils 50 Prozent der Zuschauer.
Das Neujahrskonzert 2022 steht unter dem Motto „Freunde, das Leben ist lebens-wert!“, das Auftrittslied des Octavio aus Franz Lehars letzter Operette Giuditta. Tenor Manolito Mario Franz, den viele Backnanger bereits vom classic-ope(r)n-air kennen, bezaubert gleich mit dem ersten brillanten Ton. Doch natürlich dominieren beim Programm die Werke der Komponistenfamilie Strauss. Deren Musik sorgte bereits nach dem Verlust der Vormachtstellung der Donaumonarchie 1866 dafür, dass die Menschen in Wien damals ihre Alltagssorgen vergaßen.
Schwungvolle Musik trifft
mitten in Herz und Seele
Was liegt also näher, als dem Publikum auch in diesen Zeiten mithilfe der schwungvollen Musik, die mitten in Herz und Seele trifft, eine Freude zu bereiten? Zumal Maestro Rainer Roos und sein Orchester in ihren herausstechenden rot-weißen Uniformen nicht einfach nur die Stücke auf einem international hochwertigen Niveau darbieten – sie lassen sich auch darstellerisch immer wieder etwas zum Lachen und Schmunzeln einfallen, beziehen das Publikum mit ein und verbreiten einfach gute Laune.
Roos erzählt Anekdoten und humorvolle Geschichten, schont sich auch selbst nicht und greift bei der Polka „Feuerfest!“ von Josef Strauss (der jüngere Bruder des Walzerkönigs Johann Strauss (Sohn)) eigenhändig zum Instrument: Mit zwei Hämmern bearbeitet er rhythmisch einen Amboss. Ensemble und Dirigent sind in bester Laune. Bei der Jokey-Polka, ebenfalls von Josef Strauss, muss auch das Publikum seinen Beitrag leisten und an vorgegebenen Stellen klatschen.
Was nicht immer so einfach scheint, aber die Stimmung noch weiter hebt. Sogar Schleifpapier und Tapezierbürsten finden als Rhythmusinstrumente Einsatz. Die Zuhörer sind begeistert. Polka, Marsch und Walzer wirken in der frischen, entstaubten Version der Strauss-Capelle als musikalischer Seelentröster.
Das Ensemble schafft eine unvergleichliche Symbiose aus lockerer, witziger Atmosphäre und absolut professionellem, hochkarätigen Musizieren. Bei der Polka „Champagner-Galopp“ sieht man förmlich die tonalen Sektperlen sprudeln.
Auch durch den Wechsel zwischen rein instrumentaler Musik und gesungenen Stücken kommt bei immerhin zwei Stunden Programm nicht eine Sekunde Langeweile auf. Manolito Mario Franz, eigentlich als hervorragender Mozart-Interpret bekannt, lässt bei „Komm in die Gondel“ aus der Strauss-Operette „Eine Nacht in Venedig“ den Verführer aufblitzen. Der Tenor stellt seine neapolitanischen Wurzeln mit der Canzone „Marechiare“ von Francesco Tosti unter Beweis, gefolgt vom Liebeslied „Parlami d’amore, Mariú“, das Schauspieler Vittorio de Sica 1932 in einem Film sang und es zuerst in ganz Italien und dann weltweit populär machte.
Zum Abschluss erklingt der ultimative Strauss-Walzer „An der schönen blauen Donau“, sehr feinfühlig und dynamisch inszeniert. Wenn man die emotionale Interpretation der Strauss-Capelle Wien hört, fällt es einem schwer zu glauben, dass Walzer tanzen einmal verboten war. Der Wiener Hof erließ 1758 eine entsprechende Anordnung, da durch den „unzüchtigen“ engen Körperkontakt der Wiener Walzer „...der Gesundheit schädlich und auch der Sünden halber sehr gefährlich sei“.
Das Publikum erklatscht sich als Zugabe den Radetzkymarsch und Tenor Manolito Mario Franz verabschiedet die Zuhörer mit einer besonderen Dreingabe: Zum Dahinschmelzen schön erklingt die preisgekrönte Titelmusik „Brucia la terra“ von Komponist Nino Rota aus dem Film „Der Pate“.